Kultur

Zwei Mannheimer Migranten nutzen Kunst als Brücke zwischen Kulturen

Der Dichter Hasan Dewran ist 1977 aus Anatolien geflohen und hat in Mannheim einen Neustart gewagt. Nil Cikik-Merz hat als Mädchen das Theater kennen und lieben gelernt. Beide prägen die Mannheimer Kulturszene

Von 
Ilgin Seren Evisen
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Kunst und Kultur kann Brücken bauen. © istock

Mannheim. Kunst spielt in modernen Einwanderungsgesellschaften vor allem als Vermittlerin, als Brücke zwischen den Menschen eine Rolle. Wenn Migranten eine Stadt zu ihrer neuen Heimat machen, bringen sie ihre Geschichten und ihre Kreativität mit.

Mannheims Einwanderer aus verschiedenen Generationen haben die regionale Kunst- und Kulturszene bereichert und Akzente gesetzt.

Die Vielfalt an Veranstaltungen, Freilichtbühnen, Theateraufführungen in Mannheim wirkt auch für Künstler und Einwanderer aus aller Welt attraktiv. Sie bringen nicht nur ihre Erfahrungen aus dem Ankommen in einer neuen Stadt mit, meist befindet sich in ihren Koffern jede Menge Kultur aus ihrer Heimat, die Teil ihrer Werke wird. Zwei Beispiele erfolgreicher Brückenbauer aus der Region:

Hasan Dewran startet als Dichter der Psychologie neu

Wie andere Gleichaltrige entschied sich Dewran 1977 das ostanatolische Tunceli zu verlassen. Gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Linken und Rechten prägten damals das Straßenbild. Das Lesen regierungskritischer Zeitungen reichte aus, um verhaftet zu werden.

„Die Dichtung war meine Medizin und ermöglichte mir einen Neuanfang“, sagt Hasan Dewran, der 1977 von Anatolien nach Deutschland floh und seither die hiesige Kulturszene mitprägt. © Privat

„Mit 15 schrieb ich ein Gedicht, das den verbotenen Namen meiner Heimatstadt, also Dersim, enthielt. Zivilpolizisten, die mein Gedicht fanden, verhafteten mich“, schildert er seine erste Begegnung mit staatlicher Willkür und Folter. Dieses Ereignis und das Verschwinden sowie die Tötung politischer Weggefährten aus seiner Umgebung sind ausschlaggebend für Dewrans Entscheidung, 1977 nach Deutschland zu ziehen.

Kassetten voller fremder Sprachen

Dewrans Interesse gilt von klein auf Gedichten sowie anderen Menschen und Kulturen. Schnell entscheidet er sich für das Studium der Psychologie. In seinem Studentenwohnheim begegnet er Studenten aus aller Welt. Die fremden Sprachen findet Dewran derart beeindruckend, dass er sich von seinen Kommilitonen Musikkassetten in ihren Muttersprachen wünscht.

Noch heute besitzt er Dutzende Kassetten voller fremden Sprachen. Mit Übersetzter-Tätigkeiten oder auch mal als Arbeiter in der Fabrik finanziert Dewran sein Studium und wird am Ende der 80er Jahre der erste türkischsprachige Therapeut der Region.

In seiner Tätigkeit als Therapeut beobachtet er die Vielfalt an psychischen Problemen, die Migrationsbewegungen mit sich bringen. „Nicht wenige Kinder aus der ersten Generation lernten ihre Väter sehr spät kennen, weil sie bei ihren Familien in der Türkei gelassen worden waren. Zahlreiche Patienten waren innerlich zerrissen und entwickelten Bindungsprobleme“, so Dewran.

Im Laufe der Jahre beobachtet er, wie sich die Gemeinde wandelt. Was in den 80er Jahren noch als Tabu gilt, etwa Scheidungen oder binationale Ehen, ist nun zur Selbstverständlichkeit geworden. Klassische Familienstrukturen änderten sich, Migranten passten sich der Mehrheitsgesellschaft an.

Dewran veröffentlicht mehrere Bände

Die beeindruckenden Begegnungen mit Menschen verschiedener Generationen sowie Kulturen und ihre Geschichten lässt der Psychologe Dewran als Dichter in seine Gedichte einfließen. „Entlang des Euphrat“ entsteht 1983, darauf folgen Gedichtbände wie „Tausend Winde - Ein Sturm“. Deutsch, Türkisch, Zazaki. Dewran schreibt seine Geschichten und Gedichte in seinen drei Herzenssprachen und bringt sich mit seinen veröffentlichten Büchern aktiv in die Mannheimer Kulturszene ein.

