Das Wichtigste in Kürze
Ab 20. Februar ist in Mannheimer wieder „Lesen.Hören“ angesagt.
Das Literaturfestival läuft zunächst bis 9. März. Am 10. Mai folgt noch eine „Zugabe“.
Mannheim. Das literarische Frühjahr beginnt in Mannheim und der Region auch in diesem Jahr mit dem Festival Lesen.Hören. Am 20. Februar wird die 19. Auflage der zum Mannheimer Stadtjubiläum 2007 gegründeten Veranstaltung eröffnet. Über die Schwerpunkte dieses Jahrgangs spricht die Kritikerin und Publizistin Insa Wilke, die das Programm verantwortet, im Interview mit unserer Redaktion.
Frau Wilke, die Krisen werden nicht weniger, die gesellschaftlichen Reibungen scheinen weiter zu wachsen. Und Lesen.Hören beginnt jetzt unmittelbar vor der vorgezogenen Bundestagswahl. Wie hat alles das die Programmgestaltung beeinflusst?
Insa Wilke: Die Entwicklungen sind derzeit ja extrem schnell, sowohl die politischen Ereignisse als auch die Stimmungen in der Gesellschaft. Deshalb haben wir in der Programmgestaltung eher versucht, ein Fels in der Brandung zu sein: Ich zähle dazu die starken literarischen Abende mit Clemens Meyer, Julia Schoch oder Antje Rávik Strubel. Wir wollen aber auch die Themen, die nach wie vor virulent sind, mit Abstand betrachten – wie zum Beispiel die Frage, was jüdische und palästinensische Menschen nach den Debatten der vergangenen anderthalb Jahren denken und fühlen; da sind die Lesungen mit Esther Dischereit und Abdalrahman Alqalaq wichtig – und die nachgetragene Veranstaltung am 10. Mai mit Lee Yaron. Wir setzen auf Kontinuität, nehmen aber auch auf, was in der Luft liegt – ohne uns von den sich selbst überholenden Aktualitäten treiben zu lassen.
Wir können aus der Widerstandskraft der Texte Kraft schöpfen
Der Eröffnungsabend zur „Hoffnungsliteratur“ soll ja wohl ein deutliches Zeichen setzen. Wie aktuell ist dieses Zeichen aber, da etwa 100 Jahre alte Texte im Zentrum stehen?
Wilke: Mely Kiyak, die den Abend gestaltet, steht per se für die Begabung, in der Vergangenheit die Gegenwart zu erkennen. Ich hatte selbst kürzlich eine Veranstaltung über Thomas Manns Radioansprachen, die er aus dem Exil an die Bevölkerung in Deutschland richtete – der Titel des Eröffnungsabends, „Ihr tötet nicht den Geist!“, stammt eben aus Manns „Deutsche Hörer!“ . Wir können aus der Widerstandskraft, dem Esprit solcher Texte heute Kraft schöpfen. Insofern: alles sehr aktuell, aber nicht im Sinne einer Wiederholung der Geschichte, sondern unserer Möglichkeit heute, es anders zu machen.
Droht in unserer schnelllebigen, nach vorne drängenden Zeit nicht ohnedies der Wert älterer Kunst und Literatur zunehmend aus dem Blick zu geraten?
Wilke: Ich glaube, das Gegenteil ist der Fall. Es ist ja immer alles gleichzeitig da, das Neue und das Ältere. Ein Beispiel dafür ist der Abend mit Joshua Groß und Franz Friedrich – zwei begabte Autoren, die für eine ganz neue literarische Sprache stehen, in deren Texten aber auch viele Stimmen von früher mitsprechen. Das wird ein intimer und intensiver Abend, der auch Trost, Kraft und Hoffnung geben kann.
Dass Ihr Programm auf Vielfalt setzt, bezüglich der Themen wie der eingeladenen Kulturschaffenden, zeigt schon ein flüchtiger Blick. Wie würden Sie das inhaltliche Spektrum umreißen?
Wilke: Vielfalt ist schlicht die Lebensrealität in unserem Land, die spiegeln wir nur, weil wir so wenig wie unser Publikum von gestern sind. Auf ein Motto gebracht, könnte man das Anliegen so umreißen: Literatur, Humanität, konstruktiver Widerstand, also: Lebendigkeit.
