Mannheim. Wie es sich für einen guten Gastgeber gehört, kommt Gringo Mayer zur Begrüßung am frühen Samstagabend erstmal selbst auf die Bühne – (noch im Jackett) bei 30 Grad im Schatten und etwas mehr im Palastzelt: Nach ein paar warmen Worten spielt er kurz den ewigen Fanfavoriten „Viel zu arg“, der auch das Motto der „Großen Gringo-Mayer-Feier“ beim Zeltfestival Rhein-Neckar ist. Mit 2500 Besucherinnen und Besuchern aus allen Alters- und sonstigen Klassen ist das bisher sein größtes Konzert auf eigene Rechnung. Grund genug zum Feiern - und die heftigen Jubelrufe schon zu Beginn schreien auch nach einer Fortsetzung.
Dann gibt es einen exklusiven Einblick in seine Songwriter-Werkstatt mit einem unveröffentlichten Lied, dessen Titel noch geheim bleiben und das tunlichst nicht gefilmt werden soll. Seine Anhänger können dem Wahl-Mannheimer aus Ludwigshafen-Gartenstadt keinen Wunsch abschlagen – mehr noch: Das Publikum singt die unbekannte Nummer sogar auf Anhieb mit. Die einzig vernünftige Reaktion folgt prompt: „Dess iss brudaal.“
„Ohne Voodoo Jürgens würde es mich so nicht geben“
Dann kündigt der schon heftig bejubelte Gringo Mayer seine Ehrengäste an: „Mister Voodoo Jürgens und Die Ansa Panier!“ Der schnell lebende Wahl-Wiener aus Tulln und seine Band sind als Vorprogramm für diesen Anlass die perfekte Wahl. Zum einen, weil Voodoo Jürgens am 16. Juni 2017 ein paar Meter vom jetzigen Spielort entfernt nicht nur seiner Mannheimer Karriere einen Schub versetzte. Sein umwerfend legendärer Auftritt auf dem Parcours D-Amour beim Maifeld Derby im Reitstadion fegte alle Irritationen („Was? Udo Jürgens?“) weg und hallt bis heute beim Mannheimer Festivalpublikum nach. Einer der Auftritte wie die Nirvana-Show im Heidelberger Schwimmbad Musik Club, bei dem jeder gewesen ist, obwohl auf der Tribüne im Reitstadion nicht allzu viel Platz ist.
Und zum anderen hat dieses österreichische Original die Kunstfigur Gringo Mayer sichtlich und hörbar beeinflusst: mit kompromisslos tiefem Dialekt, ungeschönten, trotzdem nicht gehässigen Blicken in die dunklen bis morbiden Ecken der engeren Heimat und einer ungewöhnlich stiloffenen Musikmixtur, die auf der Arbeit von höchst ausgeschlafenen Bandmitgliedern basiert. Dazu kommt eine Optik, die mehr oder weniger Helge Schneiders hochironischen 70er-Jahre-Schlager-Dresscode zitiert. Aus diesem Vorbildcharakter macht Gringo Mayer keinen Hehl: „Ohne Voodoo Jürgens würde es mich so nicht geben“, sagt er als er später auf dem Höhepunkt seiner eigenen Show den Gast für „Hajo“ auf die Bühne holt und nochmal feiern lässt. Da schließt sich ein Kreis zu einem besonders schönen Moment.
Bezaubernd schlecht geschminkten Blicke auf die Abgründe der etwas prekäreren Gesellschaft
Voodoo Jürgens einstündige Show ist wie immer ein Ereignis. Seine bezaubernd schlecht geschminkten Blicke auf die Schrulligkeiten und Abgründe der etwas prekäreren (österreichischen) Gesellschaft („Wien bei Nacht“) sind eigentlich eher etwas für schummrige Bars, und sicher keine Sonnenscheinmusik. Aber im Zelt entsteht hinreichend Club-Atmosphäre. Das Publikum ist voll dabei und lässt sich gern mitreißen von diesem gern mal torkelnden und rauchenden Charismatiker und seiner großartigen Band, die man sich mit ihrer irrlichternden Wucht an einer Vielzahl von Instrumenten auch an der Seite von Tom Waits vorstellen könnte. Spätestens beim Hit „Gitti“ wird mitgetanzt und -gesungen. Oder geschwelgt, wenn es beim Liebeslied „In deiner Nähe“ nahezu durchschnittsromantisch wird.
