Kritik

NTM eröffnet Altes Kino Franklin mit Brecht-Premiere

Heiß ersehnt wurde die Eröffnung des "Alten Kinos Franklin". Während der NTM-Sanierung finden dort Schauspiel und Tanz eine neue Heimat. Der Theaterraum ist gelungen, die Inszenierung weniger

Von 
Ralf-Carl Langhals
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Götter sind vorne (v. l.): Ragna Pitoll, Annemarie Brüntjen und Jessica Higgins. Hinten sind Leonard Burkhardt, Arash Nayebbandi, Eddie Irle und Rocco Brück. © Christian Kleiner

Mannheim. „Verehrtes Publikum, los, such dir selbst den Schluß! / Es muss ein guter da sein, muß, muß, muß!“ In Mannheim passt dieser dramatische Brecht-Schlusssatz punktgenau auf einen Theaterabend und eine Theatergesamtsituation. Eine, die nach Corona-Pause, Sanierungsnotwendigkeit, Ersatzspielstättensuche, Bauverzögerungen und Zuschauerschwund nun ihren „guten Schluss“ in der erlösenden Eröffnung des Alten Kino Franklin zu finden hofft, ja muss, muss, muss...

Publikum erfreut über Eröffnung

Aufbruchstimmung, Freude, endlich wieder ins Theater zu können, sich auszutauschen, szenische Energie und große Kunst zu erleben. All das baut im Verbund mit Baugeschichten, Erwartungen und Ambitionen bleischweren Druck auf. Bei Künstlern und Gewerken, aber auch bei Intendanten, Politikern und selbst Kritikern. Auch Christian Holtzhauer ist er anzumerken.

Gedenken an Erdbebenopfer wirkt ungelenk

Was mit viel Stress, Fackelschein, Rotem Teppich, Prominenz und der bunten Ausgestaltung der Foyerräume als positiv-farbenfrohes Theaterfest angelegt ist, moderiert der Schauspielintendant mit einem (gut gemeintem) Gedenkimpuls für Erdbebenopfer in der Türkei und Syrien ein wenig unbeholfen aus der selbstverordneten Feierstimmung heraus.

OPAL und andere Probleme des NTM

Dass es nicht alltäglich sei, so große Ersatzspielstätten einzuweihen, stellt Oberbürgermeister Peter Kurz darauf (bei 15 Millionen Bausumme mit Recht) fest und man dankt sich im Verbund mit MWSP-Geschäftsführer Achim Judt wohlwollend aber etwas verlegen im Kreis. Von statisch nicht abgenommen Container-Anbauten, unfertigen Drehbühnen, der Insolvenz einer hier involvierten Elektronik-Firma, fehlenden Technik-Stauräumen, Fuhrparkproblemen und Personalüberlastung spricht niemand.

Von „OPAL“ - natürlich - schon gar niemand. Für Festreden und Rezensionen gilt: Das gehört auch nicht hierher. Aber geben tut’s das trotzdem.

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Parabel über gute Menschen

Hier gilt’s der Kunst! Gut. Oder besser gesagt nicht ganz so gut, blickt man auf die ein wenig ratlosen, aber immerhin heiteren Ansätze Charlotte Sprengers im Umgang mit Brechts über zwölf Jahre entstandenem Parabelstück „Der gute Mensch von Sezuan“. Bei offenem Einlass wuselt das zehnköpfige Ensemble unstet mit launigen Verlegenheitsgesten über die beeindruckende Großbühne von Aleksandra Pavlovic. Hier gibt es alles im Sechserpack und in Hochglanz: Säulen, Rosen, Deckenventilatoren, Bildschirme.

Aus rosa Wolken gefallen

Die Götter müssen verrückt sein, suchen sie doch auf Erden „den guten Menschen“, was bei „B. B.“ bekanntlich ein doppelter Widerspruch in sich ist. Weil sie bei Brecht auf einer rosa Wolke entschweben, setzt die Bühnenbildnerin auf metallisches Magenta-Pink – und Götter und Menschen in Doppelbesetzung in den Kontext eines illusionsfreien Kunstraums.

Sie gestaltet ihn als säkularisierte Barbie-Kathedrale – wie auch die aufwendigen Kostüme von Bettina Werner ein Hingucker – zumal darin noch eine Paul-Dessau-Orgel schwebt, an der Jonas Landerschier und Philipp Plessmann Choräle und Untermalung gleichsam gemeinsam meistern.

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Ralf-Carl Langhals
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Orgelklang und Kapitalismus

Wang, ein mit Neuzugang Leonard Burkhardt hoffnungsfroh im Haikostüm besetzter Wasserverkäufer, führt das übernachtungswillige Göttertrio mit Bethlehem-Problem (Ragna Pitoll, Annemarie Brüntjen, Jessica Higgins) zur Prostituierten Shen Te. Gut zu sein, das lohnt sich wenig, weshalb Annemarie Brüntjen nun auch noch (höchst gekonnt) ihre schizophrene Abspaltung in Form ihres fiktiven Vetters Shui Ta spielen muss. Nur mittels Selbstspaltung ist der Spagat zu leisten, selbstlos Mittel für gute Taten zu generieren: eine hübsche Kapitalismuskapriole und Entfremdungsvolte à la Brecht.

Dem Abend fehlt der Atem

Schauspielerisch gelingen im Verbund mit Brüntjen gute Szenen. Arash Nayebbandi ist ein kerniger Flieger von MacHeath-Format, Eddie Irle ein inbrünstiger Barbier Shu Fu und Ragna Pitoll eine findige Frau Yang. Darüber hinaus fehlt dem von Lena Wontorra sinnvoll eingestrichenen Abend über drei lange Stunden der Atem. Der inszenatorische und choreographische Rhythmus, den es braucht, um ein solches Stück im Großformat lebendig zu halten.

Hintergründige Schauspieler

Ihr Schauspiel-Personal lagert sie im Hintergrund, für Unterhaltungsstars wie Rocco Brück und Boris Koneczny findet Charlotte Sprenger leider kaum Aufgaben. Schwankt der erste Teil zwischen fahrig und schleppend, folgt nach der Pause der überdrehte Heiterkeitsausbruch in Liebesdingen mit Schwangerschafts-Sumo-Ringen, Mutterkuchen und Romantik-Sarg, aus dem neben Stoffmassen auch ein Tristan-Akkord sowie eine Anspielung auf Katharina Wagners Bayreuther Inszenierung von 2015 quillt.

Aus dem Jahr übrigens, in dem Franklin von der einst Heidelberger Truppe Rampig mit „Schuld und Sühne“ im PX-Supermarkt erstmals theatralisch eroberte wurde und nicht, wie verkündet, durch Signas „Heuvolk“. Das war erst bei den Schillertagen 2017.

Schöner Saal, seltsames Spiel

Sei’s drum. Glotzt nicht so romantisch, die Liebe bleibt ein seltsames Spiel. „Leichter und kurzweiliger“ zu werden, wie es sich Brecht von den bei Dessau nachbestellten Musikeinlagen erwartete, gelingt trotz eingeschobener Liebesspiele nicht. Immerhin: Es gab ein Stück mit Dialogen und Rollen, das ist schon was am NTM. Die Chance, Aufmerksamkeit und Wohlwollen zu kapitalisieren, hat Mannheims Schauspiel dennoch verpasst.

Stück- und inszenierungsgemäß heißt das: „Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen.“ Großer Jubel im schönen Saal.

Redaktion Seit 2006 ist er Kulturredakteur beim Mannheimer Morgen, zuständig für die Bereiche Schauspiel, Tanz und Performance.

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