Mannheim. In der Stimme schwingt mal Stolz, mal sogar so etwas wie Ehrfurcht mit. „Ein Meilenstein ist erreicht“, freut sich Marcus Augsburger, der Technische Betriebsleiter der Generalsanierung des Nationaltheaters. „Unsere Kathedrale“, sagt respektvoll Tilmann Pröllochs, der Geschäftsführende Intendant, und blickt nach oben. Denn zwölf Meter hoch ist der künftige Orchesterprobensaal des Nationaltheaters am Goetheplatz, davon acht Meter unterhalb des Straßenniveaus. Und hier ist der Aushub beendet, die erste Betonschicht aufgebracht - und damit ein wichtiger Fortschritt bei der Baumaßnahme erreicht.
Der unterirdische Bau gilt als einer der kniffligsten, kompliziertesten Teile der Generalsanierung. Schließlich muss er unter den bestehenden Bau geschoben werden - eine statisch gewaltige Herausforderung, weshalb riesige Stahlstützen in der Grube stehen und per Laser wird rund um die Uhr gemessen, dass die Konstruktion hält und es ja keine Verschiebungen im Spielhaus gibt.
„Entsetzt“ über ersten oberirdischen Entwurf
Nötig ist das, weil der bisherige Orchesterprobensaal schlicht zu klein war. „Unzeitgemäß. Zu laut, zu eng, zu stickig“, wie es mal ein Musiker gegenüber dem „MM“ formuliert hat, schlicht „unzumutbar“. „Er entsprach nicht mehr den Arbeitsschutzvorschriften“, fasst Pröllochs zusammen. Beim Bau in den 1950er Jahren gab es andere Grenzwerte, andere Erkenntnisse über Lärm und seine gesundheitlichen Auswirkungen. In voller Besetzung, also über 100 Musiker, durfte dort aufgrund des hohen Schalldrucks nur mit Gehörschutz geprobt werden - was keine effektiven Proben zulässt.
Zunächst hatte das Planungsteam unter Leitung des Architekturbüros Schmucker und Partner zwar 2017 eine andere Lösung vorgeschlagen - einen Anbau, der nur teilweise unterirdisch entstanden wäre. Das obere Drittel wäre auf der Theater-Seite zum Luisenpark sichtbar gewesen. Das wurde eigens mal mit Gerüsten und Planen simuliert, erinnert sich Architekt Andreas Schmucker. „Entsetzt“ seien die Reaktionen der Verantwortlichen der Stadt gewesen, wegen Eingriff in das Stadtbild und auch starker Beeinträchtigung des Denkmalschutzes. Daher habe man neu geplant. „Wir wussten lange nicht, ob das überhaupt geht“, so Schmucker, aber es habe sich dann doch realisieren lassen.
Jetzt ist der Beweis erbracht, dass es klappt. Die Seitenwände sind per Betoninjektionsverfahren hergestellt, auf der Baugrube die unterste, die sogenannte Sauberkeitsschicht aufgebracht. Zwölf Meter bis zur Decke sind es jetzt - noch. Auf die unterste Schicht kommen nämlich 16 Zentimeter dicke Dämmplatten, die ein kleiner Radlader gerade auf Paletten hereinfährt. „Die dämmt, hält das Wasser ab“, erläutert Augsburger. Er bestehe aus Recyclingmaterial, aus aufgeschäumtem Glas, erklärt Schmucker. Wenn das alles verlegt ist, folgt darauf die 50 Zentimeter dicke betonierte Bodenplatte - doch um die herzustellen, darf es keine Minustemperaturen haben.
Weiter Probleme mit eindringendem Wasser
Auch auf die Spritzbetonschicht an den Wänden kommt noch eine dicke Isolierung, schließlich sitzen die Musiker künftig tief im Boden. Gerade sind Bauarbeiter damit beschäftigt, an den Wänden die beim Anspritzen der dickflüssigen Masse entstandenen Unebenheiten zu entfernen, damit die Isolierung gerade und stabil aufgebracht werden kann. Dann wird auch hier an den Wänden betoniert. Sind die stabil, können die mächtigen Stahlstützen weg.
