Mannheim. Ist das jetzt doch wieder so ein anachronistischer Abend, eine ach so lustige Zwangsveranstaltung, deren einziges Existenzrecht darin besteht, die Menschen zum Lachen zu bringen, Lachen in Zeiten, in denen längst allen klar sein sollte, dass das Lachen in Wahrheit nur das letzte Mittel gegen tief sitzende Verzweiflung ist? Vielleicht. Vielleicht wollen wir heute auch nicht sehen, dass hinter der Sehnsucht nach Leichtigkeit ein Abgrund von Schwermut gähnt – während wir die immergleichen Melodien bejubeln, die wie Narkotika wirken, betäubend, lähmend, eine grandiose Verweigerung der Wirklichkeit. In Mannheim fordern manche Opernfans seit Jahren, ach was, seit Jahrzehnten mal wieder eine und mehr Operette und damit ihr Recht auf Fröhlichkeit ein. Als läge Rettung darin. Aber die Kehrseite: Was nützt die Tragödie (auf den Brettern) gegen die Tragödie (der Zeit)? Eben: nichts!
Opulente Inszenierung mit sozialkritischem Augenzwinkern
Und so sprudelt sie jetzt also dahin im Opernhaus am Luisenpark (Opal), „Die Czárdásfürstin“, die Possen, die Ohrwürmer, die ungarische Volksnote und natürlich der ganze Sexismus der damaligen Zeit, der nun mal einfach zu diesem Werk von Emmerich Kálman gehört, der gewissermaßen werkimmanent ist. Das Lachen entfährt einem dabei als All-Inclusive und mitunter vollkommen ungewollt in diesem gesellschaftlichen Zwangslachprogramm, das die österreichische Regisseurin Stephanie Schimmer mit Davide Raiola (Bühne), Falk Bauer (Kostüme) und Johanna Bodor (Choreografie) in verschwenderischer Opulenz und Buntheit auf die Bühne wirft. Dem Publikum im ziemlich vollen Opal gefällt‘s, am Ende gibt es langen Jubel im Stehen, Kapellmeister Janis Liepins schmeißt sogar noch mal die C-Dur-Marschmaschine an und erinnert uns daran, dass es nun mal ist, wie es ist: „Ganz ohne Weiber geht die Chose nicht.“ Die Euphorie im Mannheimer Publikum kennt keine Grenzen.
Keine Frage: Mit diesem, ja, witzigen Abend bedient Opernintendant Albrecht Puhlmann sein Publikum aufs Beste. Kaiserreich, Habsburger Monarchie, „Sissi“, Tolstois „Krieg und Frieden“ und die dräuende Moderne mit den Roaring Twenties, Uniformen, Bärte, edle Kleider und kurze Röcke – all das ist da, ist irgendwie virulent in diesem maximalen Historienspektakel, das rüberkommt wie ein alter Film und seine zeitgenössischen Brechungen nicht bei den historisierenden Gewändern, nicht bei den klassizistischen Kulissen oder sonstigem Fürsten-Inventar offenbart, sondern allein in der Figurenzeichnung und Sprache, der Operetten-Fassung, die Schimmer erarbeitet hat.
Immerhin: Die überwiegend aus dem Varieté Orpheum stammenden „Weiber“ (sie werden wirklich so genannt) stehen hier am Ende nicht nur als von Männern bewundernde und dominierte It-Girls oder Edel-Adlige da, die tanzen und singen können, viel nackte Haut zeigen und dabei auch noch verdammt gut aussehen.
Schimmer kehrt die Rollen nämlich durchaus auch mal um und erinnert daran, dass seit der Uraufführung dieses (sich dann doch schon im Herbst befindenden) Evergreens 110 Jahre vergangen, einige Gleichberechtigungsgesetze für Menschen ohne Y-Chromosom verabschiedet und der gesellschaftliche Umgang mit Frauen zum Glück generell anders geworden sind. So hält gegen Ende nicht (Mann) Boni um die Hand von (Frau) Stasi an. Es ist sie, die sich hinkniet und fragt, ob er sie heiraten will. Ohne diese feinen Nuancen würde der Abend auch nicht in Ordnung gehen – „Die Czárdásfürstin“ schreit dann doch – wie so manche Oper? – nach einer Art kommentierten Ausgabe.
