Nationaltheater

20 Jahre Kinderchor des NTM Mannheim: Musik, Gemeinschaft und Erinnerungen

Der Kinderchor des Mannheimer Nationaltheaters feiert 20 Jahre musikalische Highlights und prägende Erlebnisse. Ein Gespräch mit Gründerin Anke-Christine Kober.

Von 
Ute Maag
Lesedauer: 
Der Kinder- und Jugendchor des Nationaltheater Mannheim als Protagonist im "Schmied von Gent". © Christian Kleiner

Mannheim. Seit 20 Jahren bereichert der Kinderchor des Mannheimer Nationaltheaters unter der Leitung von Anke-Christine Kober und ihrer Assistentin und Pianistin Andrea Weigold Opern-Inszenierungen mit sängerischer Klasse und spielerischem Charme. Die Gründerin spricht im Interview über ein nicht selbstverständliches Jubiläum, besondere Erlebnisse und das Singen als Schule fürs Leben.

20 Jahre NTM-Kinderchor – was bedeutet das für ein Kind im Grundschulalter?

Anke-Christine Kober: (lacht) Diese Zahl musste erst mal sacken! Gerade die Kleinsten in unserem Chor konnten mit dem Begriff „Jubiläum“ zunächst nicht viel anfangen. Aber inzwischen merken alle, dass unser Konzert am Samstag etwas Besonderes ist, dass es neue T-Shirts gibt und dass eine besondere Nervosität herrscht. Sie sprechen auch drüber! Neulich sagte ein Mitglied des Jugendchors zu einem unserer Jüngsten: „Ich hab‘ schon im Chor gesungen, da warst du noch gar nicht geboren.“ Außerdem erwarten wir viele Ehemalige, die zum Teil schon 2005 bei der allerersten Probe dabei waren. Das werden sicher spannende Begegnungen.

Und was bedeutet das Jubiläum für Sie?

Kober: Ich finde es großartig, dass wir es geschafft haben, über eine so lange Zeit immer einen großen Chor mit 140 Kindern zu haben und dass wir als Team an unseren Aufgaben gewachsen sind – wie zum Beispiel während der Coronakrise, als wir oft improvisieren und kreativ neue Wege suchen mussten. Für unsere Jubiläums-Broschüre haben wir unsere aktuellen und ehemaligen Sängerinnen und Sänger gefragt, was der Chor ihnen bedeutet. In vielen Antworten wird deutlich, wie sehr er ihre persönliche Entwicklung geprägt hat. Viele sprechen von unserem Chor als ihrer zweiten Familie.

Mehr zum Thema

Musiktheater

Mannheim bejubelt seine neue „Czárdásfürstin“

Veröffentlicht
Von
Stefan M. Dettlinger
Mehr erfahren
Theatertage

Gastspiel „Artus“ im NTM: Vom Schweinehirt zum König

Veröffentlicht
Von
Tanja Capuana
Mehr erfahren
Tanz

Wie Tänzer in Mannheim zu Choreografen werden

Veröffentlicht
Von
Ralf-Carl Langhals
Mehr erfahren

Wie kam es 2005 zur Gründung?

Kober: Regula Gerber, die damalige Intendantin, wollte einen eigenen, fest im Haus verankerten Kinderchor haben. Ich habe damals an der Chorakademie Dortmund Kinderchöre geleitet und als Stimmbildnerin gearbeitet. Zusammen mit meinem Mann Axel Kober, der am Nationaltheater engagiert war, habe ich Frau Gerber mein Konzept eines Kinderchores vorgestellt und sie dafür begeistern können. So haben wir kurz vor den Sommerferien eine Annonce in der Zeitung geschaltet und zu Schnupper-Chorproben eingeladen.

Stimmt es, dass Sie dann allein vor 300 Kindern standen?

Kober: (lacht) Ja - der Orchesterprobenraum war rappelvoll! Das einzig mögliche war: sofort lossingen. Hinterher habe ich mir überlegt, wie wir mit diesem riesigen Interesse umgehen könnten. Nach den Ferien haben wir alle vorsingen lassen und Gruppen gebildet. Rund 170 Kinder sind längerfristig dabeigeblieben.

Einige von ihnen standen schon im Herbst 2005 erstmals auf der Bühne des Nationaltheaters.

Kober: Eigentlich sollte die Humperdinck-Oper „Hänsel und Gretel“ zu Weihnachten unser erster Auftritt sein. Aber dann fragte Johannes Schaaf, der gerade „Le Nozze di Figaro“ inszenierte, ob er nicht einige Blumenmädchen und die Schulklasse mit unseren Kindern besetzen könnte. Sie mussten schwierige Koloraturen singen! Ich hatte keine Ahnung, ob wir das schaffen würden. Aber: Sie haben das ganz prima gemacht und bei jeder Aufführung Bravos bekommen.

Chor und Dirigentin



  • Anke-Christine Kober studierte Gesang an der Hochschule „Hanns Eisler“ in ihrer Heimatstadt Berlin.
  • Nach Engagements u.a. in Schwerin und Berlin sowie dem Start ihrer Karriere als Chorleiterin und Stimmbildnerin in Dortmund gründete die Sopranistin 2005 den Kinderchor am Nationaltheater Mannheim , den sie bis heute leitet.
  • Der Chor besteht aus 140 Sängerinnen und Sängern in vier nach Alter und Stimmentwicklung gestaffelten Gruppen. Neben der intensiven Chorarbeit widmet sich Kober der solistischen Ausbildung der begabtesten Kinder und Jugendlichen.
  • Zum Jubiläum erscheint eine 72-seitige Broschüre , die auf mehr als 30 Produktionen sowie die jährlichen Konzerte zurückblickt und ehemalige Mitglieder zu Wort kommen lässt.
  • Das Jubiläumskonzert findet am Samstag, 26. Juli, um 16 Uhr in der Oper am Luisenpark (OPAL) statt . Nach der gut zweistündigen musikalischen Party wird vor dem OPAL weitergefeiert. Karten gibt es telefonisch unter 0621-1680150 oder online auf www.nationaltheater-mannheim.de.

