Ladenburg. Die Nähe zu Freibädern in der Kurpfalz ist für Die Fantastischen Vier immer ein gutes Omen: Im Oktober 1992 brachte ein aus heutiger Sicht winziges, aber medial viel beachtetes Konzert im Heidelberger Schwimmbad Musik Club (neben dem Tiergartenschwimmbad) die Karriere der Stuttgarter Rapper so richtig in Fahrt. Am Samstagabend zeigen sie auf der Ladenburger Festwiese (unweit des Freibads), dass ihre Zugkraft auch im 36. Geschäftsjahr weiter ungebrochen ist: Wieder jubeln 10.000 Fans in der Römerstadt den Rappern Smudo, Thomas D, Michi Beck, Produzent And.Y und ihrer großartigen Live-Band zu.
Das sind exakt so viele wie bei ihrem ersten Open Air am Rande der Altstadt vor sieben Jahren. Trotz grauer Wolken und nicht unbedingt sommerlichen Temperaturen ist die Stimmung urlaubsähnlich gelöst. Dafür sorgt bis 19.45 Uhr der Stuttgarter Turntablerocker DJ Thomilla mit kreativ remixten, aber etwas erwartbaren Klassikern aus dem Rap-Kosmos.
Da die Wolken ihren Inhalt für sich behalten, ist der Boden der auf dem Konzertgelände nur mäßig grünen Festwiese bereitet für den üblichen Abriss der Fanta Vier. Die verbreiten pünktlich um 20 Uhr gleich mit dem ersten Titel „Weekendfeeling“. Der stammt vom aktuellen „Long Player“ (2024), der sprechend ist: Denn die vier Hauptdarsteller, Jahrgang 1967 bis 1968, spielen wirklich schon sehr lange in der ersten Popliga.
Aber die Endfünfziger haben sich frisch gehalten – was ihre Energie auf der Bühne angeht, aber auch musikalisch und stilistisch. So finden sich auf jedem ihrer elf Studioalben seit 1991 Hits, die den jeweiligen Zeitgeist getroffen haben – aber auch heute noch live funktionieren.
Die Setlist demonstriert also berechtigterweise enormes Selbstvertrauen – und Zutrauen in die eigenen Fans, die offen sind für Neues. Kaum eine andere altgediente Band würde es wagen, fast die Hälfte von 30 Songs vor einem feierwilligen Open-Air-Publikum aus ihren jüngsten beiden Alben zu rekrutieren. Die Fantas bauen dagegen wie selbstverständlich neun Stücke vom aktuellen „Long Player“ (2024) und vier vom Vorgänger „Captain Fantastic“ (2019) ein.
Das funktioniert. Weil die neuen Songs „Weekendfeeling“ und das mitreißende „44 Tausend“ schon früh am Abend belegen, dass sie mit den Fanta-Klassikern mithalten können. Und schlechte Konzerte – das ist eine Disziplin, die das Quartett schon wegen seiner mit allen stilistischen Wassern gewaschenen Live-Band um Keyboarder Lillo Scrimali, Drummer Flo Dauner und den an der Mannheimer Musikhochschule ausgebildeten Trierer Bassisten Dominik Krämer überhaupt nicht beherrscht.
Ein paar Abers muss man aber bei dieser Show einflechten: Dass die Konzertbilder auf den drei großen LED-Wänden bis zum siebten Song „Bestandsaufnahme“ komplett Schwarzweiß sind, dämpft unter grauem Himmel die Effekte der Show durchaus. Auch wenn schon beim vierten Song „Danke“ flächendeckend die Hände fliegen. Wie es richtig abgeht, zeigt danach dann der erste Hit aus den 1990ern: „Populär“.
Ein paar Nummern früher hätte er aus der guten Stimmung wahrscheinlich Euphorie gemacht. Dafür kommt die prädestinierte Schlussnummer „Troy“ kurz nach der Mitte des Programms zu früh und wird nur halb so ekstatisch mitgeschmettert wie 2018 beim Debüt der Vier in Ladenburg oder 2015 in der Mannheimer SAP Arena. Wenn man speziell diese Show als Benchmark für Stimmung bei Fanta-Konzerten ansetzt, dann wird sie erst im letzten Drittel erreicht.
„Omas gegen Rechts“ sammeln Becherpfand auf Festwiese in Ladenburg
Aber dass man solche hohen Ansprüche anlegt, spricht für das konstant hohe Niveau des Quartetts. Das verdanken sie auch der Tatsache, dass es ihnen früh egal vor, was die Hip-Hop-Stilpolizei von ihrem Sound hält. Der ist offen für alles zwischen Rock und Jazz, vor allem für poppige Eingängigkeit – die aber der oft brillante (und witzige) Reimfluss der drei völlig unterschiedlichen Rapper und And.Ys sehr oft genialen Sound-Ideen fast immer vor Banalität bewahren.