„Twist“ kündigt Voodoo Jürgens liebevoll nassforsch an als „schnelle Nummer, damit ihr nicht einschlaft beim Gringo Mayer“. Nach „Es geht ma ned ei“ findet der Österreicher: „Die Stimmung ist super, wir werden sie a bissel dämpfen. Mit einem Lied über die Schulzeit.“ So kündigt er das famos tiefenmelancholische „2L Eistee“ an, dem die bekannteste Nummer „Heite grob ma Tote aus“, zu der sein Vorgänger im schwarzhumorigem Austropop, Ludwig Hirsch, wohl noch im Grab applaudiert. In unseren „schwierigen Zeiten“ kommt auch dieser Künstler nicht ohne politische Querverweise aus und beendet seine Stunde mit dem wütenden „Angst Haums“.
Das Programm beim Zeltfestival 2025
1. Fabrigg (2025)
2. A wo simma dann (2025)
3. Wasn los (2025)
4. Äni rach e (2023)
5. Allahopp (2021)
6. Ru‘ do driwwe (2021)
7. Viel zu arg (2021)
8. Imma mol ä bissel (2023)
9. Mo‘ gugge (2021)
10. Pfütze (2025)
11. Wahri Liebe dud weh (2025)
12. Kä Beweise (2025)
13. Ahjoo (2021)
14. Gibt‘s do‘ net (2021)
15. Jeddi (2023)
16. Ewe longts (2025)
17. Oh Jesses (2023)
18. Monnemer Dreck (2020)
19. Am Rhoi (2021)
20. De Deifel sollse hole (2023)
21. Niemand wie du (2025)
22. Underdogs (Subba Longa) (2023)
23. Alläää (2023)
24. Elafinisi (2023)
Nach einer halben Stunde Pause und erneut stürmischer Begrüßung mit „Gringo Mayer“-Schlachtrufen wie im Fußballstadion bietet der Hauptdarsteller dem Rekordbesuch ein Rekordprogramm: In mehr als zwei Stunden spielt er fast das Gesamtwerk von seinen drei bisherigen Alben – gerade mal sieben Stücke kommen nicht zur Aufführung. „Liebes Zeltfestival, endlich ist es so weit“, ruft der ehemalige Frontmann der Indie-Band Die Felsen. Zu Beginn wird schon das BASF-Heimatlied „Fabrigg“ frenetisch mitgeschmettert. Die Kegel Band spielt von Beginn an wie aus einem Guss, obwohl zum ersten Mal ein Keyboarder mit an Bord ist. Dass Ferdinand Klamt erst sein drittes Konzert mit Gringo Mayer spielt, merkt man höchstens daran, dass er anfangs manchmal zu grell abgemischt klingt.
Mit „Äni rache“ geht der Stimmungszug ab
Bei den latinisierten Rhythmen von „A wo simma dann“ kann man schon das Tanzbein und die Hüften bewegen. Vor dem ersten richtigen Abräumer „Äni rache“ lässt sich die Mitsingwut der Fans kaum bremsen, Mayer wird aber noch los, dass in diesem Moment viele Träume für ihn wahr werden. Das Echo ist gigantisch. Die Klassikerparade aus „Alla Hopp“ und den wie immer großartigen „Ru do driwwe“ und „Viel zu arg“ ist eigentlich nicht zu toppen. Aber irgendwie gelingt es. Ein wenig auch dank einer eigentlich unaufdringlichen, aber effektvollen Bühnenshow – mal mit gigantischem „Gringo Mayer“-Schriftzug in Elvis-artigen Leuchtbuchstaben oder mal mit einer atmosphärisch beeindrucken Mondkulisse wie bei „Pfütze“.
