NTM-Interview

Wie ein Sänger des Nationaltheaters Mannheim auf Kritik reagiert

„Wir fühlen uns ungerecht behandelt“, sagt Opernensemble-Sprecher Marcel Brunner vom Nationaltheater. Hintergrund ist eine allgemeine Negativstimmung dem Nationaltheater gegenüber und böse Leserbriefe

Von 
Stefan M. Dettlinger
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Arbeit im Probenzentrum (v.l.): Sung Ha, Zsuzsanna Ádám, Marcel Brunner und Vasyl Solodkyy. © Maximilian Borchardt

Mannheim. Herr Brunner, erst mal persönlich: Wie geht es Ihnen, sind Sie zufrieden mit der Gesamtsituation?

Marcel Brunner: Mir geht es ganz gut. Ich erlebe eine Spielzeit mit vielen Aufgaben. Ich habe gerade zum ersten Mal seit Oktober richtig Luft und mache Urlaub in Prag und sitze unterhalb der Prager Burg. Und bald proben wir ja „I masnadieri“, also mir geht’s gut.

Und dann die Frage an den Ensemble-Sprecher der NTM-Oper: Wie ist die Stimmung unter den Sängerinnen und Sängern?

Brunner: Ziemlich gut, alle sind enorm beschäftigt und jetzt im zweiten Drittel der Saison natürlich auch bereits etwas müde. Es liegt einiges an Arbeit hinter uns, und die Situation mit den vielen Spielstätten ist schon sehr anstrengend. Das Fahren nach Schwetzingen, Neckarau oder Ludwigshafen – das ist definitiv eine größere Belastung als vor der Sanierung.

Es herrscht ja so ein bisschen eine Anti-Stimmung zum NTM. Bekommen Sie solche Schwingungen eigentlich mit?

Brunner: Wir bekommen das alle sehr gut mit. Wir lesen in großen Teilen auch, was im „Mannheimer Morgen“ steht, intern werden relevante Artikel ja auch verteilt. Wir nehmen das sehr emotional auf, ja. Neulich gab es ja auch den bösen Leserbrief, auf den dann auch Leute aus dem Haus reagiert haben. Wir fühlen uns da schon ungerecht behandelt. Hier liegt nämlich keiner auf der faulen Haut.

Zur Person Marcel Brunner

  • Der Bassbariton wurde 1992 in Bad Mergentheim geboren. Er studierte in Mannheim (Snezana Stamenkovic) und Karlsruhe (Christiane Libor, Stephan Klemm). 2018 kam er ins Internationale Opernstudio des NTM, ab 2020 ins feste Opernensemble.
  • „I masnadieri“: Verdis Schiller-Oper wird im Musensaal des Rosengartens konzertant aufgeführt (13./28.4., 3./5.5.).
  • Info/Karten: 0621/1680 150.

Der Geschäftsführende Intendant Tilmann Pröllochs hatte es im Gespräch schon angedeutet: Sie arbeiten also mehr als vor der Sanierung? Wie kommt das? Sie spielen zurzeit eine Art dezentrales Stagione-System, also an verschiedenen Orten immer ein Werk nach dem anderen weg. Das gilt als ressourcenschonender…

Brunner: Natürlich ist der Repertoirebetrieb sehr anstrengend, wobei es hier darauf ankommt, welche Belastung man individuell hat. Es ist vielleicht nicht so sehr Stagione, was es aufwendiger macht, sondern die Spielstätten. Und die höhere Taktung der Vorstellungen in kürzerer Zeit, aufgrund der kurzen Verfügbarkeit der Spielstätten. So hatte ich zum Beispiel vier „Figaro“ Vorstellungen innerhalb einer Woche zu singen, zusätzlich habe ich zwischen den Vorstellungen bereits „I masnadieri“ vorbereitet. Da die Interimsspielstätten oft nur eine kurze Probenzeit vor Ort zulassen, ist die Vorbereitung auf den Probebühnen in Neckarau umso wichtiger, um das zu kompensieren, was uns natürlich auch noch unter zusätzlichen Druck setzt.

Aber das Nationaltheater hat in der Vergangenheit immer mal wieder argumentiert, dass der Repertoirebetrieb nur schwer aufrecht zu halten ist, wenn die Zuwendungen fallen. Würde das nicht im Umkehrschluss bedeuten, dass Stagione sowieso nicht geht?

Brunner: Mit den finanziellen Dingen bin ich nicht befasst. Was teurer ist, kann ich nicht bewerten. Wohl aber ist der Arbeitsaufwand für alle an die Produktionen gebundenen Abteilungen definitiv höher, beispielsweise bedeuten die wechselnden Spielstätten für die Masken- und Kostümabteilung quasi den Status des Dauerumziehens.

