Wallis Bird erscheint am Bildschirm. „Hello“, sagt sie. Die Sängerin trägt eine blaue Bluse mit großem Kragen. Ihr Gesicht ist von der Sonne erhellt, ja, fast geblendet. Sie sitzt in ihrer Wohnung in der Nähe des Herrmannplatzes in Berlin-Neukölln und wirkt frisch, gut gelaunt und auskunftsfreudig.
Miss Bird, Sie sind Teil eines Liedfestivals, bei dem das klassische Kunstlied im Zentrum steht. Wie fühlen Sie sich dabei?
Wallis Bird: Ich bin neugierig. Ich habe einen ganz anderen Hintergrund und singe für unser Programm auch noch mit meiner Naturstimme. Aber ich habe in den letzten Jahren viel Klassik trainiert. Ich kann das jetzt gut singen. Das ist technisch etwas ganz Anderes.
Die klassische Stimme sitzt tiefer im Körper …
Bird: … ja, aber dafür geht sie viel höher hinauf. Das sind Regionen, die ich normalerweise nie benutze. Ich bewege mich da jetzt irgendwo zwischen den Welten. Wir haben das ja gerade zum ersten Mal gespielt, und wenn man auf der Bühne ist, macht alles total Sinn, also die Alte Musik so zu spielen, dass sie neu klingt.
Wie sah das Publikum aus?
Bird: Halb, halb, Leute aus dem klassischen Bereich und solche, die eher mich kennen. Sehr divers. Eine perfekte Mischung. Die klassischen Lieder sind ja sehr intellektuell und komplex. Andererseits singe ich auch bekannte Lieder, etwa „Mercedes Benz“ von Janis Joplin. Da kommen dann die Leute zu mir und sagen, das sei super cool und würde perfekt zusammenpassen mit Clara Schumann.
Sie singen Clara Schumann!
Bird: Ja, und Hildegard von Bingen und Fanny Hensel. Wir spielen Musik vom 11. Jahrhundert bis heute.
Wallis Bird stand immer für einen Gegenentwurf zum fest Komponierten, ich glaube, Sie wollten immer wild sein und eine Alternative zur Konvention. Geben Sie Freiheit auf für das Heidelberger Projekt mit der klassischen Band Spark?
Bird: Eine Altersfrage. Ich bin eine Andere geworden, habe mehr Selbstsicherheit. Als ich angefangen habe, hat mir das Chaos sehr viel bedeutet. Es war der Spiegel meines Lebens. Mit der Zeit habe ich gelernt, mich und das Leben etwas klarer zu sehen.
Bird und Liedfest
- Wallis Bird: 1982 im irischen County Meath geboren, studierte Bird in Dublin und Mannheim Musik. Mittlerweile sind acht Alben von ihr erschienen.
- Liedfest: Von 14.-18. Juni konzentriert sich das Liedfest allumfassend auf die Gattung – vom Volks- über das Kunstlied hin zum modernen Popsong.
- Konzert: Wallis Bird spielt am 15.6., 21 Uhr, im Karlstorbahnhof (Info: heidelberger-fruehling.de/liedfestival).
In „Visions of Venus“ geht’s ums Frauenbild. Wollen Sie da etwas korrigieren?
Bird: Ich finde, es ist eine gute Zeit, um darauf hinzuweisen, wie schwer es jemand wie Clara Schumann hatte. Die Leute haben nicht bemerkt, dass sie als Komponistin so gut war wie Robert Schumann. Ich glaube, er hat auch bei ihr geklaut. Ihre Musik ist extrem inspirierend und scheint verloren in der Luft zu hängen. Die Frauen hatten es sehr schwer damals. Die durften nicht berufstätig sein.
Aber Clara als berühmte Pianistin war sehr berufstätig. Geht es Ihnen mehr um Künstlerinnen oder die Rolle der Frau in der Gesellschaft?
Bird: Also ich will nicht so viel korrigieren. Ich will einfach machen. Ich halte die Leute für klug genug, um zu spüren, was Frauen der Welt an Kunst gegeben haben. Mit der Show wollen wir das zelebrieren. Und wir sprechen eben auch Leute an, die nicht so oft mit Klassik in Berührung kommen. Ich selbst lerne da sehr viel.
Und wie versteht sich Clara mit Aretha Franklin, Björk, Kate Bush?
Bird: Die haben viel gemeinsam. Die waren alle Wunderkinder und hatten Musik im Blut. Jeder kann das sofort verstehen. Und Musik ist zeitlos. Was Björk macht, ist sehr modern, aber man hört wahnsinnig viel von den Vorfahren und der Geschichte des Lebens, das wir alle leben oder gelebt haben. Gute Musik passt immer zu guter Musik – egal welche Zeit.
Wie steht’s um Ihre eigenen Werke?
