Nachruf

Wolfgang Rihm: Kulturchef Stefan M. Dettlinger erinnert sich an Begegnungen

Ein perönlicher Nachruf auf den bedeutendsten deutschen Komponisten der jüngeren Vergangenheit. Der Karlsruher Wolfgang Rihm erlag im Alter von 72 Jahren einem Krebsleiden

Von 
Stefan M. Dettlinger
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Der Karlsruher Komponist Wolfgang Rihm spiegelt sich in seinem Flügel in seiner Ettlinger Wohnung. © Uli Deck/dpa

Verzeihung, aber dies ist eine wahre Geschichte aus der Redaktion: Eines Nachmittags, es ist noch vor der Pandemie, klingelte mein Telefon. Ich nahm ab, etwas genervt, denn das Telefon klingelte zu dieser Zeit noch verdammt oft. Und am anderen Ende meldete sich, leise und etwas schüchtern, der bedeutendste noch lebende deutsche Komponist. Ein Weltstar in der Szene. Es täte ihm leid, sagte Wolfgang Rihm freundlich zu mir, dass er erst jetzt auf mein Fax reagieren und sich melden könne, aber er habe sich in Berlin einer schweren Krebsoperation unterziehen müssen und dann noch Monate in der Charité gelegen.

Ich war gerührt. Rihm, den ich seit Jahren bewundert und mit dem ich mehrmals telefoniert hatte, Rihm, den ich ein paar Jahre später in Karlsruhe treffen würde, rief mich aus heiterem Himmel an? Einfach so? Na ja, nicht einfach so. Es ging um seinen 65. Geburtstag. Ich wollte ihn interviewen. Dazu kam es dann erst später.

Vielschreiber, Funktionär und Idol ganzer Generationen

Jetzt ist Rihm gestorben. Mit 72. Die Sache muss also runde sieben Jahre her sein. Aber dieses Telefonat und danach mein letztes Treffen mit diesem feinen und sympathischen Menschen aus Karlsruhe, dem Vielschreiber, GEMA- und Musikrats-Funktionär und Idol ganzer Generationen, ist mir in klarer Erinnerung. Ich hatte sehr viel Rihm gehört. Seine Klavierstücke waren mir als rhythmisch vertrackte Galaxien begegnet, seine vollklingenden Streichquartette waren so sehr Naturgewalten wie seine Orchesterwerke für mich gewesen -- oder die Opern, von denen ich in Mannheim, Stuttgart, Schwetzingen, Heidelberg und Salzburg gekostet hatte.

Komponieren verglich er mit „so etwas wie chemischen Prozessen“

Bei unserem Treffen ging Rihm - irgendwie in einer Mischung aus durch-Krankheit-gezeichnet und Jetzt-erst-recht-Attitüde - am Stock. Es war ihm ein Sarkom aus dem Oberschenkel entfernt worden. Er wirkte schwach. Wir unterhielten uns über die Sache der zeitgenössischen Musik.

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Rihm sprach auch über das Zweifeln an der Sache des Komponierens selbst. „Wenn der Zweifel nur dumpf abschließt, wenn der Zweifel nur die Dinge löscht, dann ist es fast eine pathologische Form“, sagte er, während er im Wolfang-Rihm-Forum der Musikhochschule Karlsruhe saß, wo Rihm auch lehrte. Der Prozess des Komponierens sei bei ihm von jeher eher so etwas wie chemische Prozesse, er komponiere, um etwas zu sagen, was man aber eben nicht sagen könne - also mit Worten.

Diese chemischen Prozesse konfrontieren uns nun, nach seinem bedauerlichen Tod am Wochenende, mit mehr als 500 Werken für fast jede Besetzung - auch Kurioses ist dabei wie etwa „Tutuguri VI“ für sechs Schlagzeuger. Und sogar Filmmusik hat er geschrieben. Rihms Musik hat immer etwas Physisches, Archaisches, Tiefenpsychologisches, Letzteres wohl auch, weil Rihmklänge und Rihmstrukturen immer von tief unten aus dem Unterbewusstsein zu kommen scheinen, unergründbar und doch an der Oberfläche ansprechend. Immer wieder haben Menschen gesagt, er sei ein Bauchkomponist, womit genau das gemeint sein könnte: Sein ganzer Körper, von Kopf bis Fuß, war auf Musik eingestellt, nicht nur das Hirn allein.

Mein Lieblingswerk von Rihm - O Gott, wenn man das so sagen kann - ist das Monodram „Proserpina“, das 2009 bei den Schwetzinger Festspielen uraufgeführt wurde.