Und der gern aus der Heidelberger Puristenszene um Advanced Chemistry geäußerte Vorwurf, von den Fantastischen Vier käme nur belangloser Spaß-Rap à la „Die da!?“ stimmte schon in den 1990ern nicht. Früh gab es einen sozialkritischen Song wie „Es wird Regen geben“. Heute muss man lange suchen, um einen Songtext zu finden, der wie „Endzeitstimmung“ die Probleme unserer Zeit präzise auf den Punkt bringt – individuell wie gesellschaftlich.
Die Ansagen dazu sind unaufdringlich, aber eindeutig. „Unsere Aufgabe ist es, dagegen zu gehen, gegen diese verdammte Endzeitstimmung“, sagt Michi Beck. Und Smudo erklärt dezent, dass die Vier die Hamburger Initiative „Laut gegen Nazis“ unterstützen. Strahlend gut gelaunte „Omas gegen Rechts“ wandern durchs Publikum und sammeln Becher, mit denen man die drei Euro Pfand einfach spenden kann.
Fanta Vier zum zweiten Mal in Ladenburg - das Programm
Hauptteil
1. Weekendfeeling (2024)
2. Heute (2014)
3. 44 Tausend (2024)
4. Danke (2010)
5. Aller Anfang ist Yeah (2018)
6. Hitisn (2018)
7. Bestandsaufnahme (2024)
8. Populär (1995)
9. Dann mach doch mal (2010)
10. Du mich auch (2007)
11. Endzeitstimmung (2018)
12. Win Win Win (2024)
13. Der Picknicker (1995)
14. Le Smou (1999)
15. Die da?! (1992)
16. 25 (2014)
17. Troy (2004)
18. Mehr nehmen (2007)
19. Was man will (2024)
20. Tag am Meer ( (1993)
21. Inferno (2024)
22. MfG (1999)
23. Wie weit (2024)
24. Sie ist weg (1995)
25. Projekt Y (2024)
26. Ernten was wir säen (2007)
Zugabe
27. Aufhören (2024)
28. Einfach sein (2007)
29. Smudo in Zukunft (2010)
30. Zusammen (2018)
„Der Picknicker“, „Die da!?“, „25“ oder „Troy“ lösen immer wieder starke Stimmungswellen aus. Der gewohnte Tsunami entwickelt sich konsistent aber erst im letzten Drittel der knapp zwei Stunden – und das ausgerechnet nach den zwei ruhigsten Songs des Abends: der unwiderstehlichen Hitballade „Tag am Meer“ und der aktuellen Thomas-D-philosophiert-Solonummer „Inferno“. Die sorgt für den Gänsehautmoment der Show, weil das Thema Tod im Pop selten so offen, aber irgendwie tröstlich besungen wird – auch von Kadavar-Rocker Lupus Lindemann.
Aber danach geht die Party los: Der Abkürzungs-Marathon „MFG“ funktioniert auch nach 26 Jahren, der Mia.-Refrain „Wie weit“ mit einer quietschbunt-knallig ins Video integrierten Frontfrau Mieze Katz räumt genau so ab wie der inbrünstig mitgesungene Großhit „Sie ist weg“. „Projekt Y“, bei dem der früher so rampenlichtscheue And.Y souverän und kreativ das Ruder übernimmt, setzt einen experimentellen, aber weiter mitreißenden Kontrapunkt zu einer dreidimensionalen Laser-Geometrie-Show. „Ernten was wir säen“ setzt in der „Schweinerock“-Version das absolute Glanzlicht des Abends, bei dem die Band ihre Muskeln kraftvoll spielen lässt – vor allem Flo Dauner und der erstaunlich ungerührte Gitarrist Markus Birkle.
Dann beginnt ohne große Wartezeit die vierteilige Zugabe mit dem druckvollen „Aufhören“ und der beliebten Mitsingnummer „Einfach sein“. „Smudo in Zukunft“ ist dann noch ein letzter Kreativitätsnachweis, der dank Smudos unglaublichem Tempo-Rap und einem optisch wie musikalisch krachendem The-Prodigy-Zitat total abräumt.
Schlussnummer ist der Fußball-EM-Song von 2018, zu dem Clueso die Hookline liefert und vor dem Thomas D den Fans authentisch für die eigene große Karriere dankt: „Das geht nur … Zusammen!“ Der Refrain „Wir sind zusammen groß/Wir sind zusammen eins“ hört sich trotz des gewohnt exzellenten Sounds auf der Festwiese an wie „Wir sind zusammen alt.“ Aber die Endfünfziger auf der Bühne strotzen am furiosen Ende der Show genau so vor Energie wie ihre begeisterten Fans. Wahrscheinlich hält die Nähe zu Freibädern fit.
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