Heidelberg. Gut Kirschen essen ist mit diesem Mann wohl auch außerhalb der Erntezeit nicht. Mr. Green ist ein giftiger Grantler, der sich von allem und allen zurückgezogen hat. Den Eindruck bekommt man zunächst, wenn man als Zuschauer mit Ross Gardner (Peter Volksdorf) Mr. Greens Wohnung betritt. Im Heidelberger Zimmertheater ist man nah dran am dramatischen Geschehen und auch am Menschen – und so lernen wir schnell, dass der 86-jährige Witwer, in all seinen Facetten sensibel dargestellt vom großen (89-jährigen) Friedhelm Ptok, kein böser, sondern ein einsamer und trauernder Kauz ist, der die Seile nach außen längst gekappt hat.
Die Zeitungen stapeln sich, das Telefon ist abgestellt, der Briefkasten läuft über und gegessen wird auch nicht mehr. Ein wenig zu schön schmutzig hat Joosten Mindrup das detailgetreue und handwerklich erstklassige Bühnenbild der abgewohnten Greenschen Wohnung werden lassen. Ein bisschen mehr New Yorker und „Mannemer Dreck“ hätte wohl auch das Heidelberger Publikum vertragen.
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Was von der Mode bleibt
Um Sozialstunden nach einem „Beinahe-Unfall“ abzuleisten, kommt der junge, rasant Auto fahrende Ross in eben jene Wohnung zu „Besuch bei Mr. Green“, wie der US-amerikanische Well-Made-Autor Jeff Baron sein erfolgreiches Zweipersonenstück nach gängigem Muster nannte. Doch selbst für diese Theatermode ist das erst 1996 uraufgeführte Stück um jüdische Homophobie spät dran, noch wunderlicher fast, es dann ein Vierteljahrhundert später noch aufzuführen. Ein Lehrstück zum Thema jüdischer Kultus ist es gleichwohl geblieben – und schon von daher interessant. Es läuft aber vielleicht auch deshalb bei Exposition und anfänglichen Szenenwechseln ein wenig schleppend an im Zimmertheater, wo Prinzipal Joosten Mindrup routiniert naturalistisch Regie führt und auf kundige Darsteller setzen darf. Ganz so abgetragen ist der Plot „Alt und Konservativ trifft auf und lernt gegenseitig von Jung und Homosexuell“, dann doch noch nicht, wie ein im Programmheft abgedruckter Erfahrungsbericht eines gläubigen schwulen Judens belegt.
Bis das Verhältnis von Geben und Nehmen eingespielt, bis zwei sehr unterschiedliche Freunde fürs Leben gemeinsam in die Sonne reiten, dauert es also ein wenig, genauer gesagt: gute zwei Stunden. Und der Abend nimmt dann doch auch Fahrt auf. Seine Qualität, Joosten Mindrup hat es bei der Stückauswahl erkannt, liegt in den späteren Szenen hoher Emotionalität, mit der sich diese beiden Lebensdramen verweben.
Frenetischer Applaus
Friedhelm Ptok beherrscht den reaktionären Wüterich eben so souverän wie den Grundguten, und Peter Volksdorf reüssiert als lässiger Sunnyboy ebenso wie als verzweifelter, weil von seinen Eltern abgelehnter Sohn. Dass gelungene Kunststück von Darstellern und Regie besteht hier darin, dass diese Szenen zwar rührend sind, in Gänze aber nicht zum Rührstück werden, sondern eine Menschlichkeitsstudie bleiben. Dafür gibt es in Heidelberg herzlichen, ja nachgerade frenetischen Applaus.
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