Das Interview

Jazz-Legende Charles Lloyd in Mannheim: Über die Kraft der Musik

Charles Lloyd kommt nach Mannheim. Im Interview spricht der Jazz-Saxofonist über spirituelle Kraft und seine Mission, Güte in die Welt zu tragen.

Von 
Georg Spindler
Lesedauer: 
Seine Musik ist erfüllt von spiritueller Kraft: Charles Lloyd. © Rinderspacher

Mannheim. Charles Lloyd ist beseelt von der Weisheit des Alters – und scheinbar auch von höheren Mächten. Denn bei jedem Konzert des 87-jährigen Altmeisters offenbart sich eine rare spirituelle Kraft. Am Dienstag, 18. November, tritt er in einer Enjoy-Jazz-Zugabe in der Christuskirche Mannheim auf. Im Interview spricht er über die Inspirationsquellen seiner Musik.

Mister Lloyd, warum haben Sie Ihre aktuelle Band Sky Quartet genannt?

Charles Lloyd: Weil ich glaube, dass diese Band die Weite und die zeitlosen Qualitäten des Himmels reflektiert.

Ihre Musik besitzt große spirituelle Kraft. Wann haben Sie diese Qualität zum ersten Mal gespürt?

Lloyd: Als ich in Memphis aufwuchs, war ich als Kind sehr einsam. Der Silberstreif am Horizont war für mich, dass ich von Musik umgeben war – von der Kirche über Blues bis zum Jazz. Musik war für mich eine mächtige Kraft. Nachts klemmte ich ein Radiogerät unter mein Kopfkissen, und als das Licht ausging, konnte ich dieser Quelle von Trost und Inspiration lauschen. Musik besitzt die Kraft, die Zuhörenden zu unbekannten Orten des Universums zu transportieren.

Vor kurzem sprach ich mit dem Speyerer Bischof, der privat gerne Klavier spielt, über das Wesen der Improvisation. Er sagte, die Magie dabei bestehe für ihn darin, in Sphären zu gelangen, in denen eine höhere Macht die Regie übernimmt. Wie schaffen Sie es, diese Sphären zu erreichen?

Lloyd: Das ist etwas, was nicht leicht in Worte zu fassen ist. Ich habe da eher die Haltung eines Anfängers – ich versuche, beiseite zu treten und die Musik durch mich ich hindurch kommen zu lassen.

Sie haben des Öfteren davon gesprochen, dass Musik die Moleküle verändern würde. Eine spannende Vorstellung, aber was meinen Sie damit?

Lloyd: Klang ist eine Vibration, die in die Atmosphäre hinein wirkt. Diese Vibration kollidiert mit den Molekülen in der Atmosphäre. Natürlich verändern sich durch dieses Zusammenstoßen die Moleküle in der Atmosphäre. Der Klang prallt auch auf die Zuhörer. Bewusst oder unbewusst tragen sie den Effekt dieses Zusammenstoßes zurück in die Welt außerhalb des Konzertsaals, wenn auch nur für kurze Zeit.

Superstar des Jazz: Charles Lloyd. © Manfred Rinderspacher

Ihre Musik besitzt diese wunderbare Zärtlichkeit und positive Ausstrahlung. Wie schaffen Sie es, nicht verbittert oder aggressiv zu werden, angesichts all der Gewalt und der Kriege?

Lloyd: Ich w a r als junger Mann zornig und frustriert, und ich habe damals versucht, diese Wut durch Selbstmedikation zu mildern, was zu nichts Gutem führte. Ich zerstörte mich selbst und ich zerstörte das, was ich so sehr liebe – die Musik. Also beschloss ich, abzutauchen und mich zu ändern. Die Wut hat mich in den letzten Jahren wieder heimgesucht. Das war für mich unerwartet nach der langen Zeit, in der ich den Kampf gegen Ignoranz geführt habe. Der Unterschied zu früher ist aber, dass ich die Erfahrung eines langen Lebens besitze und diesen Zorn in meiner Musik auf eine sehr zärtliche, liebevolle Art kanalisieren kann. Wir alle brauchen Liebe und die Welt braucht gerade jetzt viel Zärtlichkeit und Empfindsamkeit. Wir müssen zu Piloten werden, die helfen, den Kurs der Welt zu korrigieren.

Eines Ihrer älteren Stücke, das in mir nachwirkt, heißt „Brother On The Rooftop“. Die Brüder auf dem Dach sind natürlich Vögel. Wie sehr beeinflussen Sie der Gesang der Vögel und die Schönheit der Natur?

Lloyd: Ich wandere jeden Tag alleine auf dem Berg, auf dem ich wohne. Meine ständigen Begleiter sind zwitschernde Vögel, Wachteln, Rotschwanzbussarde, lärmende Krähen und Blauhäher. Manchmal waren Bären und Füchse auf meiner Route, was an ihren Hinterlassenschaften zu sehen ist. Die Balance zwischen Mensch und Natur ist sehr fein.

