Heidelberg. Über das ewig Weibliche mag gerne und immer wieder gegrübelt werden, wobei die feministische Sichtweise - endlich - die männlich dominierten und gewiss eingeengten Vorstellungen aufbricht. Das ist gut so und mag auch dem Zyklus „Frauenliebe und Leben“ von Robert Schumann nach Texten des Adalbert von Chamisso in der Vermessung von Entstehungszeit zum Heute differenzierte Perspektive angedeihen lassen.
Dieter Borchmeyer, Heidelberger Ikone an der Nahtstelle von Literaturwissenschaft und Musikbetrachtung, hat in seiner ungewohnt kurzen Einführung zum Liederabend Julia Kleiter in der Alten Aula darauf hingewiesen und die Sinne geschärft. Demnach steckt in den Texten und Vertonungen mehr als weibliche Hingabe an den „Herrlichsten von allen“, sondern ein unterschwelliges Ahnen übergreifender Eigenständigkeit, die wegführt von der ausschließlichen Fokussierung auf jenen, der „aus tiefstem Dunkel heller nur empor taucht“.
Weite Skala an Gefühlen
Julia Kleiter, die großartige Sopranistin, hat - möglicherweise - solche philosophisch-analytische Überlegungen am Abend ihres Vortrags beim „Heidelberger Frühling Liedfestival“ ausgeblendet, denn sie konzentriert sich aufs Singen. Und sie singt wunderschön. Voll „weiblicher Hingabe“, mit einem steten Eintauchen in die Gefühlsebenen, aus denen sie fein abgestufte Klanglichkeit generiert. Mit ihrer bestens austarierten Stimme durchmisst sie eine weite Skala an Gefühlen, die ein Herz erwärmen mögen, aber auch herzzerreißend nahegehen. Beglückend, wenn einer Interpretin solche Ausdrucksmöglichkeiten zur Verfügung stehen. So wird das Geschenk der Romantik, egal, wie man zu den Texten steht, zum reinen Genuss.
Den Zyklus „Frauenliebe und Leben“ umrahmte Kleiter mit fünf Liedern (op. 51), angeführt von der „Sehnsucht“, sowie fünf Liedern (op. 40) um das „Märzveilchen“ und einem Strauß aus „Wilhelm Meister“ einschließlich dem sehnsuchtsvollen „Kennst Du das Land“. Am Flügel saß mit Gerold Huber ein Großmeister. Ihm weitere Kränze zu flechten, hieße Eulen nach Athen zu tragen. Heidelberg genügt, und das Duo Kleiter/Huber entfachte großen Jubel.
Dichterischer Pulsschlag
Am Nachmittag hatte eine andere Herangehensweise für Aufmerksamkeit gesorgt, als der Tenor Daniel Johannsen gemeinsam mit dem Pianisten Andreas Fröschl in die Liedwelt von Hugo Wolf eintauchte. Der aus Wien stammende Tenor gilt, unter anderem, als exemplarischer Exeget von Evangelisten-Partien, was heißt, dass er die Texte genauestens ausformuliert. Er spürt dem dichterischen Pulsschlag von Mörike, Eichendorff, Heyse und Goethe nach und setzt dabei eine fast extreme dynamische Spannweite ein.
Dieser Sänger legt Wert auf kleinste Nuancen, die er einbettet in inhaltliche Analyse und ausreizt in ihrem Gehalt. Johannsen differenziert und spannt auf, testet gewissermaßen, was die Wolf-Lieder hergeben. Zweifellos kommt ihm dabei kein anderer nahe. Klavierpartner Fröschl ging bis ans orchestrale Limit des Flügels, auch er außergewöhnlich im Spiel.
Vielleicht mag der einen oder anderen Hörerin ein Gran an Schmelz und Sinnlichkeit in der Stimmführung gefehlt haben, aber diese Wolf-Interpretation von Daniel Johannsen war eine bislang „unerhörte“ Erfahrung. Hugo Wolf ist sein Ding, und wer seinen Vortrag versäumt hat beim Biergartenwetter, hat wirklich Pech gehabt. Das Festival zeigt gerade an diesem Tag, wie unterschiedlich „Lied“ gedeutet werden kann.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/kultur_artikel,-kultur-heidelberger-liedfestival-so-unterschiedlich-koennen-die-ausgangspunkte-beim-lied-sein-_arid,2095907.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/heidelberg.html