Seine nächste Veröffentlichung steht auch schon fest. In „Das Land der Steine“ zeigt Dewran, wie Menschen in der Türkei in einer Zeit, als es noch keine Psychotherapieangebote gab, Trauer, Wut oder andere emotionale Herausforderungen meisterten. „Gebete, Heilrituale, Besuch heiliger Orte, bestimmten in dieser Zeit, also noch vor wenigen Jahrzehnten, die psychologischen Bewältigungsstrategien von Menschen, die sich eine Linderung ihrer seelischen Not wünschten“, so Dewran. „Die Dichtung war meine Medizin und ermöglichte mir einen Neuanfang“, reflektiert Dewran seinen Erfolg in Mannheim.

Nil Cikik-Merz empfindet das Theater als große Liebe

„Das Theater ist meine große Liebe“, sagt Nil Cikik-Merz. Die gebürtige Mannheimerin arbeitet als Grundschullehrerin und ist Tochter türkischer Arbeitsmigranten, die Ende der 60er Jahre nach Deutschland einwanderten.

© Privat

Ginge es nach Cikik-Merz, wäre sie auch hauptberuflich Theaterschauspielerin geworden, doch ihre Eltern rieten ihr zu Bodenständigkeit: „Vergiss diese Träume, bei sowas verdient man kein Geld“, bekam sie in ihrer Kindheit zu hören.

Als sie während ihrer Gymnasialzeit eine Theateraufführung besucht, weint Cikik-Merz: „Das auf der Bühne, ich schaute Romeo und Julia, könnte ich sein, dachte ich damals und war sicher: mein Platz ist auf der Bühne.“ Während ihres Studiums besucht sie eine Theatergruppe, die von der ehemaligen Gymnasiallehrerin Eva Layer geleitet wird.

Schauspiel hilft dabei, Migrationshintergrund anzuerkennen

Das Gefühl nicht dazu zu gehören, kein Teil der Gesellschaft zu sein, ist Teil ihrer Jugend. Teile ihrer ersten Rolle, Mephisto aus Goethes Faust, spielt sie auf Türkisch. Auf einem Festival des Jungen Nationaltheaters begeistert die junge Hobbyschauspielerin das Publikum mit ihrer deutschen und türkischen Verkörperung von Mephisto. „Bis zu diesem Zeitpunkt wurde ich doch wegen meines Migrationshintergrunds ausgegrenzt und nun erlebte ich, dass ich mit meiner türkischen Verkörperung von Mephisto Beifall bekam“, so Cikik-Merz.

Mit dem Erfolg ihrer Auftritte wird ihr Migrationshintergrund, den sie bis dahin als hinderlich wahrgenommen hatte, für die junge Frau Teil einer Erfolgsgeschichte und ein fester Bestandteil ihrer Identität, für den sie sich nicht mehr zu schämen braucht.

Für die junge Frau steht fest, dass es für sie kein Leben ohne Theater geben kann. Zudem ermöglicht ihr die Gruppe engagierter Amateurschauspieler Zugänge zur deutschen Kultur, die sie zuvor so nicht hatte. Die deutsche Mehrheitsgesellschaft erlebt sie nicht mehr als diskriminierend, sie erlebt im gemeinsamen Schauspiel mit deutschen Kollegen ein Gefühl der Verbundenheit, das Gefühl, ein Teil der deutschen Gesellschaft zu sein.

Verbunden mit der Gesellschaft

Die von Eva Layer initiierte und auf Wunsch der Schauspieler und als Symbol der Verbundenheit mit ihr nach ihr benannte Layertruppe setzt sich inzwischen von engagierten Schauspielern verschiedener Kulturen zusammen, die so wie Nil Cikik-Merz auch ihre eigenen Migrationserfahrungen in die Theaterstücke einfließen lassen.

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Die heute 46-Jährige, die zu Beginn ihrer Schauspielkarriere eine der wenigen türkischen Schauspielerinnen der Region war, feiert auch nach 20 Jahren Bühnenpräsenz das Theater als ihre große Liebe: „Das Theater hat mich versöhnt, mit diesem Land, meinem Migrationshintergrund, es hat mich zusammengebracht mit Menschen aus aller Welt. Was bleibt, ist das Gefühl einer Verbundenheit mit dieser Gesellschaft und allen Menschen, die hier leben. Wie sollte ich also das Theater nicht lieben?“

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