Die Ansprüche an den Kinderchor eines solch professionellen und renommierten Hauses sind hoch. Wie vermeiden Sie es, Kinder zu überfordern?

Kober: Ich bin mit großem Respekt an die Aufgabe gegangen, denn die Kinder müssen sehr viel leisten. Das Stimmliche ist das Eine: In „Die Frau ohne Schatten“ von Richard Strauß zum Beispiel singen sie bis zum dreigestrichenen C. Wir gehen bei Einstudierungen bis heute sehr vorsichtig vor und bilden einzelne Stimmgruppen. Und, toi, toi, toi, wir haben in 20 Jahren nie Probleme mit stimmlicher Überforderung eines Kindes gehabt. Die zweite Herausforderung ist das Szenische: Die Kinder müssen ihren Einsatz erwischen, sie müssen ihre Position kennen und wissen, was sie zu tun haben. Meist können wir von außen helfen, aber bei Inszenierungen mit Dreh- und Hebebühne ist das nur sehr begrenzt möglich. Das verlangt von den Kindern viel Eigenverantwortung. Meine Erfahrung ist, dass sie unser Zutrauen und das Gefühl, solche Herausforderungen meistern zu können, fürs Leben mitnehmen.

Sie legen viel Wert auf individuelle Förderung. Die drei Knaben, die als Solisten in der „Zauberflöte“ auftreten, gehören seit Jahren zu den Aushängeschildern des NTM. Was passiert mit den Knaben, wenn sie in den Stimmbruch kommen?

Kober: Der Stimmbruch erfordert eine besondere Begleitung. Die Mutation zur Tenor- oder Baritonstimme vollzieht sich über einen Zeitraum hinweg. In unserem Chor der jungen Männerstimmen fangen wir die Stimmwechsler auf, denn es wäre schade, wenn ihr Talent und ihre Freude am Singen verloren gehen würden.

Welche der 33 Produktionen, an denen der Kinderchor in zwei Jahrzehnten mitgewirkt hat, sind Ihnen in besonderer Erinnerung geblieben?

Kober: „Alpha – Omega“, die letzte Choreografie von Kevin O‘Day am Nationaltheater war besonders, weil sie Improvisationselemente für die Kinder beinhaltete und auch weil es die erste Zusammenarbeit zwischen Kinderchor und dem Ballett war. Für die Kinder war es eine tolle Erfahrung, die Konzentration und Disziplin der Tänzer in den Proben zu erleben. Oder „Vespertine“ …

… mit der Musik von Björk …

Kober: … und Vorstellungen bei großer Hitze. Die Kinder stellten Steine dar und sangen komplexe, sich wiederholende Vokalisen. Vor jeder Vorstellung haben wir ihnen ein Eis spendiert und ihnen Coolpacks und kleine Ventilatoren in die schweren Kostüme gesteckt. Ich hatte ständig Sorge, dass jemandem schlecht wird. Es ist aber nie was passiert.

In der aktuellen Spielzeit hat der Kinderchor viel Lob für seine Auftritte in der Schreker-Oper „Der Schmied von Gent erhalten“.

Kober: Das ist ein anspruchsvoller Einsatz mit viel Bewegung und Freeze-Elementen auf einer sich drehenden Bühne, der den Kindern einen Riesenspaß macht! Und der wieder eine intensive und sehr freundschaftliche Zusammenarbeit mit dem Opernchor mit sich brachte, die sich jetzt bei den ersten Proben für „Pagliacci“ für die neue Spielzeit fortsetzt.

Wie werden Sie das Jubiläumskonzert am Samstag in der Oper am Luisenpark gestalten?

Kober: Als große Party mit Songs von Abba, den Comedian Harmonists und aus Disney-Filmen! Wir haben das Glück, im Bühnenbild der „Csárdásfürstin“ aufzutreten, mit der Revuetreppe aus dem ersten Akt, und planen eine abwechslungsreiche Show. Luches Huddleston jr. (der Leiter des NTM-Bewegungschors, Anm. d. Red.) hat mit den Kindern Choreografien einstudiert. In wechselnden Formationen zeigen Kinderchor I, Kinderchor II, der Jugendchor und unsere Jungen Männerstimmen, was sie können. Ich habe auch viele Ehemalige kontaktiert, die im Konzert einen eigenen Chor bilden werden. Wie viele wirklich kommen, weiß ich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht! Nach dem Konzert gibt‘s eine große Feier vor dem OPAL.

Bei Opern ist Ihnen vorgegeben, was Sie einstudieren. In ihren Konzertprogrammen sind Sie freier. Wer entscheidet, was ins Repertoire kommt?

Kober: Unsere Chorkinder sind sehr offen für Neues, so dass ich auch Ihre Vorschläge in die Programme einarbeiten kann. Oft muss sich die Beliebtheit eines Stücks erst entwickeln. Beim Kunstlied fällt Kindern der Zugang oft erstmal schwerer, oder wenn es in einem Text um Liebe geht – da gibt es Berührungsängste. Ich gebe ihnen Zeit, mit einem Stück warm zu werden. Und wenn ich feststelle, ich bin die Einzige, die das mag, dann muss ich als Chorleiterin halt auch mal sagen: Das hör ich mir zuhause an, wir singen was anderes.

Autor

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen

VG WORT Zählmarke