„Die Czárdásfürstin“ in Mannheim
- Das Werk: Die Csárdásfürstin, auch Czárdásfürstin, ist eine Operette in drei Akten von Emmerich Kálmán mit einem Libretto von Leo Stein und Bela Jenbach. Sie wurde am 17. November 1915 im Johann-Strauß-Theater in Wien uraufgeführt und gilt als Kálmáns erfolgreichste Operette, die mehrfach verfilmt wurde. Die Handlung spielt in Budapest und Wien, unmittelbar vor Beginn des Ersten Weltkriegs.
- Die Handlung: Es geht um die berühmte Varietésängerin Sylva Varescu und den jungen ungarischen Fürstensohn Edwin. Die beiden sind verliebt, doch Edwins Familie lehnt Sylva wegen ihrer bürgerlichen Herkunft als Schwiegertochter ab. Während Sylva versucht, sich mit einer Ersatz-Ehe abzufinden, kämpft Edwin um die Anerkennung ihrer Liebe und bricht mit den Erwartungen seiner adeligen Familie. Am Ende führt eine Reihe von Verwechslungen und Enthüllungen dazu, dass das Paar doch zusammenfinden darf und sich auch andere Liebespaare glücklich vereinen.
- Die Termine: 17., 19., 21., 23., 25., 27 und 29. Juli, 26., 28. September, 2., 5. Oktober, 31. Dezember, 1., 4., 18. Januar 2026, 19., 24., 26. April 2026, 10., 25. Mai 2026.
- Info: 0621/1680.150 und auf der Website des NTM.
Aber so, wie Schimmer feinfühlig am Text schraubt, wie sie systematisch 14 Mal das Wort „Zigeuner“ gestrichen hat, wie sie etwa das Attentat von Sarajevo auf den Österreich-Ungarischen Thronfolger, Erzherzog Franz Ferdinand von Österreich-Est, einbaut oder überhaupt immer wieder zeigt, dass am Ende die Frauen die Hosen anhaben können, ist absolut gelungen – zumal es subkutan tatsächlich im Werk steckt, was man allein an einer Comtesse Anastasia-Strophe ablesen kann: „Nicht so stürmisch, nur hübsch parlando! / Glaub‘, dass Dir das schon passen möcht‘ / Kommst Du einmal erst, Freundchen, unter mein Kommando, Burscherl, dann geht‘s Dir schlecht!“ Bei Theresa Steinbach ist sie übrigens in guten Händen, diese Stasi (von Ana’Stasi‘a), der Steinbach die spitze und kecke Operettennote genauso vermacht wie den fast im Parlando gesungsprochenen Konversationston.
Musikalische Umsetzung überzeugt weitgehend
Und Schimmers Team treibt es bei all dem auf der Bühne einen Abend lang richtig bunt. Beine werden gehoben, Hinter- und andere Körperteile geschüttelt und schmissige Tänze aufs Parkett gelegt, bei denen das Performance Studio und die Statisterie helfen. Auf- und Abtritte sind dynamisch, schlüssig und homogen, die Drehbühne erlaubt rasche Szenenwechsel zwischen Varieté-Glamour, Künstlergarderobe, Abschminken, Fürstenpalast und Bahnhofs-Atmo. Das Auge bekommt viel geboten, mitunter fühlt man sich mitgenommen in einen Sog, wie man ihn aus dem Kino kennt, wenn etwas läuft, wogegen man sich gern wehren würde, aber nicht kann.
