Heidelberg. Es ist in gewisser Weise eine „kulturelle Aneignung“, wenn sich ein Sänger und ein Pianist aus Portugal dem deutschen Kunstlied widmen. Und fast so, als würde Jonas Kaufmann Fado singen. Nur mal zum Vergleich. Doch diese Aneignung ist äußerst wünschenswert und hat dem Bariton André Baleiro und dem Pianisten Pedro Costa bereits manche Auszeichnung beschert. Die beiden treten deshalb auch beim Heidelberger Frühling auf, der in der Alten Aula ein „Liedfest ohne Grenzen“ feiert.
Junge Preisträger und Stipendiatinnen sind dazu eingeladen worden. Und Moderator Roland Kunz, ein Dauer-Enthusiast, der auch professioneller Sänger war und sogar Oratorien komponiert hat, wie wir im Programmheft lesen. Kunz tendiert zum großen Wort, zur rückhaltlosen Schwärmerei: „Das Lied ist die Essenz von allem!“ Es sei zu gleichen Teilen „unterhaltsam und ganz tief“.
Ganz tief beginnt der lange Abend allemal (auch wenn er nicht so enden wird): André Baleiro hat ein anspruchsvolles, vielgestaltiges Programm erarbeitet. Bestimmt wird es von Brahms-Liedern, aber um sie herum ist auch Modernes und fast Zeitgenössisches gruppiert. Wobei sich diese Welten, jedenfalls in musikalischer Beziehung, eher nicht vermischen, sondern aufeinanderprallen. Im Gespräch mit Moderator Kunz betont Baleiro „das Groteske und Brutale“ moderner Lieder. Was sich auch in seinem Vortrag niederschlägt. Und ebenso in dem seines Begleiters Pedro Costa, der etwa die „Graab-Inschrift“ – sie schreibt sich wirklich so – von Wolfgang Rihm wie mit dem Presslufthammer meißelt.
3000 Besucher beim Festival
Weitaus filigraner nähert sich Bella Adamova, in Tschechien aufgewachsen, ihren Vorlagen. Die Mezzosopranistin sei „dem deutschen Lied verfallen“, sagt sie, seit sie den Tenor Fritz Wunderlich „Im wunderschönen Monat Mai“ von Robert Schumann habe singen hören. Leider gebe es in Tschechien noch aus Weltkriegszeiten eine Aversion der deutschen Sprache gegenüber. Doch Adamova hat tief in sie hineingelauscht, wie ihre Schumann-Interpretationen einer Auswahl aus dem abgründigen Zyklus Opus 40 unterstreichen.
Laurence Kilsby steht auf der Karriereleiter schon zwei Sprossen höher als seine Kollegen und Kolleginnen. Er hat den ersten Preis beim Heidelberger Frühlings-Wettbewerb „Das Lied“ errungen – und auch den beim Wettbewerb der Wigmore Hall in London. Demnächst wird er sein Debüt in Salzburg geben. Kilsby ist in jeder Hinsicht international, beim „Liedfest ohne Grenzen“ liegt sein Schwerpunkt auf französischsprachigen Vertonungen. Von Schubert gibt es lediglich das „Lied des Florio“. Aber Kilsbys leuchtender Tenor macht einen Schatz daraus, bezirzt mit „Tönen, sanft wie Flöten“.
Der Konzertteil Nummer drei setzt einen harten Schnitt, führt sozusagen in den Ballermann. Denn Simon Mack, ein junger Arrangeur und Komponist, bringt das Unmögliche zusammen: Sauftexte und Kunstliedmelodien. Was auf YouTube durch die Decke ging und viele hunderttausend Mal geklickt wurde. In Heidelberg müssen nun Frühlings-Stipendiatinnen und -Stipendiaten damit klarkommen – und Zeilen singen wie: „Ich überlege, mit dem Saufen aufzuhören, doch ich schwanke noch.“ Sie machen das fantastisch. Bierernst und mit Pokerface. Im ersten Stück sogar in Form einer barocken Arie à la Bach. Ist alles bloß ein Scherz. Die Liedkunst wird ihn überleben.
Zumal das Heidelberger Frühling Liedfestival von 14. bis 18. Juni immerhin 3000 Menschen gezählt hat, wie es am Sonntag mitteilt. Damit habe man um etwa 40 Prozent mehr Publikum erreicht als im Vorjahr. Um die 60 Prozent der Gäste seien aus Heidelberg und der Umgebung gekommen. Das Lied lebt. (mit dms)
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