Mannheim. Fast sehnen wir uns, wenn hier alles zu Ende und der lange Paukenwirbel unter dem orgiastischen Ausgießen immergleicher Noten mit einem wuchtigen Bums ausgerollt ist, zurück nach Mozart. Zurück nach der Eleganz. Nach dem Esprit. Nach der Einfachheit und Klarheit seiner Klangrede, die selbst hier, im Klavierkonzert d-Moll, das gewiss zu Mozarts komplexesten und finstersten Werken gehört, neben Bruckners Fünfter leicht wirkt, ja, unprätentiös.
Mannheim. Rosengarten. Großspurig fährt Bruckner wieder alles auf. 24 lange Takte lang lässt er im finalen Finale Stefan Rupp an der Pauke auf F und B wirbeln und türmt tönenden Turm auf tönenden Turm, als wolle er sagen: Ja, es gibt einen Gott, es gibt einen Gott, es gibt einen lieben Gott im Himmel, der sich jetzt, im Moment, über uns auftut. Rund 75 Minuten Bruckner’sche Glaubensekstase sind zu diesem Zeitpunkt bereits durch uns hindurch geflossen und haben Geduldmaterial mitgerissen. Und dieser abschließende B-Dur-Rausch hat allein deshalb etwas Erlösendes. Rund 75 Minuten? Das muss man anmerken, denn die Fünfte kann schon auch 82 Minuten dauern wie bei Christian Thielemann oder knapp 67 wie bei Nikolaus Harnoncourt.
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Alexander Soddy bewegt sich mit dem Nationaltheaterorchester (NTO) also im Mittelfeld. Brillant und schlank geht er es an. Gleich der sich aus Bass- und Cellizupfern entwickelnde Streichersound der Leute um Dauerkonzertmeister Andrei Rosianu ist in der Einleitung paradiesisch homogen, die Blechbläser sind allesamt auf der Höhe und klingen weich und geschmeidig (die Hörner um Samuel Seidenberg sind stabil), und die Holzbläser finden ihren Platz zwischen der massigen Wucht der Streicher und dem strahlenden Schein des Blechs in klanglicher Ausgewogenheit und virtuoser Präsenz. Alles perfekt also.
Wo zeigt sich das Göttliche mehr?
Die Schwierigkeit in Bruckners Musik ist ja auch in dieser Fünften, dass sie manchmal etwas ungelenk in der Luft stehenbleibt, dass Dinge sich nicht ineinander verstricken, sich nicht auseinander herleiten und der Eindruck entsteht: Hier geht’s nicht weiter. Generalpause. Stille. Plötzlich: Tosen. Soddy gelingt es mit dem NTO, diese Leerstellen der Partitur, die anders als im Spätwerk Beethovens eher sprachloser Natur sind, mit Spannung zu überbrücken und einen Zerfall von Bruckners Musik zu vermeiden. Der Strom geht quasi immer durch die Pausen hindurch, die Formteile trennen und mitunter erscheinen wie leere Orte im Universum. Ohne Sterne. Ohne Galaxien. Ohne schwarze Löcher oder überhaupt irgendeine (dunkle) Materie.
Vielleicht ist das die starke spirituelle Komponente, die wir - freilich auch biografisch bezeugt - bei Bruckner fühlen. Es gibt keinen Beweis für Gott außer diesen: Er kann auch die öde Leere mit Hoffnung erfüllen.
Aber wo zeigt sich das Göttliche am Ende nun mehr? Im unfassbar mühelosen Esprit und Genie von Mozarts perfekter Dramatik? Oder rund 90 Jahre später in der schier ewigen und mühsamen Verbeugung Bruckners vor dem Großen, nach dem er ja ebenso strebte: als Glaubender (in Bezug auf Gott) und als Missachteter unter den Komponisten (in Bezug auf sein verletztes Ego)?
Als sei es gerade erst erfunden
Dem schweren Moschus-Geruch Bruckners jedenfalls bietet das leichte Bergamotte-Bukett Mozarts Erholung - zumal in der Interpretation Marianna Shirinyans. Die kluge und witzige Katharina Eickhoff schreibt im Programmheft dieses 4. Akademiekonzerts ja von unheimlichen Schatten, die Mozarts d-Moll-Konzert an die Wand werfe, und von Lektionen der Finsternis. Das stimmt ja auch. Doch diese Finsternis wird bei Soddy und Shirinyan zu etwas Gleißendem, bleibt dem Klang doch - im Gegensatz etwa zur Finsternis bei Beethoven - immer etwas Glühendes und Flammendes erhalten. Das liegt schon zum einen an der schlanken und transparenten Klangausleuchtung mit wenig Vibrato im Orchester - gleich zu Beginn im Rollen der Bassfiguren unter dem synkopischen Drängen des Allegro etwa (leider in der Wiederholung nicht mehr ganz so gut), oder auch in den dichter instrumentierten Attacken, in denen immer die vertikale Hierarchie stimmt. Zudem spielt Shirinyan, teils auch während des Spielens selig wirkend, so perlend, duftend und leuchtend (schon ihr Einstieg mit der Figur a-a-cis-e-d), zugleich aber auch frei und verspielt, als improvisiere sie. Das vermacht dieser Version einen unvergleichlichen Charme, der zu Shirinyans Interview-Satz passt, bei Mozart wisse man, dass er trotz aller Dramatik immer noch ein Gläschen Wein genießen konnte.
Zur Stimmigkeit dieses Abends gehört, dass Mozarts Konzert in der Gegenklang-Tonart von Bruckners B-Dur-Sinfonie steht; obwohl beides katholische Musik ist, ist sie konträr. Getrennt wurden die Werke von Protestant Brahms. Sein Intermezzo op. 118, 2 hat Shirinyan wunderbar frei gespielt, als erfinde sie es eben gerade. Trotz Bruckner und dem tosenden Applaus am Ende bleiben diese intimen Momente in uns.
Wiederholung am Dienstag, 22. Februar, 20 Uhr im Mozartsaal des Rosengartens in Mannheim.