Schauspiel

„Der Mann im Tauchanzug“ feiert im Theaterhaus G7 Premiere

NIemand kennt den toten Migranten, um den sich bei der Premiere von „Der Mann im Tauchanzug“ in Mannheim eine beklemmende Geschichte entspinnt.

Von 
Martin Vögele
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Matthias Hecht und Bernadette Evangeline Schlottbohm spielen in „Der Mann im Tauchanzug“. © Arthur Bauer

Mannheim. Eine Skizze des jungen Mannes macht im Lager die Runde. Aber niemand kann sich an ihn oder an einen Tauchanzug erinnern. „Es ist schon traurig“, sagt Youssef mit ruhiger Stimme, „dass niemand mehr weiß, wer er war. Aber so ist das nun mal - keiner interessiert sich für einen toten Migranten.“ Es sind Momente und Sätze wie dieser, die bei der Premiere von „Der Mann im Tauchanzug“ am Mannheimer Theaterhaus G7 in ihrer nüchternen Wahrhaftigkeit hart aufschlagen.

Dabei beginnt das Stück des belgischen Autors Freek Mariën, das die Co-Leiterin des Theaters, Inka Neubert, als deutschsprachige Erstaufführung inszeniert, wie eine klassische nordische Noir-Krimi-Geschichte. Die Bühne wirkt zunächst leer, die Szenerie nimmt allein durch die Beschreibung von Schauspieler Maximilian Wex Gestalt an, der sich eine Strickjacke überstreift und erklärt, er sei jetzt „ein alter Architekt“ und „wir sind in Norwegen.“

Drei Akteure schlüpfen in fast 30 Rollen

Bei einem Spaziergang mit seinem Hund entdeckt er den titelgebenden Tauchanzug an einer skelettierten Leiche und startet damit die Untersuchungen eines prototypischen Ermittler-Ensembles: Inspektor Westermann wird von Matthias Hecht verkörpert– mit Cord-Sakko am Leib und Trauma eines ungelösten Mordes an einem Mädchen in der Seele. Der junge, eifrige Kriminologie-Praktikant Magnussen wird gespielt von Bernadette Evangeline Schlottbohm. Und Wex verwandelt sich in den Leiter der Abteilung für vermisste Personen, Hustvedt: „Glatze, Schnauzer und eine Zigarette zwischen den Goldzähnen“, beschreibt er sich selbst.

Das bleibt nicht ohne Humor und wird zudem stilgerecht von einem unterschwelligen, klandestin-jazzigen Soundtrack begleitet, für den Philippe Mainz sorgt. Man könnte sich jetzt geradewegs in eine Hygge-zertifizierte Wolldecke hüllen und sich schaurig-wohlig unterhalten lassen.

Recherchen einer Journalistin als roter Faden

Aber das hat Autor Freek Mariën so nicht vorgesehen. Denn nachdem eine weitere Leiche in einem Neoprenanzug gefunden wird, treibt die Geschichte entgegen der Meeresströmung gen Niederlande und Frankreich, wo eine Journalistin zu recherchieren beginnt - und der Ton düsterer wird.

Neubert inszeniert das 2019 uraufgeführte, von wahren Begebenheiten inspirierte Drama nur mit den zwei Spielern und der Spielerin, die insgesamt fast 30 Figuren verkörpern und zudem zu Erzählern werden. Schlottbohm, Wex und Hecht zeigen sich bemerkenswert wandlungsfähig, schlüpfen durch wenige Requisiten, Tonfall, Akzent- und Ausdrucksverschiebungen in immer neue Charaktere.

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Die jeweiligen Ortsmarken der Handlung werden auf die Bühne projiziert, die zudem in geometrisch-geografisch anmutende Lichtmuster gehüllt wird. Das Lichtdesign verantwortet Stefan Grießhaber. Dünne Fäden hängen von der Decke, an die nach und nach Beweisstücke wie der Neoprenanzug geheftet werden. Bald kommen Aktenblätter, zerrissenen Plastikfolien und Papierbögen dazu, die sich zu einem schier undurchdringlichen Dickicht formieren.

Schockierende Einblicke in den „Dschungel von Calais“

Als der „Dschungel von Calais“ wurde auch das Zeltstadt-Lager nahe der nordfranzösischen Hafenstadt bezeichnet, in dem bis zu seiner Räumung im Herbst 2016 über 9000 Geflüchtete gelebt haben sollen. Dort werden weitere Schicksale miteinander verflochten: Der Londoner, einst selbst aus Syrien geflohene Übersetzer Youssef (Hecht) begleitet die (nicht selbst in Erscheinung tretende) Reporterin in das Lager. Dort trifft er den geflüchteten Mouaz (Wex), der verzweifelt selbst in „das Land von Paddington“ gelangen will. Und den Sozialarbeiter, Luc (Schlottbohm), dessen Großeltern aus dem Libanon kamen, der aber immer noch als Nicht-Franzose behandelt und von der Polizei angegangen wird.

Die Recherchen führen schließlich nach Syrien, nach Damaskus, von wo Neimat - der als der Tote im Tauchanzug identifiziert werden kann – stammt. Zu seiner Mutter, seinem Vater und Bruder, dem die Assad-Schergen das Knie zerschossen haben.

Das Stück und seine Geschichte

  • „The Wetsuitman“ wurde 2019 im DE Studio in Antwerpen uraufgeführt . Der unter anderem mit dem Niederländisch-Deutschen Kinder- und Jugenddramatikerpreis ausgezeichnet belgische Autor und Theatermacher Freek Mariën führte dabei auch Regie.
  • Die deutsche Übersetzung des Stücks aus dem Flämischen stammt von Barbara Buri.
  • „Der Mann im Tauchanzug“ wird am Mannheimer Theaterhaus G7 wieder am 26. und 27. September sowie am 7. und 8. November aufgeführt.
  • Nach der Vorstellung am 27. September findet ein Hausgespräch mit dem Autor statt.
  • Weitere Informationen und Karten gibt es online unter www.theaterhausg7.de.

Das exzellent geschriebene, dicht inszenierte und eindrücklich gespielte Drama bezieht einen guten Teil seiner Überwältigungskraft aus dem bestürzenden Fakt, dass sich eine solche oder ähnliche Geschichte wohl tagtäglich zuträgt. Nur wird hier einem anonymen Fluchtopfer ein Name gegeben, sein Schicksal beschrieben und von einem Funken Hoffnung erzählt, der auf dem Weg nach England in den kalten Fluten ertrinkt.

So beklemmend endet das Stück, der Theaterabend aber nicht: Überraschend wird anschließend Einhart Klucke für 30 Jahre verdienter Mitgliedschaft im Trägerverein Theater TrennT gewürdigt, der zudem auch als Schauspieler und Kabarettist unvergessen geblieben ist.

Freier Autor

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