Noch nicht soweit ist man Richtung Goethestraße, unter dem Parkplatz. Hier läuft noch der Aushub - beeinträchtigt durch Druck- und Schichtenwasser. Der Grundwasserpegel ist durch die ständigen Regenfälle viel höher als in den Jahren der Planung des Bauprojekts, als es über lange Zeit hinweg sehr trocken war. „Die Pumpen laufen ständig“, so Augsburger, sogar „zwischen den Jahren“, als auf der Baustelle eigentlich Urlaubszeit war, musste ständig Wasser abgepumpt werden. Kalkuliert war, dass in drei Monaten 90 000 Kubikmeter Wasser abgepumpt und in die Kanalisation geleitet werden müssen, „aber wir werden mehr und länger brauchen“, so der Technische Betriebsleiter.
Beim Aushub dieser Baugrube fehlt noch etwa ein Meter, dann ist auch da die nötige Tiefe erreicht. Hier entstehen ein neuer Chorprobensaal sowie Stimm- und Einsingzimmer - ebenso unterirdisch, aus dem gleichen Grund wie beim Orchesterprobensaal. Obendrein kommt da noch der Brandschutz dazu. Der alte Saal des Chors hatte keinen Fluchtweg, und Zimmer für Einzelproben von Musikern oder Sängern, die sich ja vorbereiten müssen, gab es kaum. Die saßen früher im alten Bunker - ohne Tageslicht, ohne ausreichenden Fluchtweg und daher nicht zulässig.
„Arbeitsschutz nicht vorhanden“ - das nennt Pröllochs auch als Grund einer weiteren unterirdischen Baumaßnahme. Richtung Friedrichsring entstehen, ebenso unterirdisch, sogenannte Präsenzwerkstätten für Elektro, Schreiner/Möbler, Requisiteure und Schlosser. „Die saßen in irgendwelchen dunklen Ecken“, weiß Pröllochs. Dabei gehe es um die Kollegen, die schnelle Arbeiten an Kulissenteilen vornehmen müssen, die für Vorstellungen oder Proben gerade im Spielhaus sind - nicht zu verwechseln mit dem Werkhaus, wo ganz neue Bühnenbilder entstehen.
„Der Zeitplan steht weiter“
Diese Werkstätten sind jetzt schon zu erkennen, denn auf dieser Seite der Baustelle sind Böden und Wände fast alle fertig betoniert. „Wenn man das Wasser mal im Griff hat, dann geht es schnell“, sagt Augsburger, und auf dieser Seite habe alles gut geklappt, daher sei der Rohbau hier quasi abgeschlossen. Da staunt Pröllochs: „Im Mai war hier noch ein ganz tiefes Loch“, erinnert er sich.
Auf der Friedrichsring-Seite wird es drei, zur Goethestraße/Berliner Straße hin zwei Lichthöfe geben, damit die Mitarbeiter, die dort arbeiten oder proben, Tageslicht bekommen. Abgegrenzt werden sie durch Glasgeländer, damit der Platz und das Gebäude seine Wirkung behalten. Wie der Platz rund um das Spielhaus künftig gestaltet wird, dazu soll es in den nächsten Wochen Workshops unter Einbeziehung der Berliner Gruppe „raumlabor“ geben, die mit ihrem Beitrag „Baumschule/Volksbühne“ im Oktober den Ideenwettbewerb „Kunst am Bau“ unter Vorsitz des Kunsthallendirektors Johan Holten gewonnen hat.
Im Gebäude selbst läuft der Ausbau der Garderoben und die Erneuerung der Bühnentechnik. „Der Zeitplan steht weiter“, versichert Augsburger, also die 2028 geplante Einweihung. „Im nächsten Winter soll es hier nicht mehr kalt sein“, kündigt Augsburger an, dass man im Lauf des Sommers die Fassade schließen, sprich neue Scheiben einbauen wolle. „Die Bisherigen waren einfach verglaste Scheiben, sowas geht heute nicht mehr“, ergänzt Schmucker mit Blick auf den Energieverbrauch. Dagegen stehen die Glastüren, ob am Kassenhaus oder am Bühneneingang, unter Denkmalschutz.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/kultur_artikel,-nationaltheater-sanierung-nationaltheater-mannheim-neuer-meilenstein-geschafft-_arid,2279997.html