Welche Schwerpunkte sind Ihnen dabei besonders wichtig?
Wilke: Der Abend, den wir Guantánamo widmen. Da geht es um Kunst als Überlebensmittel. Wir zeigen – das ist wirklich was Besonderes – im Original Kunstwerke von Gefangenen, die sie unter schwierigsten Bedingungen in Guantánamo gemalt haben. Es kommen einem die Tränen, wenn man die sieht. So viel Schönheit! In Guantánamo will Trump jetzt übrigens migrantische Menschen internieren.
Insa Wilke und das Festival
- Die promovierte Literaturwissenschaftlerin Insa Wilke , geboren 1978 in Bremerhaven, arbeitet als Publizistin, Kritikerin und Moderatorin.
- Das Programm des Festivals Lesen.Hören verantwortet sie seit 2016 als Nachfolgerin von Roger Willemsen.
- Info zu Programm und Karten: www.altefeuerwache.com; Vorverkauf an bekannten Stellen und telefonisch bei Reservix (0761/88 849 999) tog
Droht angesichts der gesellschaftspolitischen Ausrichtung vieler Veranstaltungen nicht doch die für ein Literaturfestival zentrale ruhige Konzentration auf Sprachkünstlerisches zu kurz zu kommen?
Wilke: Gar nicht. Nehmen Sie unsere Belgrader Kooperation „Spaces of Freedom“. Da wird’s auch um Politik gehen. Die Leute in Serbien gehen ja gerade auf die Straße, und die Kultur dort steht durch den russischen Einfluss extrem unter Druck. Aber unsere Gäste sind nicht nur politisch kluge Köpfe, sondern auch starke literarische Stimmen. Wobei Sie recht haben: Das wird nicht kontemplativ, das wird eine Revue sehr aufregender Sprachkunst. Tut das Programm aber nicht zuweilen des Guten zu viel? Friedenspreisträgerin Aleida Assmann bringen sie mit ihrem Buch über „Gemeinsinn“ ins Gespräch mit zwei weiteren Kulturschaffenden. Sie hätte einen moderierten Abend gewiss auch alleine verdient gehabt und ihn allein getragen…
Wilke: Nun, Hadija Haruna-Oelker und Ronja von Wurmb-Seibel sind in der jüngeren Generation sehr bekannt, und alle drei Frauen haben Bücher geschrieben, die nach vorne denken und stärken wollen, was es hier im Land an Gutem gibt. Wir bringen drei tolle Frauen, mit sehr starken und wichtigen Büchern, ins Gespräch miteinander - ohne Moderation übrigens.
Die Zeit der vollen öffentlichen Kassen scheint vorbei zu sein, und die öffentlich geförderte Kultur gerät zunehmend unter Legitimationsdruck. Wie bewerten Sie die Diskussion darüber? Und welchen Stellenwert sprechen Sie, naturgemäß pro domo gesprochen, den Festivals und ganzjährigen Angeboten der kulturellen Institutionen zu?
Wilke: Wir brauchen die Institutionen der Kultur und ihre Veranstaltungen, damit es uns gut geht, damit wir zusammenkommen und damit auch etwas Glamour in der Luft liegt. Und wir brauchen sie für eine demokratische Öffentlichkeit – gerade in einer Situation, wo Parteien der Mitte anfangen, AfD-Programme zu übernehmen – eine Strategie, die seit den 1990er Jahren übrigens schon mehrfach versucht wurde und immer gescheitert ist. Problematisch sind nicht nur die Kürzung von Mitteln, sondern auch der zunehmende politische Druck auf die Kultur; wir brauchen keinen Druck, sondern die Freiheit, kreativ arbeiten zu können, und das Vertrauen, Auseinandersetzungen, die ohnehin da sind, auch führen zu dürfen. Mittelkürzungen und Druck spielen zusammen, wir müssen aufpassen, dass die Räume der Kultur, die wir dringend für eine gesellschaftliche Auseinandersetzung und auch einfach für die Lebensfreude brauchen, nicht eingeschränkt oder uns sogar genommen werden.
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