Mannheim. Nichts hiervon wird sich in ähnlicher Form wiederholen lassen, denkt man sich, während die Performance „Re-Cover“ beim Mannheimer Theaterfestival Schwindelfrei aufgeführt wird. Die Tänzerinnen Amy Josh, Charlotte Petersen, TingAn Ying und Tänzer Alfonso Fernández Sánchez von der Heidelberger Compagnie Inter-Actions zeigen dort über mehrere Stunden eine Fülle verschiedenster choreografischer Formen, teils auch im Verbund mit Performance-Art-Elementen.
Die Musik, die Sounds aber, die ihre Bewegungen begleiten, wählt man frei aus einer Sammlung von Playlists, die mittels Smartphone angewählt und per Kopfhörer angehört werden.
Das Publikum im Eintanzhaus sitzt dabei ungezwungen auf Bänken rund um die Tanzfläche, kann sich – ebenso wie die Performenden – Auszeiten nehmen. Aus diesem Wechselspiel zwischen Präsentation und mit-gestaltbarer Wahrnehmungsweise erwächst eine bisweilen tief entspannte bis meditative, teils impulsive, energievolle Dynamik.
„Re-Cover“ ist eine von zwei Produktionen, die aus den sogenannten Residenzen des Schwindelfrei-Jahres 2020 hervorgegangen sind und nun am Abschlusstag der aktuellen Ausgabe gezeigt werden. Damals hatte das Ensemble unter künstlerischer Leitung von Edan Gorlicki, das sich im Zuge seiner „Molecular Scars“-Trilogie drei Jahre lang mit dem Spannungsfeld traumatischer Erfahrungen befasste, zusammen mit Expertinnen und Experten aus Tanztherapie und Therapiewissenschaften geforscht. „Re-Cover“ legt nun „den Fokus auf Heilungsprozesse, die aus dem Körper selbst entstehen“.
Wie schon die einstündige Einlasszeit, soll auch das Ende flexibel gestaltet werden, das indes nicht mehr mitbekommt, wer zum zweiten 2020er-Residenz-Anschluss wechseln will, der Teil-überschneidend im Theaterhaus G7 stattfindet: Bei „Lautsprecher*innen“ wollen Tala Al-Deen und Anso Dautz den „Moment des Stimme-Erhebens“ erforschen – was die beiden in sinnfälliger Manier mit einer Garagen-Punk-Eröffnung an Schlagzeug, Bass und Mikrofon („Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“) einläuten. Fünf Kartonboxen werden alsbald ans Publikum verteilt, die als Resonanzkörper für Lautsprecher dienen, aus denen simultane Erzählungen dringen. Wiederholt hören wir die Stimme der afroamerikanischen Poetin und Aktivistin Audre Lorde, deren Texte und Reden als Inspirationsquelle für die Performance dienten.
Ausdrucksformen erforschen
Al-Deen – die auch Mitglied im Schauspielensemble des Mannheimer Nationaltheaters ist – erkundet daneben die Register der eigenen stimmlichen Ausdrucksformen, vom Stocken und Nicht-Reden-Können bis zur tosenden Vielklang-Collage. Die unter Mitwirkung von Antonia Manhartsberger und Britta Tränkler entstandene Performance markiert zugleich Anso Dautz’ Bachelorstück im Fach Figurentheater an der Stuttgarter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst. Das kommt sympathisch anarchisch und mit unter 40 Minuten in angenehm konzentrierter Form daher.
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