Auffällig ist: Mayer muss nicht nur mit Gassenhauern und als Rampensau Stimmung machen. Das Publikum goutiert auch einen langen ruhigeren, ja nachdenklichen Teil mit „Wahri Liebe dud weh“, „Kä Beweise“ (mit Mundharmonika) oder dem absoluten Höhepunkt „Ahjoo“ (bei dem Voodoo Jürgens mitsingt). Das trifft tief in die große Herzkammer des Rhein-Neckar-Deltas. Plötzlich ist die Atmosphäre wie beim Kirchentag, Konfession: kurpfälzisch.
Klare Ansage gegen spalterische „Stressmacher“
Mit dem absoluten Stimmungs-Highlight „Gibt‘s do‘ net“ und „Jeddi“ geht die Feier wieder Richtung Party. „Ewe longts“ lässt es alternative-rockig krachen und „Oh Jesses“ tanzt Richtung Karibik. Sogar Gringo Mayers für einen Soundtrack geschriebene erste Mundart-Nummer „Monnemer Dreck“ kommt zu Ehren. Gut so, nur dadurch konnte Tim G. Mayer sehen, wie leicht und vor allem stimmig ihm Texte im Dialekt von der Hand gehen.
Nach dem besinnlichen „Am Rhoi“ folgt ein quasi-politischer Teil mit „De Deifel sollse hole“ und langer Ansage: „Ganz ehrlich, Das ist ein ganz besonderer Abend. Mehr habe ich doch nie gewollt Und trotzdem muss man immer noch uffbasse“, sagt Mayer und erklärt, dass es immer mehr „Stressmacher“ gebe. Denen gelänge es immer wieder, sich wichtig zu machen und so zu tun, „als hätten wir ein Problem mit uns.“ Abende wie dieser bewiesen aber das Gegenteil: „Die allermeisten sind genau wie ihr - die wollen schöne Zeiten miteinander verbringen …Wir müsse uffbasse, dass wir aufhören mit diesem Scheiß!“ Als der Gastgeber kurz vor Schluss mal unfreiwillig auf dem Bühnenboden landet, gibt es noch eine Weisheit: „Wenn du hinfällst und wieder aufstehst, dann bist du jemand.“ Das Ganze endet gastfreundlich mit „Es war uns eine Ehre“. Mayer und Band verteilen die Blumen-Deko im Publikum und die Disco-Kugel veredelt die Stimmung im Zelt bei der Solo-Schlussnummer „Elafonisi“. Im Zelt ist es wider Erwarten gar nicht so heiß, wie an diesem Traum-Urlaubsort - oder zuletzt OG Keemos Auftritt an gleicher Stelle – da sorgten aber doppelt so viel Menschen für einen massiveren Kuhstall-Effekt. Das war also nicht „viel zu arg“, sondern vor allem musikalisch ein souveräner Schritt in die nächste Erfolgsetage.
Eine Fortsetzung der Feier bietet sich an
Nach Gringo Mayers triumphalen Konzerten der letzten Jahre in immer größeren Sälen hätten alle Beteiligten auf dieser Feier mehr als 2500 Gäste erwartet. Trotzdem ist diese bisher größte Show seiner Karriere ein Erfolg – und das Konzept der Mayer-Feier mit musikalischen sollte fortgesetzt werden. Denn noch vor zwei Jahren hat „der neue Joy Fleming“ noch bei einem musikalischen Dialektgipfel mit LaBrassBanda und Seiler & Speer das Zelt angezündet – als Vorprogramm. Und damals sind nur wenig mehr Zuschauer gekommen. Und OG Keemo hatte bei seinem ersten Festival auch kein volles Zelt. Da geht noch mehr, ohne dass seine restlichen Konzerte leiden. Für das fast schon traditionelle Jahresabschlusskonzert im BASF Feierabendhaus in Ludwigshafen am 22. Dezember gibt es jedenfalls nur noch wenige Karten kulturfabrik.basf.com.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/kultur_artikel,-regionale-kultur-gringo-mayer-steigt-in-mannheim-souveraen-in-die-naechste-erfolgsetage-_arid,2311853.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.dehttps://www.mannheimer-morgen.de/dossiers_dossier,-_dossierid,57.html
[2] https://www.mannheimer-morgen.dehttps://(https://kulturfabrik.basf.com/webshop/webticket/seatmap?eventId=1622&el=true)