Mannheim. Es ist eine Geschichte über den Tod. Es ist keine Geschichte über den Tod. Es ist eine Geschichte über die Bestie. Es ist keine Geschichte über die Bestie. Es ist eine Geschichte über einen Schrei. Es ist keine Geschichte über einen Schrei. Hin und her und her und hin. Nein: Hier gibt es keine Toten. Es gibt keine Bestie. Es gibt keinen Schrei. Es gibt nur: drei verschwundene Männer und drei Männer, die da sind und nach den drei verschwundenen Männern suchen. Steven Spielberg oder Stanley Kubrick hätten aus dieser Exposition einen erfolgreichen Thriller wie „Shining“ gemacht und in einem Crescendo der Spannung und Nervenaufreibung gezeigt, wie alles kam, wie drei Seelen in der Abgeschiedenheit eines Leuchtturms („The Lighthouse“) auf einer einsamen schottischen Insel langsam aber sicher mürbe, irre und total verrückt werden, mehr und mehr halluzinieren und sich dann langsam aber sicher gegenseitig zerfleischen. Ein Exodus von Vernunft und Leben.
Drei Verbrechen
Die Mittel der Oper auf einer Bühne sind da, was man durchaus auch bedauern kann, beschränkter oder, wenn man so will: schwächer und analoger als im Film. Das wusste bei diesem Stück 1980 auch schon der Komponist dieser Kammeroper, und freilich weiß es heute deren Regisseurin. Der eine, Peter Maxwell Davies, hat deshalb den ganzen Thrill nach innen verlagern und der Musik implementieren wollen - was ihm ziemlich gut gelungen ist. Die andere, Rahel Thiel, versucht, in einer Art surrealem Film noir in schwarz-weißen Bildern einen konzentrierten Horroreffekt entstehen zu lassen, wobei surreal im Grunde falsch ist, ist die Story um die Vermissten doch im Jahr 1900 tatsächlich passiert. Unaufgelöst.
"The Lighthouse" in der Mannheimer Schildkrötfabrk
- Peter Maxwell Davies: Der britische Komponist und Dirigent lebte von 1934 bis 2016 und gilt als einer der führenden britischen Komponisten des 20. Jahrhunderts. Sein Werk umfasst eine breite Palette von Kompositionen, darunter Orchesterwerke, Kammermusik, Chorwerke, Vokal- und Instrumentalsoli sowie Opern.
- The Lighthouse: Die Kammeroper ist für zwölf Instrumentalisten und Tenor, Bariton und Bass geschrieben. Das Libretto stammt vom Komponisten selbst. Die Handlung bezieht sich auf eine wahre Begebenheit, nach der 1900 auf einer schottischen Insel drei Leuchtturmwärter auf mysteriöse Weise auf einmal verschwinden. Der kriminalistische Fall wurde nie gelöst. 1980 uraufgeführt, gilt „The Lighthouse“ als in der Tradition von Benjamin Brittens Opern wie „The Turn of the Screw“ oder „Peter Grimes“ stehend.
- Die Vorstellungen: 25., 27., 28., 30. April, 2., 4., 5., 7., 9. Mai jeweils um 20 Uhr in der Schildkrötfabrik.
- Info/Karten: 0621/1680 150.
Auch Thiels Team gelingt hier viel. In der Ersatzspielstätte der Ersatzspielstätte (für die Oper am Luisenpark fürs Spielhaus) konzentriert es sich mit drei Tischen, Hockern und einigen Leuchtstoffröhren (Bühne: Fabian Wendling) aufs Wesentliche. Die Männer sitzen in wasserfesten Overalls an Tischen und kritzeln mit Kreide herum. Immer wieder scheinen es vergebliche Morsesignale zu sein. Nebel wabert über den Boden und lässt auch die Sinne schweben. Ein bisschen Bühnenzauber muss ja auch sein. Und während Davies’ Musik plastisch zwischen abstrakter Moderne und fassbarer Folknähe irisiert, entwickelt sich zwischen den drei Männern eine echte toxische Beziehung, die mehr und mehr in Gewalt umzukippen droht und schließlich ins Singen dreier Songs mündet.
