Kleider machen Leute, das hat nicht nur Gottfried Keller in seinem gleichnamigen Buch bewiesen; das uralte Sprichwort bestätigt die menschliche Schwäche, sich leicht vom Aussehen und von der Kleidung eines anderen täuschen zu lassen. Ein armer Schlucker, der nobel auftritt, wird geachtet – und umgekehrt. In Erich Kästners bekannter Erzählung „Drei Männer im Schnee“ macht sich der reiche Chef (hier) der Toblerwerke, Geheimrat Eduard Tobler, einen Spaß daraus, die Leitung eines Grandhotels zu testen, wie sie auf einen ärmlich gekleideten Gast reagiert.
Was als Film 1955 – aufgefrischt durch Regisseur Alfred Vohrer im Jahre 1974 – über die Leinwand flimmerte, hat das Team des Jungen Nationaltheaters nun als szenische Lesung umgearbeitet und in ihren Adventskalender gestellt. Sechs Darsteller – oder besser Vorleser mit dem Text in der Hand – schlüpften in die Rolle der Protagonisten aus Kästners Erzählung und bereiteten den vielen kleinen und großen Besuchern im Foyer des Schnawwl 60 köstliche Minuten.
Weihnachtsbäume, einer für den hölzernen künstlerischen und einer für den pinken kitschigen Geschmack, zierten den Raum, überall lagen hübsch verpackte Pakete, amerikanische Songs aus dem Lautsprecher träumten von weißer Weihnacht oder baten „let it snow“, und im Namen der Spielleitung lud Flora Riezinger alle zum Finale zu Punsch und Keksen ein.
Vielen ist die Handlung dieses Weihnachtsklassikers bekannt: Geheimrat Tobler tauscht mit seinem treuen Assistenten Johann die Rollen. Er als armer Teufel und Johann als wohlhabender Reeder kommen im Grandhotel an, ebenso wie Dr. Fritz Hagedorn, ein stellungsloser Akademiker, der den Aufenthalt als Preis eines Werbetext-Wettbewerbs gewonnen hat. Toblers Tochter Hilde sorgt sich um die angemessene Behandlung ihres Vaters und klärt (nur annähernd) die Hoteldirektion telefonisch über den Rollentausch auf. Für diese kann der arme Teufel und wahre Millionär nur der Dr. Hagedorn sein. Während der etwas schüchterne Dr. mit allem Luxus verwöhnt wird, ist der Herr Geheimrat ins kalte Dachzimmer verbannt und soll erniedrigende Arbeiten fürs Hotel verrichten.
Ein heiter lebendiges Türchen
Eddie Irle ist ein lauter, polternder Tobler-Chef, der gewohnt ist zu dominieren. Er nimmt alles mit Humor und die geringschätzige Behandlung bestätigt seine Vermutung, ärmlich erscheinende Menschen sind im Grandhotel fehl am Platz, ja sogar eine Belästigung für die anderen Gäste. Moritz Andrea Bürge strahlt als bescheidener Dr., der nicht aufs Äußere schaut, Sympathie aus, und die besorgte Tobler-Tochter Annemarie Brüntjen erfrischt durch Natürlichkeit. Leonard Burkhardt kann sich als Assistent mit Toblers Verwechslungsspiel absolut nicht anfreunden und die Hoteldirektion Jessica Higgins und Portier Rocco Brück sind zutiefst blamiert.
Trotz kleben am gelesenen Text ein heiter lebendiges Türchen im Adventskalender des JNTM.
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