Ich habe gelernt, dass kleinere Häuser mit kleinerem Budget eben Stagione spielen, weil sie nicht das Geld haben, 20 Abende auf der großen Bühne und viele Produktionen parallel zu spielen.

Brunner: Das kann man nicht mit dem vergleichen, was wir gerade machen. Wenn nur eine Spielstätte da ist, läuft da dann von Januar bis Februar „Figaro“, und von Ende Februar bis März „Carmen“. Bei uns ist es aktuell so, dass es Überlappungen gibt, dass wir parallel „Dido and Aeneas“ in der Alten Schildkrötfabrik spielen und gleichzeitig „Figaro“ im Schlosstheater Schwetzingen. Das ist schon ziemlich komplex und wie eine Mischung aus Repertoire und Stagione.

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Aber Sie haben ja viel Personal. Bei Purcell und Mozart stehen doch ganz andere Musiker und Sängerinnen auf der Bühne…

Brunner: … und genau das rechtfertigt natürlich auch weiterhin das Ensemble, weil immer alle aktiv sind. Das Orchester teilt sich. Das Ensemble auch.

Es leuchtet dennoch nicht ein, dass das aufwendiger sein soll, die Werke sind kleiner, man teilt sich eben auf.

Brunner: Es kommt noch etwas dazu. Früher wurden Wiederaufnahmen oft mit weniger Zeit geprobt, was der hohen Vorstellungsdichte des Spielhauses am Goetheplatz geschuldet war. Für „Parsifal“ waren damals eineinhalb Wochen anberaumt. Für „Carmen“ waren es zuletzt drei Wochen, was für die Qualität natürlich sehr gut ist. Da fällt einfach mehr Arbeit an.

Und nun kommen Verdis „Räuber“ nach Schiller. Wieder eine Opernpremiere – wenn auch konzertant: Warum wird im Musensaal da eigentlich nicht wenigstens kulissenlos Theater gespielt und stattdessen mit dem Notenband in der Hand gesungen?

Brunner: Da gibt es zwei Aspekte. Das eine ist eine künstlerische Entscheidung. Man interagiert konzentrierter und fokussiert sich auf die Musik. Das Andere ist: Der Rosengarten ist sehr teuer. Szenisch, auch ohne Kulissen, würde bedeuten: viel proben, mit Auftritten und Abgängen. Das können wir einfach nicht bezahlen.

Kommt da der städtische Eigenbetrieb m:con nicht dem städtischen Eigenbetrieb Nationaltheater entgegen?

Brunner: Da habe ich keinen Einblick. Aber das NTM bezahlt sehr viel Geld an die m:con.

Sie selbst singen in den Räubern den Moser. Stört es Sie eigentlich nicht, mit konzertanten Aufführungen im Grunde gegen den Willen des Komponisten zu agieren, denn der hat ja Musik-Theater geschrieben?

Brunner: Nein, ich finde, konzertante Oper hat ihren Reiz. Und immerhin ist das, was Regisseure auf die Bühne bringen, auch nicht immer im Sinne des Komponisten und Librettisten. Wir hingegen können uns konzertant zu 100 Prozent auf die Ursprungsaussage konzentrieren und da eben rüberbringen, was der Komponist intendiert hat.

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Das sagen teils auch konservative Opernfans: Die Inszenierung hat mich nicht weiter gestört oder: Konzertant wäre es besser gewesen…

Brunner: … genau. Nein: Ich liebe die Szene schon. Aber ein Stück wie die „Räuber“ hat so viel Kraft, da entstehen, und das haben auch vergangene konzertante Aufführungen gezeigt, auch besondere Momente.

Was wünschen Sie sich für die kommende Spielzeit, wenn dann hoffentlich die Oper am Luisenpark bespielbar sein wird? Was den Leuten am meisten fehlt, ist ein Ort der Zusammenkunft, der Kommunikation und des Austauschs…

Brunner: …das ist es im Prinzip auch. Ich hoffe, dass sich die Opal beim Publikum schnell etabliert und zu einem festen Ort wird. Wir brauchen diese Präsenz an einem Ort, und egoistisch fürs Ensemble gedacht: Ich hoffe auch, dass wir uns wieder regelmäßiger begegnen. Es gibt Sänger, mit denen ich in dieser Saison nicht einmal auf der Bühne gestanden habe.

In der Pandemie war man vielerorts sehr einfallsreich in Aktionen, um den Kontakt zu den Menschen aufrecht zu erhalten. Was könnte das Ensemble da noch tun neben dem Aufführen von Werken?

Brunner: Wir machen viel. Thomas Jesatko ist mit „Der Wal“ in die Schulen gegangen, wir waren als Ensemble auf dem Reisemarkt und werden auf dem Stadtfest präsent sein. Wir werden immer wieder rausgeschickt, um für das Theater zu werben. Das finde ich auch gut und richtig, dass wir das tun.

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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