Ich habe gelesen, dass Sie viel tauchen. Wirkt sich das auf Ihr Saxofonspiel, auf Ihre Atemtechnik aus?

Lloyd: Die langen Wanderungen und das Tauchen helfen, den Atem zu verbessern. Das ermöglicht es mir, Töne lange zu halten.

Lebende Jazz-Legende

Charles Lloyd, geboren 1938, wurde in den 1960ern zum Superstar des Jazz . 1966 formierte der Saxofonist und Flötist ein Quartett mit dem damals 21-jährigen Pianisten Keith Jarrett. Die Band feierte große kommerzielle Erfolge bei einem jungen Rock-Publikum.

1969 zog Lloyd sich jahrelang zurück, um zu meditieren. 1981 feierte er ein spektakuläres Comeback mit dem Pianisten Michel Petrucciani . Danach tauchte er wiederum ab.

Nach einer fast tödlichen Erkrankung startete er 1989 eine grandiose Alterskarriere. Seither sind mehr als 30 Alben von ihm erschienen.

Am Dienstag, 18. November, spielt Charles Lloyd mit Jason Moran (Piano), Larry Grenadier (Bass) und Eric Harland (Schlagzeug) bei einem Enjoy-Jazz-Konzert in der Christuskirche Mannheim . gespi

Ich finde, im Mittelpunkt Ihrer Musik steht eine große Wertschätzung der Melodie, egal ob Sie nun einen Standard, einen Popsong oder ein komplexes Bebop-Stück spielen. Ist das ein Erbe von großen Jazzstilisten und Melodikern wie Johnny Hodges oder Lester Young?

Lloyd: Lester Young ist an meinem 21. Geburtstag gestorben. Das hatte für mich immer eine große Bedeutung. Es wird ja oft gesagt, dass wir auf den Schultern derer stehen, die vor uns da waren. Ich stehe auf den Schultern meiner Helden Lester Young, Lady Day (Billie Holiday, Anm.), Bird (Charlie Parker, Anm.), Trane (John Coltrane, Anm.), Ellington, Monk. Sie alle wussten einen Song auf eine sehr persönliche, ergreifende Weise zu singen.

Sie haben die große Fähigkeit, immer wieder exzellente Pianisten für Ihre Bands zu engagieren, von Keith Jarrett über Michel Petrucciani bis hin zu Geri Allen und Jason Moran. Was muss ein Pianist können, damit er bei Ihnen spielt?

Lloyd: Der Pianist Phineas Newborn Jr. war mein erster Mentor. Er pflanzte mir den „Piano-Samen“ ein, als ich neun, zehn Jahre alt war. Mein ganzes Leben lang hat dieser Samen wunderschöne Blumen zum Blühen gebracht.

Mehr zum Thema

Enjoy Jazz

Saxofonist Lewis: Die positive Kraft des Miteinanders

Veröffentlicht
Von
Georg Spindler
Mehr erfahren
Enjoy Jazz

Weltpremiere bei Enjoy Jazz: Molvaer und Giannouli begeistern in Ludwigshafen

Veröffentlicht
Von
Hans-Günter Fischer
Mehr erfahren
Enjoy Jazz

Ekstatische Exkurse mit Vincent Peirani ins Rockmilieu

Veröffentlicht
Von
Uwe Rauschelbach
Mehr erfahren

Darf ich Sie eines fragen: 1986 hatten Sie eine lebensbedrohliche Erkrankung. Wie hat diese Erfahrung, dem Tode nahe zu sein, Ihr Leben und Ihre Musik beeinflusst?

Lloyd: Als ich damals in meinem Bett lag, eingeatmet und ausgeatmet habe, wurde mir klar, dass der Schöpfer einen Grund gehabt haben musste, mich hier zu behalten. Ich wusste, sollte ich wieder gesund werden, dann würde ich mich wieder der Musik widmen, die mir so viel gegeben hatte. Jeden Tag folge ich weiterhin diesem Vorsatz.

Sie haben mit so vielen verschiedenen Bandformaten gespielt. Gibt es noch ein Traumprojekt, das Sie gerne verwirklichen würden?

Lloyd: Ich bin bis heute in meinem Leben als Musiker unglaublich gesegnet gewesen. Jedes Mal, wenn ich für ein Konzert eingeladen werde, habe ich eine neue Chance, die Wahrheit zu verkünden. Güte und Liebe für unsere Mitmenschen und für Mutter Erde, das ist mein Traumprojekt. Frieden auf Erden, das ist mein Traumprojekt. Aber die Zeit wird knapp.

Redaktion

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen

VG WORT Zählmarke