„Ich sah das schreckliche Zerrbild eines Menschen ausgestreckt daliegen und sich plump, maschinenmäßig regen“, schreibt Mary Shelley über ihren Halbschlummer-Traum in einer Sommernacht des Jahres 1816, welchem der Lebensfunke für ihren Roman entspringen sollte. „Furchtbar müsste es auf den Menschen wirken, wenn es ihm gelänge, den Schöpfer in seinem wunderbaren Wirken nachzuahmen.“
Was die englische Autorin aus diesem Fantasiegebilde schuf, ihren „Frankenstein“, sollte sich in den kommenden zwei Jahrhunderten wie kaum ein anderes Sujet im (pop)kulturellen Kollektivbewusstsein verankern – und dabei untrennbar von der tiefgreifenden Ambivalenz seines Protagonisten durchdrungen sein: Das Wesen, das wegen seiner Andersartigkeit ausgegrenzt und ausgestoßen, das zum Täter wird, wo es menschliche Nähe sucht.
Die Produktion
- „Frankenstein“, frei nach dem Roman von Mary Shelley, feiert am 13. Januar, 20 Uhr, im Studio Werkhaus des Mannheimer Nationaltheaters (NTM) Premiere.
- Damit verantworten die ehemaligen Assistentinnen Nazli Saremi (Regie) und Nora Müller (Bühne) sowie Ex-Assistent Marco Pinheiro (Kostüme) erstmals eine eigene Inszenierung am NTM.
- Bei „Frankenstein“ steht neben den Ensemblemitgliedern Patrick Schnicke, Omar Shaker und Sarah Zastrau im Zuge einer Kooperation mit der Akademie für Darstellende Kunst Baden-Württemberg Justin Leontine Woschni mit auf der Bühne.
- Weitere Vorstellungen finden am 15. und 29. Januar sowie am 5., 8. und 12. Februar, jeweils um 20 Uhr statt.
- Kartentelefon: 0621/1680 150.
Regisseurin Nazli Saremi hat zusammen mit Bühnenbildnerin Nora Müller und Kostümbildner Marco Pinheiro Shelleys Roman für das Mannheimer Nationaltheater (NTM) adaptiert, „Frankenstein“ (die Premiere ist am 13. Januar im Studio Werkhaus) ist dabei zugleich ihre erste eigene Stadttheater-Inszenierung; Saremi war zuvor Regieassistentin am NTM gewesen, Müller und Pinheiro lernten dort Ausstattungsassistentin und -assistent. In dem Schauspiel verschiebt das Team die Perspektive: Während bei Shelley vornehmlich Victor Frankenstein seine Sicht der Dinge schildert, wird dieser Theaterabend von der Kreatur aus erzählt, und dabei werden auch die Nebenfiguren ausführlicher dargestellt, wie Nora Müller berichtet.
Reduzierte Figurenkonstellation
Hervorgegangen ist das Stück aus einem geplanten Beitrag für das Format „Ins kalte Wasser“, das regelmäßig von Assistentinnen und Assistenten des Nationaltheaters gestaltet wird. Sie und Müller hatten sich zum Schillertage-Sommer 2021 dafür angemeldet, erläutert Nazli Saremi. Die beiden seien auf der Suche nach einem Rechte-freien Text gewesen und so auf „Frankenstein“ gekommen.
Zwar fand besagte Veranstaltung („Wir wollten einen Trash-Abend machen: ,Manöver Frankenstein’“, blickt Müller lachend zurück) am Ende nicht statt. „Aber so lag es dann quasi auf dem Tisch, die ganze Zeit schon“, fährt Saremi fort. Nachdem Anfang dieses Jahres feststand, „Frankenstein“ als Stück inszenieren zu wollen, haben die drei bei ihren folgenden häufigen Treffen „gelesen und Hörbücher gehört und uns ausgetauscht: Was wollen wir letztendlich damit?“, rekapituliert die Regisseurin.
Über den Sommer begann sie zu schauen, „was ist aus dem Roman brauchbar, was muss da noch angereichert werden. Das war aber die ganze Zeit ein offener Prozess“, betont Saremi, die mit einem Online-Textprogramm arbeitete – Pinheiro und Müller lasen rein, gaben Anregungen und machten Vorschläge. In den Sommerferien kam Dramaturgin Dominika Siroká dazu, „und dann fingen wir noch mal an, das eher noch zu einem Theatertext zu machen“, sagt Saremi.
Sie inszeniert das Stück mit vier Spielenden (Patrick Schnicke, Omar Shaker, Sarah Zastrau, Justin Leontine Woschni), womit auch eine Reduktion der Figurenkonstellation einhergeht: Victor Frankenstein, seine zukünftige Frau Elisabeth und sein junger Bruder William, Hausmädchen Justine, der alte De Lacey und schließlich die Kreatur selbst – eine Auswahl, die sich aus der Entscheidung ergeben habe, die Geschichte aus der Perspektive des Wesens zu erzählen, erläutert Müller.
Wie visualisiert man eine Figur, die so unerhört ikonisch aufgeladen ist? „Es ist eine große Herausforderung“, räumt Marco Pinheiro ein. Das sollte nicht „Karikatur-mäßig“ geschehen: „Er sieht normal aus, wie jeder andere“, meint der Kostümbildner. „Er ist eher ein normaler Mensch als ein Monster.“ „Aber schon mit einer Andersartigkeit“, fügt Saremi hinzu – auch wenn das Wesen hier nicht über zwei Meter groß sei und keine Schrauben im Kopf habe.
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Nähe und Distanz zum Publikum
Als Bühne habe sie dafür „einen abstrakten Raum geschaffen“, der auch in sich und um die Figuren herum geschlossen sei, „weil diese sehr viel mit sich verhandeln und verarbeiten“, schildert Müller. Das Publikum werde durch „Nähe-und-Distanz-Spiel“ noch einmal mehr „sehr nah oder in eine Art voyeuristische Situation“ gebracht. Das Publikum sollte „keinen klassischen Frankenstein erwarten“, stellt sie in Aussicht. Aber, so hebt Saremi hervor: „Es ist schon vor allem eine Roman-Adaption geworden.“ Und zwar eine, bei der sich die Zuschauerinnen und Zuschauer „auf Rollen und Figuren freuen“ dürfen.
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