In ihnen gesteht jeder der drei ein Verbrechen. Plötzlich teilen sich ein Mörder, ein Vergewaltiger und ein stets mit der Bibel herumlaufender Blasphemist den Leuchtturm. Die Würfel der Ausschreitung und Grausamkeit sind gefallen. Irgendwann schlagen sich die drei auch zu expressiver, chaotischer und von einer Solotrompete dominierter Musik die Fressen ein. So könnte es gewesen sein. Oder eben nicht. Körper wurden ja auch nie gefunden.
Die drei Männer spielen und singen das sehr gut. Christopher Diffey, der seinen Tenor seit der Partie als Brittens Albert Herring noch dynamisch und farblich stark entwickelt hat, geht als Sandy und 1. Offizier an seine Beseeltheitsgrenzen, Bartosz Urbanowicz’ Bass leuchtet und funkelt als Arthur und 3. Offizier böse und dunkel auch bis tief in die große Oktave hinunter, und Timothy Connor als Blazes und 2. Offizier ist ein Meister des Changierens zwischen Brust- und Kopfstimme. Die Duette und Terzette der drei Sänger sind ein wahrer Genuss - auch wenn durch den Abstand zum Orchester und den damit verbundenen Schwierigkeiten nicht alles zusammen ist. Egal.
Zu viel Aktionismus
Bisweilen entstehen dabei auch Momente, die überhaupt nicht zum Werk passen. Thiel lässt in bisweilen in fast aktionistischer Nervosität zu oft die drei Protagonisten zur gleichen Zeit das Gleiche tun. Als seien die drei keine Individuen. Fast, so scheint es, hat sie einen Horror vacui. Weniger wäre mehr, Starre, Nichts und das Warten auf Unerwartetes hätten sicherlich größere Thriller-Effekte als das stete Schieben der Tische und Hocker, das Wechseln der Klamotten (Rebekka Dornhege Reyes) oder das Anpacken von Tassen, Leuchtröhren oder Päckchen. Man denke nur an einen der grusligsten Momente des eingangs erwähnten Films „Shining“. Es ist, wenn die Frau entdeckt, dass ihr Mann, der Schriftsteller, immer nur ein und denselben Satz schreibt: „Nur Arbeit und kein Spiel macht Jack zu einem langweiligen Jungen.“ Das ist maximales Gruseln.
Regisseurin Thiel sagt im Interview ja: „Ich bin überzeugt davon, dass das Stück völlig langweilig wäre, wenn wir wüssten, was passiert ist.“ Hätte sie noch sparsamer inszeniert und noch weniger gezeigt, wäre der Abend noch spannender geworden, weil unsere Fantasie mehr Raum gehabt hätte, sich zu entfalten.
Ein paar zeitgeistige Themen hat sie zudem liegen lassen - etwa die Tatsache, dass die drei Leuchtturmwärter schon zu ihrer Zeit durch ein automatisches System ersetzt wurden, was, wenn man sich Tagebücher von Leuchtturmwärtern auf Inseln durchliest, ein echter Segen war. Doch in Zeiten radikaler Digitalisierung und KI ist das für die Regie natürlich ein gefundenes Fressen.
Bei weitem nicht ausverkauft
Am Ende steht hier aber eine gute Premiere vor längst nicht ausverkauftem Haus mit scheinbar viel „Bordpersonal“. Die zwölf Musizierenden des rund 100-köpfigen Nationaltheaters unter dem eingesprungenen Dirigenten Michael Zlabinger spielen Davies Partitur präzise und plastisch (was sicher maßgeblich dem gerade von seiner Dienstpflicht für die Produktion entbundenen Salvatore Percacciolo zu verdanken ist), die Solisten sind absolut auf der Höhe. Ein Abend der Stimmungsaufhellung ist das aber nicht. Im Gegenteil: Etwas niedergeschlagen verlässt man nach 90 Minuten die Schildkrötfabrik und fragt sich: Wie geht es eigentlich mit der Zuschauerentwicklung der Oper Mannheim weiter? Für eine Premiere ist das recht armselig.
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