Mannheim. Auch am vierten Abend des Festivals Freier Tanz im Delta XIV sind die Stücke aus allem gewirkt, was zeitgenössischen Tanz ausmacht: Leichtigkeit und Schwere, dunkle Themen und lichte Momente, klare Linien von Körpern im Raum sowie ihre komplexen Verstrickungen. Sascha Koal ist der Organisator des Ganzen und wird nicht müde, der Tanzszene in der Metropolregion Rhein-Neckar sowie ihren Kolleginnen und Kollegen aus anderen Teilen der Welt immer wieder von Jahr zu Jahr Tanz zu ermöglichen. Mit Räumen zum Proben und Aufführungen in seinem Mannheimer Theater im Felina-Areal, aber auch mit Förderprogrammen und Marketing und mit dem eigenen körperlichen Einsatz bei allen Abläufen und Hürden, die es außerdem zu bewältigen gilt.
Formal lassen sich die zehn Werke in Trios, Duos und Solo-Arbeiten einteilen. So hat sich etwa die mit ihrer Tanzschule in Rettigheim ansässige Tänzerin, Choreografin und Pädagogin Christal Schüttler in „Morula“ mit dem französischen Philosophen Jean-Luc Nancy beschäftigt. Ihr Trio dreht sich umeinander wie ein organisch pulsierendes Wesen, das aus individuellen Teilen besteht. „Es gibt keine Ganzheit, nur Fragmente“, hört man die Stimme aus dem Off sprechen. Laut Nancy liegt die Wahrheit auf der Haut. Durch sie werden Körper berühr- und verletzbar und sind ein durchlässiger Teil des Außen. Im Bund der drei Tanzenden – zum Knoten verstrickt oder lose an den Händen gefasst – wird die Idee wunderbar konkret. Anders und doch ähnlich funktioniert „Omnis“ von Andrea Böge, die mit ihrem Trio Beziehungen durch Tanz- und Musikstile knüpft und versiert an den Körpern ineinanderlaufen lässt. So auch „Silent Fences“ von Katja Visschers, die jene Schutzmechanismen der Haut erforscht und an drei Pop-Songs zeigt, wie sich Körper zunehmend beschwingt ihrer Zwänge entledigen.
Tanz als Ausdruck von Verlust und Wandel
Vier Solo-Stücke konzentrieren die Tanzkunst auf den einen Körper. An ihm kann, wie in „Balilla“ von David Kwiek, sichtbar gemacht werden, was wir verlieren oder gewinnen. Mit urbanem Tanzvokabulars zeichnet der Altmeister Kwiek ein düsteres Kapitel zum Faschismus aus der Geschichte nach und konfrontiert es nicht ohne Ironie mit Gegenwart und Zukunft. Aus leichtfüßig hüpfenden, zugleich kunstvoll wendigen Bewegungen wird nach und nach ein Körper, der sich anpasst und zunehmend versteift. Verlust von Komplexität und Diversität werden in der Choreografie eindrücklich deutlich. Auch Tania Hinz erinnert in „Steinmutter“ an den Verlust einer intakten Erde und beschwört sie wie in einem Ritual. Dagegen kleidet Mirko Ingrao in „Through her sunken dream“ Erinnerungen in einen Mantel. Leichtfüßig verhüllt oder offenbart sie die Tänzerin. Anders dagegen „Papillon“ von Jonas Frey, der sich ganz auf sein Sujet reduziert: Mit seinem Körper faltet er auf und ein und wieder auf, wie es ein Schmetterling vermag.
Im Duo „Liquid Angles“ von Seung Hwan Lee werden Linien flüssig und in „Within as if“ von Richard Oberscheven bleibt das, was könnte, wage. Dafür trifft Sade Mamedova in „Exquisite Corpse“ wunde Punkte, die sie mit Bewegung offenlegt. Ihre Tanzarbeit bleibt dabei bis zum Schluss grandios unvorhersehbar. Das alles ist noch einmal zu sehen am Samstag um 18 Uhr im Felina Theater Mannheim. Etwaige Restkarten an der Abendkasse.
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