Ludwigshafen. Ein Zischen und Grollen wie ein fernes Gewitter oder eine stürmische See sind zu vernehmen. Diese Geräusche kommen von Ferne aus dem Hintergrund, so, als könnten wir sie nur ahnen. Während sich der Saal des Theaters im Pfalzbau mit Menschen und ihren Stimmen füllt, hat der Choreograf Akram Khan sein Stück über Knochen, die gedreht und gewendet werden, also längst begonnen.
Als sich der Vorhang öffnet, nimmt der Klang Fahrt auf und die Bühne liegt wie eine große dunkle Höhle vor den Augen des Publikums. Ihre Wände sind aus einem schwarzen, halbrund von der Decke drapierten Stoff, der durch viele Spots von oben mit einem kalten Licht beschienen wird. Raffiniert lässt es das Material wie ein uraltes Gestein wirken, das mehr einer ledrigen Haut ähnelt. In diesem unwirtlichen Raum sitzt am Boden eine Gruppe auf ihren geöffneten Knien wie erstarrte menschliche Skulpturen.
So archaisch beginnt das Werk „Turning of Bones“, das der weltbekannte britische Choreograf Akram Khan für die außergewöhnliche Stuttgarter Gauthier Dance Company geschaffen hat. Wer jedoch die Arbeit des Briten Khan kennt, dessen familiäre Wurzeln in Bangladesch liegen, weiß um seine besondere Tanzsprache und seine Themen: Gemeinschaft, Gier und Gewalt, Selbstüberschätzung, Schuld und Sterblichkeit sind mögliche Narrative für die Geschichten, aus denen er seine Tanzarbeiten gestaltet.
Akram Khan
- Mit der Gründung seiner eigenen Kompanie im Jahr 2000 beginnt der britische Tänzer und Choreograf Akram Khan, seinen Fokus vom Solokünstler auf große Tanzarbeiten zu verschieben.
- In London geboren und mit familiären Wurzeln in Bangladesch , hat Khan schon früh den indischen Tanz Kathak studiert. Seine traditionelle Formensprache verwebt der in zeitgenössischem Tanz ausgebildete Künstler mit modernen Tanztechniken und schafft damit einen ganz eigenen Stil.
- Seine in der Welt gefeierten Werke kreisen um Erfahrungen des Fremdseins, um Natur und menschliche Gewalt.
- „Turning of Bones“ ist über einen Prozess von sechs Jahren mit der Gauthier Dance Company aus Stuttgart entwickelt worden. Es ist die erste Arbeit des Briten Khan für ein deutsches Ensemble. rah
„Turning of Bones“ zeigt uns einige davon, denn tatsächlich ist das Stück zusammengewirkt aus fünf seiner bereits bestehenden Werke: „Jungle Book reimagined“ (2022), „Mud of Sorrow“ (2012), „Desh“ (2011), „iTMOi“ (2013) und „insirgents“ (2024). Die Ausschnitte aus diesen Arbeiten hat Khan verändert und zu einer neuen Erzählung umgewandelt. Dabei inspirierte ihn ein Kult aus Madagaskar, in dem die Knochen von Verstorbenen alle paar Jahre ausgegraben und in neue Seidentücher gehüllt werden. Auf diese Weise ehrt man die Toten und tanzt mit ihnen.
Choreograf Akram Khan ist vom indischen Tanz Kathak beeinflusst
„Turning of Bones“ verhandelt dieses Verhältnis an einem sich liebenden Paar. Ein Stamm mit Stammesführer, dessen Tochter sich in einen Fremden verliebt, der die Verachtung der Gemeinschaft hervorruft. Grandios hat sich das Stuttgarter Ensemble unter der Leitung von Eric Gauthier die Tanzsprache von Khan angeeignet. Aus dem indischen Tanz Kathak, den Khan durch seine familiären Wurzeln schon als Kind studiert und später durch seine Tanzausbildung mit zeitgenössischen Tanztechniken kombiniert hat, hat der Choreograf eine eigene Sprache geformt. Dafür braucht man viel tänzerisches Gespür und Akkuratesse. Beides bringt das kultige und international gefeierte Ensemble von Gauthier mit.
Schon in den ersten 15 Minuten des knapp über eine Stunde dauernden Stücks wird die Wucht der Sprache und des Themas deutlich. „I must die, you must live“, ist eine Stimme aus dem Off zu vernehmen. Sterben und Leben stehen hier auf dem Spiel. Aus der Gruppe, die sich erst wie auf Knopfdruck synchron bewegt und wieder einfriert, schält sich bald ein Paar heraus. Im schwarzen Gewand, das sich im Schnitt nicht von den anderen Gewändern in Grün und Blau der Gruppe unterscheidet – Gudrun Schretzmeier von Gauthier Dance hat die schlicht und zugleich traditionell wirkenden Kleider-Tuniken und Hosen designt – schält sich bald der Fremde heraus. Seine Partnerin im moosgrünen Gewand wirft sich über ihn und beginnt einen sagenhaft dynamischen Reigen aus Liebe und Abwehr.
Dabei fliegen ihre Arme buchstäblich überall hin, lassen in der Schnelligkeit Details durchblicken, von gespreizten Fingern bis hin zu geballten Fäusten. In den Bewegungen der Gruppe werden diese Details aufgegriffen – sie zeigt sich bald synchron verteilt im Raum, bald formiert zu einer vertikalen Reihe, aus der die einzelnen Mitglieder herausragen wie Organe eines Körpers. Bald zersprengt sich der Pulk für einen Moment chaotisch im Raum, um zugleich wieder als Ganzes gegen das Paar und den Fremden zu agieren. Ein brutaler Stammesführer und ein Stein als Motiv für Wissen und Macht führen schließlich zum Tod des Fremden.
Leider versieht Khan seinen Tanz mit einem gewaltigen Klangkonzept, das gewirkt aus Sound, Lied und Musik viele Bewegungen wie im Mickey-Mousing doppelt. Am Ende jedoch ist die schwarze Lederhaut-Höhle durch aufregende Lichtkunst in ein silbern schimmerndes Schattenreich gewandelt, das am Grund orange glüht. Und die Geister – ihre Knochen sind gewendet – finden in der Beschwörung zueinander.
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