Mannheim. In Mannheim sind die 1920er Jahre derzeit ja in aller Munde. Die Kunsthalle beleuchtet sie in ihrer Jubiläumsausstellung zur Malerei der Neuen Sachlichkeit; zahlreiche regionale Institutionen tragen passende Aktivitäten bei. Und da jetzt auch wieder das Lesen und Hören von Literatur großgeschrieben wird, erinnerte man auf dem Bücherfestival ebenfalls an diese Zeit. Einer „Hoffnungsliteratur zwischen den Kriegen“ sollte sich die gut besuchte Eröffnungsveranstaltung der 19. Auflage von Lesen.Hören in der Alten Feuerwache widmen. Unter der großen Überschrift: „Ihr tötet nicht den Geist!“ gab es zunächst aber die gewohnten (kleinen) Grußadressen, unter anderem von der Ersten Bürgermeisterin Diana Pretzell, und eine programmatische Notiz der Programmverantwortlichen Insa Wilke.
Autorin und bekannter Kabarettist treten als Duo auf
„Aufklärung und Lebensfreude“ in einer von Krisen geprägten Zeit wolle das Festival bieten, sagte Wilke und zitierte die Autorin Mely Kiyak mit den Worten: „In politisch verzweifelten Zeiten ist Kunst unsere Hoffnung.“ Eingängige Formulierungen sind eine Stärke Kiyaks, wie sie im Anschluss auf der Bühne noch ausführlich bestätigen konnte. Die ebenfalls griffige Überschrift des Abends stammt übrigens aus Thomas Manns Radioansprachen, die in einer neuen Edition im S. Fischer-Verlag unter dem ursprünglichen Titel „Deutsche Hörer!“ herausgekommen sind. Es sind Reden des Literaturnobelpreisträgers, die dieser aus dem amerikanischen Exil während der nationalsozialistischen Herrschaft an die deutsche Bevölkerung richtete und die seinen Ruf als exemplarische Stimme der Kultur sowie eines anderen Deutschlands bestätigten. Herausgegeben sowie mit Vor- und Nachwort versehen hat die Neuausgabe eben jene auch als Journalistin bekannte Mely Kiyak, die den Eröffnungsabend dann gemeinsam mit dem fernsehbekannten Kabarettisten Max Uthoff bestritt.
Lesen.Hören in Mannheim
- Das zum Mannheimer Stadtjubiläum 2007 gegründete Literaturfestival umfasst im Hauptprogramm insgesamt 15 Veranstaltungen . Es läuft zunächst bis 9. März und bietet dann noch eine „Zugabe“ am 10. Mai.
- Zusätzlich gibt es einen großen Programmteil für Familien. Infos zu Programm und Karten : www.altefeuerwache.com
Dass sich die beiden gut kennen und schätzen, merkt man immerzu. Man formuliert eingängig und pointiert, unterhaltsam auch, und schmiert einander ordentlich Honig ums Mäulchen, was ebenfalls meist witzig klingt und mit einer Prise Ironie erfolgt. Kiyak sprüht regelrecht vor Energie, während sich Uthoff gelassener gibt. Als Stimmen der Kultur begreifen sich beide, zu Recht – und ausdrücklich auch als Gegenstimmen zum stärker gewordenen Populismus. „Kabarett, Musik, Kunst“, das sei ihr alles eins, sagt Kiyak freimütig und gibt als Motto des Abends aus, Zeit, Geist und Ideen der Jahre der Weimarer Republik lebendig werden zu lassen.
Was neusachliche Literatur eigentlich sei, versucht Kiyak ansatzweise zu klären, belässt es dann aber bei einigen verkürzenden Hinweisen. Viele Namen werden genannt von Autorinnen und Autoren der Zeit: Kaléko, Fleisser, Keun, Döblin, Kästner, Tucholsky, Kisch, Thomas und Heinrich Mann. Und ein wenig gelesen wird auch, einige lakonisch-hintergründige Gedichte Mascha Kalékos, ein kurzer Auszug aus Döblins „Berlin Alexanderplatz“, der sprachlich so rastlos wirkt wie die Großstadt, die der Roman porträtiert; ein Stückchen von Heinrich Manns „Der Untertan“, das die ganze Niedertracht des Protagonisten Diederich Heßling zeigt, außerdem eine autobiografische Notiz Irmgard Keuns und dazwischen eine Prise Tucholsky und Kisch. Und viele Worte macht man drumherum: um Werke und Autorenpersönlichkeiten und vor allem darum, wie sie auf Kiyak und Uthoff bei der Lektüre wirkten. Thomas Mann charakterisiert Kiyak nebenbei als „Etepetete-Typen“, meint aber dennoch, Uthoff habe viel mit ihm gemeinsam - was dieser relativiert. Und er stellt auch klar: „Kabarett ist nicht die höchste Form der Kunst.“
Radioanansprachen von Thomas Mann
- Die von Mely Kiyak neu herausgegebenen Radioansprachen Thomas Manns aus dem Exil sind im S. Fischer-Verlag erschienen unter dem Titel „Deutsche Hörer!“ (272 Seiten, 24 Euro).
- Diesem Buch war auch der Titel der Eröffnungsveranstaltung von Lesen.Hören entliehen: „Ihr tötet nicht den Geist!“
Verplappert und weniger gelesen als geplant
Offenherzigkeit ist hier Trumpf, Bekenntnis auch, vor allem politisch, denn beider Herz schlägt links; Uthoffs Wahlwerbung für die Linke wird erwähnt, deretwegen ihn das ZDF für eine Ausgabe von seiner Stammsendung „Die Anstalt“ ausschloss. Öffentlich-rechtlichen Rundfunk finden beide trotzdem prima – Kritik an ihm riecht gleich nach Kampagne, obgleich die sich ja nicht auf dessen Prinzip, sondern nur auf Teile seiner Praxis richten kann.
So geht‘s munter weiter, bis Kiyak schließlich feststellt, man habe sich „verplappert“ und weniger gelesen als geplant. Stimmt, aufs Publikum wirkt die Einsicht trotzdem sympathisch. Zwischentöne, Differenzierung war die Sache dieses Abends nicht, der folglich auch nicht fragte, wie Kunst denn näher Hoffnung machen und wofür heute das große Wort des Geistes stehen kann. Dass künstlerische Literatur mehr ist als richtige Gesinnung, werden die weiteren Abende des Festivals deutlicher bestätigen (müssen). Dann erst wäre auch eine wirkliche, gute Alternative zu populistischer Vereinfachung aufgezeigt.
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