Bird: Ich singe ein paar alte Lieder und zwei neue, die ich für das Programm geschrieben habe. Das eine ist „Visions of Venus“ und das andere „Dr. James Barry“. Barry war ein früher bekannter Fall von Transgender. Sie war Militärarzt und hatte irgendwann entdeckt, dass sie kein Mann war. Sie wollte nicht, dass das publik wird. Sie war aber eine Visionärin, die als Transmann ihr Leben verbracht hat. Das passt sehr gut ins Programm.
Die andere ist Venus, die Göttin der Schönheit. Das ist ja genau das, worauf Frauen nicht reduziert werden wollen. Wovon handelt das Lied?
Bird: Von den Frauen im revolutionären Iran von heute, um die Unterdrückung der Frau und vom Kampf für Gleichheit. Es ist eine Hymne für mehr Feminismus in unserer Welt. Lord Byron hat viel über Schönheit geschrieben. Ich denke, wir sollten mehr über das Altern von Schönheit sprechen. Als Frau musste man immer schön und reich sein und einen guten familiären Hintergrund haben. Damit sollte Schluss sein.
Gute Musik passt zu guter Musik, sagten Sie. Wo ist denn die Wesensverwandtschaft von Hildegard von Bingen, Tori Amos und Wallis Bird?
Bird: Es geht immer um eine großartige Geschichte, und diese Geschichte über Frauen müssen wir erzählen. Es geht um Tiefe, Geduld, Schmerz. Unsere Lieder sind von Frauen, die so ein helles Licht in sich gespürt haben, dass sie es rauslassen mussten.
Und musikalisch?
Bird: Die klassische Band Spark und ich kommen aus zwei Welten. Spark ist eine richtig geile Band. Die spielen mit Herzblut, wie ich das auch in meiner Welt mache. Und wenn beide Welten sich treffen, macht plötzlich alles Sinn, man versteht die Texte besser, man denkt über den Klang nach. Da wird die weibliche Perspektive zur spirituellen Ebene.
Also ist die große Gemeinsamkeit die Tiefe und Ernsthaftigkeit?
Bird: Ja, das sehe ich so. Und ich muss noch etwas loswerden: Wir Frauen müssen viel härter arbeiten, um Erfolg zu haben. Ich habe so oft gehört, dass man mich nicht mehr ins Programm nehmen kann, weil schon genug Frauen auf der Bühne stehen. Das ist schlimm. Aber es ändert sich jetzt doch einiges. Das alles spürt man in „Visions of Venus“. In Leverkusen habe ich Tränen im Publikum gesehen. Weil die Geschichte etwa der Hildegard von Bingen rührt. Sie hatte nur ihre Verbindung mit der Erde und die Medizin.
Und mit Gott. Aber etwas anderes: In Deutschland streitet man immer wieder über die Aufteilung von ernster und unterhaltender Kultur. E oder U. Ist Ihnen das fremd?
Bird: Ich habe von dieser Diskussion noch nie gehört.
Interessant. Also das geht bis zur Gema, wo klassisch komponierte Musik besser bezahlt wird als Pop.
Bird: Da öffnet sich eine Schublade in mir. Cool. Wo finde ich etwas darüber?
Im Kern geht es darum, dass manche die Grenze aufheben möchten. Es gibt ja Musik zum Zuhören und solche zum Feiern. Ihr Programm ist beides. Sind die Leute bei Ihnen ruhig?
Bird: Ich hatte das erwartet. Aber was ich bemerkt habe: dass die Leute offener werden, weil sie das nicht ganz einordnen können. Wir haben von Anfang an gesagt: Macht mit! Und dann kommst du zu Fanny Hensels Kunstlied, und da machen die auch mit. Ich denke, das Tolle ist, dass die Leute Tori Amos wie Klassik hören können und ein Lied von Hildegard von Bingen wie einen Rocksong. Die Mauer ist weg. Was in Deutschland toll ist: Die Politik unterstützt in Berlin einen Technoclub wie das Berghain auch als Kultureinrichtung. Das ist genauso wichtig wie ein Museum. Das gibt es in Irland nicht, da thront das Theater über allem. Entscheidend ist doch, dass du mit Kreativität Menschen bewegst, egal welcher Stil.
Schnuppern Sie in Heidelberg auch bei den anderen Veranstaltungen des Liedfests rein?
Bird: Da muss ich zuerst den Tourmanager fragen, ob wir Zeit haben. Haben Sie einen heißen Tipp?
Der maximale Kontrast zu Ihnen ist Thomas Hampsons Liedakademie.
Bird: Hampson? Kenne ich nicht.
Er ist ein weltberühmter Bariton, der dort immer Workshops gibt.
Bird: O cool, ich hoffe, ich kann da mitmachen. Bariton finde ich cool.
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