Es dürfte zum Schwierigsten gehören, in diesen pandemischen Zeiten ein neues Festival zu gründen und zu etablieren. Schon so „alte Hasen“ wie die Schillertage haben ja Probleme, einfach nur attraktiv stattzufinden. Schiller ist zudem eine der populärsten Figuren in der Kulturgeschichte der Region. Wie soll da ein Festival für zeitgenössische Musik funktionieren, hat sie, die zeitgenössische Musik es doch traditionell ohnehin schwer, in der Gesellschaft überhaupt wahr- oder gar angenommen zu werden – gerade in der Metropolregion, die im Genre keineswegs zu den ausstrahlungsstärksten in Deutschland gilt. Dass sich Institutionen in Ludwigshafen, Mannheim und Heidelberg nun zusammengetan haben, um das Thema konzentriert voranzubringen, ist prinzipiell zu begrüßen. Und wie unterschiedlich das aussehen kann, ist am Wochenende plastisch zu erleben gewesen.
Zum einen spielte die gute alte Staatsphilharmonie im Mannheimer Rosengarten eines ihrer „normalen“ Konzerte dort und verband äußerst spannend und gelungen klassischen Mainstream (Schumann) mit moderater Moderne (Rihm). Zum anderen widmete sich das Blochzentrum Ludwigshafen mit einem musikalischen Symposion dem Thema „Konkrete Utopien mit und nach Ernst Bloch“ und zeigte das Spezialistenensemble des Klangforum Heidelberg im Betriebshof Heidelberg, in welche klanglichen und semantischen Landschaften Neue Musik vorzudringen vermag. Spannend ist das alles.
Konkrete Instrumentalmusik
„Bloch laden“ hieß hier das Stück für sechs Singende und vier Musizierende. Mehr oder weniger verständliche Bloch-Zitate, gesungen, gesprochen, gehaucht oder gar per Mobiltelefon live übermittelt, mischten sich dabei mit mehr oder weniger dichter und konkreter Musik, die in ihrer Geräusche einbeziehenden Art eine gewisse Nähe zu Helmut Lachenmanns „konkreter Instrumentalmusik“ nicht verhehlen kann. Und dies auch nicht will, wie Komponist Robin Hoffmann auch vor Ort im Gespräch mit Dirigent Walter Nußbaum sagt. Mit seinem Werk nähere er sich dem Philosophen „mit Hilfe der einst als musikunfähig verfemten Mittel“, so Hoffmann. In fünf kurzen Sätzen entsteht ein überaus plastisches und farbenreiches Bild, das durchaus die Kraft hat, uns in philosophische Tiefen zu ziehen, wobei letztlich verbunden wird, was nicht zusammengehört: (Blochs) Philosophie ist hundert Prozent Begrifflichkeit, die Kunst, in Klang zu denken, ist aber Musik. Ein interessantes Werk, das notgedrungen sehr wenige Menschen erreichen wird.
Ganz anders Wolfgang Rihm, der, seit er komponiert, immer gelungen auf dem Grat zwischen avantgardistischer Abstraktion und gerade noch bürgerlicher Tradition wandelt. Auch bei seinem Violinkonzert „Gesungene Zeit“, das sich von einem aus dem Nichts kommenden fis’’ (pppp) zu einem immer komplexer werdenden psychischen Raum öffnet, in dem – wie bei einem abstrakten Bild – immer wieder auch markante Flächen nebeneinandergesetzt werden. Singen, Flirren, rhythmische Schraffuren, hochemotionale Beseeltheit und die typisch Rihm’schen katastrophischen Explosionen eint der Komponist hier meisterhaft in sinfonische Dichte und Spannung, die gerade im Umfeld des umstrittenen Sinfonikers Robert Schumann überaus überlegen klingt, ergo: Rihm weiß mit dem Orchester besser umzugehen, als Schumann es wusste. Und Violinistin Tianwa Yang und die Staatsphilharmonie erweisen sich unter Markus Bosch als kongeniale Partner Rihms. Yang hat einen fantastisch beseelten und reinen Klang und führt ihre Geige bisweilen in Gefühlsdetonationen. Man wird süchtig. Spielt mehr solche Musik, bitte!
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