Seine „Hamlet-Maschine“ wurde 1987 in Mannheim uraufgeführt

„70 Minuten lang lauscht man gebannt dem nach, was da ertönt, diesen feinen Harfen-, Streicher-, Bläser- und Perkussionsklängen, die eigentlich fast zu schön sind, um aus diesem „hässlichen“ Jahrhundert zu stammen - und trotzdem, man könnte Rihm küssen für diese Musik, denn so emotional und gleichzeitig interessant und aufregend war zeitgenössisches Musiktheater lange nicht mehr.“ Das habe ich damals über den Abend im Rokokotheater geschrieben, bei dem eine hinreißende Mojca Erdmann die Proserpina gesungen, gestöhnt, geatmet, gehaucht und gespielt hatte. Aufopfernd. Ein Vulkan. Es war der prägendste und gleichzeitig subtilste Rihm-Abend meines Lebens.

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Es gibt andere. Die „Hamlet-Maschine“ nach Heiner Müller, 1987 in Mannheim uraufgeführt, habe ich ja leider nicht erlebt. Dafür aber mehrmals „Jakob Lenz“ und „Dionysos“, ein frühes und ein spätes Werk fürs Musiktheater, die beide auf ihre Art für die gewaltigen Klang- und Gefühlswelten Rihms stehen - und den Horizont seines Denkens. Denn Rihm war, wenn man diesen Begriff noch bemühen darf - mit Einschränkungen ein Universalmensch im neueren Sinne. Er war einfach an allem Geistigen und Literarischen interessiert - vielleicht weniger an Wissenschaft und modernster Technik. Das eingehend beschriebene Fax ist bezeichnend für die Kommunikation mit ihm. Auch hat er zeit seines Lebens von Hand komponiert. Bleistift. Papier. Das war sein Werkzeug.

Schon mit elf Jahren hat er begonnen. Sein offizielles Werkverzeichnis beginnt mit Klaviermusik, 1966. Rihm war 14. Dennoch studierte er. Zuerst bei Eugen Werner Velte in Karlsruhe, dann bei Karlheinz Stockhausen, der vielleicht vom Denken am weitesten weg war von Rihm. Inspiriert hat ihn sicher auch jemand wie Luigi Nono. 1985 wurde Rihm Nachfolger seines einstigen Lehrers Velte als Professor in Karlsruhe. Ab 2016 war er künstlerischer Leiter der Lucerne Festival Academy für den Nachwuchs. Junge Komponisten wollten zu ihm. Rihm war ein Magnet, in der Lehre, als Gesprächspartner und auf der Bühne. Die Elbphilharmonie eröffnete - natürlich - auch mit einem „neuen Werk“ von Rihm: „Reminiszenz“.

Lebensfroher Geist, voller Ideen- eine Art Schubert der Zeit

Als er die Weltbühne betrat, Anfang der 1970er in Donaueschingen mit „Morphonie … Sektor IV“, wurde er fälschlicherweise der „Neuen Einfachheit“ zugeordnet und von der Avantgarde belächelt. Er ging seinen Weg. Unbeirrt. Und wurde der Größte.

Rihm erschien mir immer als lebensfroher Geist, voller Ideen und Schöpferkraft. Eine Art Schubert der Zeit. Er war vollkommen unprätentiös, als wisse er nicht um seine Bedeutung, sein Weltstar-Dasein.

Sein Humor war schier unendlich. Auf meine Frage, ob er sich jemals von stilistischen Leitplanken hat eingeschränkt gefühlt, sagte er: „Es hat mich ja auch niemand gezwungen, mich einzuschränken. Ich habe auch immer darauf geachtet, dass ich frei meiner Wege gehen konnte. Selbst humpelnd.“ Dann lachte er, und diesem Lachen war die Aussage zu eigen, dass er keine Angst vor nichts und niemandem hat. Auch nicht vor dem Tod.

Mit der Unterhaltungsindustrie konnte er absolut nichts anfangen

Vielleicht war Rihm ein Romantiker der Moderne. Mit deren Unterhaltungsindustrie konnte er absolut nichts anfangen. Als wir über das Verkaufen von Musik gesprochen haben, sagte er, es gäbe sicher die Entscheidung: Ich möchte meine Musik besser verkaufen und ich komponiere jetzt so toll, dass die Massen es unbedingt wollten. Ich kann das nicht“, sagte er dann, „ich kann nicht so toll komponieren. Ich kann nur das machen, was ich kann. Ich kann nicht sagen: So, damit ich mehr Geld kriege, mache ich das jetzt so. Das geht nicht.“

Nicht zuletzt brauchte er das auch gar nicht. Seine Musik kam von Müssen, und das Amalgam aus Fleiß, Begabung und chemischen Prozessen führte dazu, dass er abseits jeglicher kommerzieller Überlegung mit seiner Musik sehr viel Geld verdient und viele Menschen glücklich gemacht hat. Auch mich. Das gehört ebenso zur wahren Geschichte über Wolfgang Rihm.

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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