Man muss kein Freund der Operette sein und auch nicht von Schimmers ganz leicht modifizierter Historisierung – aber die Chose funktioniert. Zumal sie musikalisch bei Janis Liepins, dem NTM-Orchester in soliden Händen liegt. Die Märsche sind schmissig, die Walzer schunkeln sogar fast ein bisschen wienerisch mit der berühmten vorgezogenen Zwei im Dreiertakt, und die Koordination zwischen Bühne und Graben ist überwiegend gut gelöst. Allein: Würde ein Ticken mehr Rubato und Federn noch mehr musikalisches Augenzwinkern und Wiener Schmäh erzeugen? Vielleicht. Alistair Lilleys Opernchor jedenfalls beeindruckt gleich vom „Olala, so bin ich gebaut“ aus, klingt voll und spielfreudig, das Orchester voll auf der Höhe. Nur bisweilen gerät die Orchester-„Begleitung“ etwas kräftig – etwa, wenn Christopher Diffey als Czárdásfürstinliebhaber Edwin spricht oder singt und sein lyrischer Tenor vor allem im tieferen Register einige Mühe hat, über dem Tutti zu strahlen. Sein „Heut′ Nacht hab ich geträumt von dir“ hingegen liefert er klangschön und beseelt ab.
Weniger Probleme damit haben Thomas Berau (als Feri Bácsi fast mit der Nonchalance von Thomas Gottschalk ausgestattet) und – natürlich – Joachim Goltz (Boni), dessen Bariton-Rohr mit lukullischen Obertönen ohne Mühe alles überstrahlen könnte. Beide singen und spielen ihre Figuren mit viel Verve und Überzeugung. Großartig.
Astrid Kesslers Sylva Varescu hat darstellerisch alles. Statur. Sportlichkeit. Sex-Appeal. Selbstbewusstsein. Präsenz. Die Kräfteverhältnisse auf der Bühne stimmen, alles läuft auf sie hinaus. Stimmlich gelingt ihr ebenso fast alles und eine Personenzeichnung, die vielleicht lediglich einen Hauch zu viel Dramatik und operale Ernsthaftigkeit ausstrahlt, wo es Augenzwinkern, Leichtigkeit und Diktion bräuchte. Dennoch ist sie gleich mit ihrem ersten Lied „In den Bergen ist mein Heimatland“ voll da und überzeugt.
Adeliges Duo sorgt für humorvolle Highlights
Der Auftritt von Thomas Jesatko und Michaela Schneider als Edwins Fürsteneltern von und zu Lippert-Weylersheim bringt nach der Pause deutlich Dynamik in den Abend, der mit seinen insgesamt 160 Minuten inklusive Pause nicht zu den kürzesten gehört. Jesatko und Schneider als überzeichnetes altes Adelspaar sind –neben dem ewig-kommödiantischen Goltz – das Witzigste an dem Abend, auch weil Jesatko, wo Goltz mitunter „Mannemmert“, wenigstens „a bisserl Wianerisch in die Soche“ bringt. Sätze wie: „Ich gebe jeden Widerstand auf. Zwei Chansonetten in der Familie, mein Stammbaum zerfällt (in lauter Brettl) in Kleinholz!“ führen zu großem Gelächter im Publikum.
Ilja Aksionov (Rohnsdorff) Peter Maruhn (Kiss, Notar) sowie die Bühnenmusiker Naomi Schmidt, Mark Johnston, Bernd Ballreich und Christoph Prüfer tragen ebenso wie die vielen anderen zum Gelingen dieser Produktion bei, die – nebenbei bemerkt – auch eine Leistungsschau der Opernsparte am NTM ist.
Ist das am Ende also doch wieder so ein anachronistischer Abend, eine ach so lustige Zwangsveranstaltung, deren einziges Existenzrecht darin besteht, die Menschen zum Lachen zu bringen in Zeiten, in denen längst allen klar sein sollte, dass das Lachen in Wahrheit nur das letzte Mittel gegen tief sitzende Verzweiflung ist? Ja, aber das macht nichts, denn die Welt mit ihren Irren und Wirren hat uns ohnehin schnell wieder.
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