Vom Gebrauchsgegenstand zum Protest- und Propagandamittel zur Kunst-Form: Im Heidelberger Universitätsmuseum setzt sich eine Ausstellung mit der Historie einer Bild-schaffenden Disziplin auseinander, die in den vergangenen Jahren wohl niemand stärker und ikonischer im breiten öffentlichen Bewusstsein verankert hat als der Brite Banksy: Stencil- oder Schablonen-Graffiti. Aber jenseits des weltbekannten Leuchtturm-Sprühstrahls seiner Street-Art haben Protagonisten und Pioniere wie der US-Amerikaner John Fekner (* 1950) oder der Franzose Blek Le Rat (* 1951) wegweisende Spuren gelegt – die in dieser Schau ebenso beleuchtet werden wie die Arbeiten von Stencil-Akteuren wie David Wojnarowicz, Alex Vallauri oder der Anarcho- und Art-Punkband Crass.
„Stencil Stories – Geschichte des Schablonen-Graffiti“, zu sehen bis zum 18. Dezember, ist zunächst einmal keine allzu große, aber eine sehr ansprechend und instruktiv konzipierte Ausstellung – acht erläuternde Texttafeln und vier Vitrinen mit Exponaten erwarten uns im Museumsfoyer; gezeigt werden Fotos und Fotoreihen, Magazin- und Zeitungsartikel, Bücher sowie eine Auswahl von Originalschablonen nebst verschiedener Schabloneneditionen. Dabei fällt der Blick rasch auf eines der markantesten Ausstellungsstücke: Blek le Rats Halbfigur-Schablone von Tom Waits, entstanden 1983, die sich auf das Plattencover von Waits’ fantastischem „Swordfishtrombones“-Album bezieht und sich im Besitz des Kunsthistorikers und Street-Art-Forscher Johannes Stahl befindet. Ebenso werden hier Gebrauchsschablonen gezeigt, wie die rotierende, 1871 patentierte Lettern- und Zahlenscheibe von Eugene Tarbox oder, wunderbar prosaisch: Bierdeckelschablonen („Weinhaus zur Kette München“).
Konterfeis auf Hauswänden
Ein Film illustriert, wie im Zuge der faschistischen Propaganda-Maschinerie die Diktatoren-Konterfeis von Mussolini und Franco auf italienische und spanische Häuserfronten aufgebracht wurden. Auf der gegenüberliegenden Seite hängen eine im Zuge der Pariser Studierendenrevolten von 1968 entstandene Pappschablone sowie ein Original-Poster, für das sie verwendet wurde – beide werden in der Bibliotheque Nationale de France aufbewahrt. Auch Punk-Stencils wie das Crass-Logo sind hier vertreten, und auf einem Tisch daneben liegt eine 1967er-Ausgabe des seligen Satire-Magazins „Mad“ mit beigefügten Gimmick-Stencils.
Vor allem auch lohnt der Blick in den umfassenden, sehr lesenswerten Katalog, den Ausstellungsleiter Ulrich Blanché vom Institut für Europäische Kunstgeschichte herausgegeben und zu dem Studierende der Universität und der Pädagogischen Hochschule Heidelberg Texte beigetragen haben.
Geöffnet sind die „Stencil Stories“ donnerstags bis samstags (außer an Feiertagen), und zwar jeweils von 10.45 Uhr bis 16.30 Uhr. Der Eintritt zur Ausstellung frei.
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