Mannheim. „Das Leben hier in Deutschland ist kein Blumengarten, und es ist manchmal schwer, seinen Platz zu finden. Aber es ist eine Herausforderung, die sich lohnt“, sagt Hüsnü Yilmaz. Mit seiner Frau Nebihan Yilmaz kommt er am 10. August 2017 mit gemischten Gefühlen aus Istanbul nach Deutschland. Er hat einen Master-Abschluss in der Tasche, lehrt nebenher Englisch und sucht seit 2016 eine Möglichkeit, in Deutschland zu recherchieren oder zu arbeiten.
Rund 100 Universitäten in ganz Europa schreibt er an: „Nur von der Hälfte gab es überhaupt eine Rückmeldung, das meiste waren Absagen.“ Nach einem positiven Gespräch mit seinem künftigen Doktorvater in Heidelberg und mit einem Stipendium der Gerda-Henkel-Stiftung Düsseldorf ist schließlich alles in trockenen Tüchern – und er kann mit seiner Dissertation an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg starten: „Es geht um Migration und Integration. Ich war schon immer an der türkischen Migration in Deutschland interessiert“, sagt der 40-Jährige.
Zunächst bei Verwandten
Seine Frau Nebihan Yilmaz kommt mit, sie ist in der Türkei Krankenschwester: „Schon im Frühling 2017 war mein Mann hier, um zu schauen, ob wir als Familie unterkommen“, sagt die 36-Jährige. Das Paar ist zunächst bei Verwandten in Böblingen, besucht in dieser Zeit einige Male Mannheim – bis es 2018 in die Quadratestadt zieht. „Mannheim gefällt uns besonders, hier gibt es eine Vielfältigkeit und ein tolles kulturelles Leben“, findet Nebihan Yilmaz.
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Beide bringen auch eine Tochter mit, doch die Zweitklässlerin erinnert sich nicht an die Türkei: „Sie war damals zwei Jahre alt“, sagt die Mutter. Anfangs geht das Mädchen zwei Tage pro Woche in die Krippe: „Es gab nicht mehr Platz, wir haben dann zuhause deutsche Worte geübt, Bücher vorgelesen, Peppa Wutz mochte sie am liebsten“, lacht Nebihan Yilmaz. Die Erzieherinnen seien verständnisvoll gewesen: „Und es haben sich tolle Freundschaften entwickelt.“
Auch Hüsnü Yilmaz hat viele Kontakte geknüpft: „Die Atmosphäre im Institut ist sehr gut, Mitarbeiter und der Doktorvater sehr nett, aber am Anfang war es trotzdem schwer.“ Die Dissertation schreibt er zwar in Englisch: „Aber wir leben in Deutschland, da muss man die Sprache können.“ Als Erstes lernt er, „eine Brezel, bitte“ zu sagen. Dann geht es Stück für Stück weiter. Trotzdem fühlt er sich zunächst unwohl, weil er nicht so gut Deutsch sprechen kann. Als Nebihan Yilmaz allerdings erstmals alleine in den Supermarkt geht, hat sie sogar Angst: „Ich habe mich nackt gefühlt, dachte immer, Deutsch ist ähnlich wie Englisch. Ich habe Bücher von der Biene Maja gekauft, um zu lernen.“
Nebihan Yilmaz übernimmt in Böblingen zunächst einen Minijob im Pflegeheim, besucht gleichzeitig einen Deutschkurs. Seit 2019 arbeitet sie in der Chirurgie der Universitätsklinik Heidelberg. „Die Arbeit hier macht Spaß, ich lerne noch viel, bin auf der Intensivstation tätig. Es gibt viel zu tun, aber am Ende des Tages hat man was geschafft“, erklärt sie. Die Sprachbarriere ist auch für sie anfangs eine große Hürde: „Aber man muss die Sprache sprechen, und ich hätte nie gedacht, dass ich mal an der Uniklinik arbeiten könnte, ich dachte erst, dass ich das nicht schaffe.“ Mit den Patienten hat sie keine Probleme: „Viele sind älter, aber sehr nett.“ Sie hat dort inzwischen eine Weiterbildung absolviert: „Die Uniklinik hat uns toll unterstützt, und ich habe diese Möglichkeit genutzt.“
Es ist nicht leicht für die Familie, eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen. Im Februar beantragt Hüsnü Yilmaz die Erlaubnis für sich und seine Tochter, erhält diese für weitere zwei Jahre. Seine Frau bemüht sich um eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Den Einbürgerungstest haben beide abgelegt: „Man bekommt 300 Fragen zum Lernen, 33 davon kommen dran“, sagt Hüsnü Yilmaz. Das Ergebnis steht noch aus. Auch Hüsnü versucht, eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis zu bekommen. „Wir haben in Mannheim alles, unsere Freunde und Nachbarn, das ganze soziale Leben ist hier“, sagt der Familienvater. Er ist zufrieden damit, wie alles läuft: „Ich habe schon mehr als 100 Interviews geführt mit Menschen mit Migrationshintergrund.“ Inzwischen arbeitet er zusätzlich in Teilzeit als Lehrer an einer privaten Schule in Mannheim. An der Universität der Quadratestadt hat er zudem ein Sprachzertifikat erworben: „Die Stelle als Lehrer ist eine tolle Möglichkeit für mich, sie ist allerdings befristet bis Juli, ich hoffe, dass es danach weitergeht.“ Er ist sich sicher: „Ich möchte als Lehrer weitermachen.“
Andere Mentalität
Auch Nebihan Yilmaz bereut nicht den Schritt, die Heimat verlassen zu haben: „Wenn wir in der Türkei geblieben wären, hätten wir diese Erfahrung nicht gemacht. Hier gibt es ein anderes Leben, eine andere Mentalität.“ Deutschland habe ihren Horizont erweitert: „Jetzt denke ich, es gibt noch viele andere Welten da draußen.“ Bei ihrer Arbeit im Krankenhaus brauche es internationale Mitarbeiter: „Wir sprechen oft mehrere Sprachen täglich“, sagt Nebihan Yilmaz. Und ihrem Mann hilft bei der Sozialarbeit mit Migranten sein Bildungshintergrund: „Ich kann die Pädagogik mit der Forschung kombinieren. Man braucht Mut und Motivation, muss erstmal die Sprache beherrschen. Aber wenn man Ziele hat, gibt es viele Möglichkeiten.“
„Es ist nicht einfach, Ausländer hier zu sein, aber es wäre unfair zu sagen, dass man hier keine Chance hat“, sagt der Doktorand. Sich im sozialen Leben in Mannheim integrieren zu können sei nicht leicht: „Es ist schwer, denn wenn es dunkel ist, sind alle Häuser zu und die Leute drin.“ Auch seine Frau findet dieses Phänomen merkwürdig: „Ich habe mich immer gefragt, warum alle drin sind, da ist man doch allein.“
Doch auch wenn in Mannheim vielerorts die Menschen nicht abends gemütlich auf dem Gehweg sitzen oder mit den Nachbarn schnacken: Familie Yilmaz fühlt sich in Seckenheim zuhause: „Hier ist es ruhig, sicher und friedlich, es ist schon eine Heimat“, sagt Hüsnü Yilmaz. Mit seiner Familie hat er einen Platz gefunden – trotzdem sagt er: „Ein Ausländer muss es immer besser machen.“
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