Interview

Warum Samuel Koch sich mit der "Letzten Generation" solidarisiert

Im Interview spricht der Mannheimer Schauspieler über die Aktionen der Klimaaktivisten und die Kritik daran - und verrät, ob er selbst mitmachen würde

Von 
Walter Serif
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Unterstützt die Klimaaktivisten mit seiner Unterschrift: Samuel Koch. © Uwe Anspach/dpa

Mannheim. Herr Koch, viele Künstler wie Ihr Kollege Jan Josef Liefers haben in letzter Zeit irgendwelche politische Aufrufe unterzeichnet oder komplexe Themen wie Corona per Video-Satire aufs Korn genommen. Finden Sie, dass solche Aktionen einen besonderen Nerv treffen, oder sind sie einfach nur Blödsinn?

Samuel Koch: Es ist schon etwas dran an der Floskel, dass man bei seinen Leisten bleiben sollte, wenn man keine Ahnung hat. Gleichzeitig bin ich aber davon überzeugt, dass jeder Mensch Verantwortung übernehmen sollte, ja dass das zu seiner Pflicht gehört. Das gilt vor allem für Politiker oder eben Schauspieler, die in der Öffentlichkeit stehen.

Sie unterstützen also die „#allesdichtmachen“-Aktion von 2021, obwohl sich Liefers inzwischen davon öffentlich distanziert hat?

Koch: Nein. Ich glaube nämlich auch, dass der Zweck nicht immer die Mittel heiligt. Das gilt vor allem für solche kurzgedachten Aktionen.

Wir streiten uns über so unglaublich viele streitbare Dinge statt bei den Themen zu handeln, die eben nicht streitbar sind.

Weshalb die Künstler dann ja auch einen Shitstorm ernteten.

Koch: Ich unterstelle keinem meiner Kollegen böse Absichten. Aber manchmal kann man die Ausmaße solcher Aktionen nicht abschätzen. Ich möchte nicht in der Haut der Politiker stecken, die in der heißen Corona-Phase Entscheidungen von großer Tragweite treffen mussten. Das ist alles komplexer, als man denkt. Erst recht für einen kleinen Künstler wie mich, der vielleicht aus Alternativlosigkeit Schauspiel studiert hat . . .

. . . jetzt stellen Sie mal Ihr Licht nicht unter den Scheffel . . .

Koch: . . . (lacht).

Beim Thema Klimaschutz wollen jedenfalls auch Sie mitreden. Sie haben den Aufruf „Klimaschutz ist kein Verbrechen - Solidarität mit der ,Letzten Generation‘“ unterzeichnet. Bereuen Sie das jetzt auch wie Herr Liefers, denn die „Letzte Generation“ steht ja gegenwärtig im öffentlichen Kreuzfeuer?

Koch: Nein, natürlich gilt auch, dass der Zweck nicht alle Mittel heiligt. Aber klar ist für mich auch: Klimaschutz ist kein Verbrechen, Nichtstun aber schon. Früher hieß es ja oft: Wer nichts tut, kann nichts falsch machen. Heute würde ich sagen: Wer nichts tut, macht was falsch. Es ist doch unglaublich, dass wir es nicht einmal schaffen, die zwei Pille-Palle-Forderungen der „Letzten Generation“ zu erfüllen: Nämlich Tempo 100 und ein dauerhaftes 9-Euro-Ticket. Das sind ja nicht gerade revolutionäre Vorhaben.

Über Samuel Koch

  • „Ich Holzkopf bin mit dem Kopf gegen ein Auto gerannt und habe mir viermal das Genick gebrochen. Seitdem war es nicht immer einfach. Aber möglich.“ Mit diesem Satz steigt man auf der Homepage von Samuel Koch ein.
  • Jeder, der früher „Wetten, dass . . ?“ geschaut hat, erinnert sich mit Entsetzen an die Sendung vom 4. Dezember 2010 in Düsseldorf, als sich der Geräteturner beim Versuch, mit speziellen Sprungstiefeln über ein fahrendes Auto zu springen, schwer verletzte. Seither ist er vom Hals abwärts querschnittgelähmt.
  • Koch (35) ist Schauspieler und Autor, seit der Spielzeit 2018/2019 auch festes Ensemblemitglied am Nationaltheater Mannheim. Er wuchs im südbadischen Wintersweiler auf.
  • Zwei Monate vor seinem Unfall begann Koch sein Schauspielstudium in Hannover, das er dann im Jahr 2014 abschloss. Seine Abschlussarbeit trägt den Titel: Die Entdeckung des Schönen in der Reduktion. was

Seltsamerweise hat der Aufruf kein großes Echo, schon gar keinen Shitstorm ausgelöst, obwohl doch fast alle Politiker und Journalisten die Aktionen der „Letzte Generation“ kritisch sehen. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Koch: Ich habe neulich einen sehr interessanten Begriff gehört: Aufmerksamkeitsökonomie. Es gibt einfach so viele Informationen, Nachrichten und Zerstreuung. Die Menschen können das alles gar nicht mehr sortieren und verarbeiten. Ich habe manchmal auch den Eindruck, dass all diese Informationen uns viel zu sehr ablenken. Wir streiten uns über so unglaublich viele streitbare Dinge statt bei den Themen zu handeln, die eben nicht streitbar sind.

Zum Beispiel Klimaschutz.

Koch: Genau. Wir sollten uns auf die sinnvollen Maßnahmen konzentrieren, die wir alle umsetzen können. Ich wünsche mir mehr Taten statt Worte. Natürlich gibt es bei der „Letzten Generation“ auch fragwürdige Protestformen. Aber als Künstler sehe ich wie jedes Kunstwerk auch die Welt als ein Beispiel für kreative Schöpfung. Und die darf man doch nicht zu Schaden kommen lassen.

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Kulturstaatssekretärin Claudia Roth nennt die Klimaproteste „dumm“ und „willkürlich“.

Koch: „Dumm“? So wie ich an das Gute im Menschen glaube, unterstelle ich uns auch Dummheit. Jeder von uns hat schon dumm gehandelt, das gilt auch für die „Letzte Generation“. „Willkürlich“, da verstehe ich Frau Roth überhaupt nicht. Ich fände es verwerflich, wenn sich jemand „unwillkürlich“ auf der Straße festklebt.

Unterstützen Sie alle Aktionen der „Letzten Generation“ ?

Koch: Klimaschutz ist zwar kein Verbrechen, aber die einzelnen Taten, egal ob „willkürlich“ oder „unwillkürlich“, die muss die Justiz bewerten. Ich kann mich da also glücklicherweise aus der Affäre ziehen, weil ich kein Richter bin. Aber ich glaube schon, dass es nicht nur Aufgabe der Politik ist, den Klimaschutz voranzutreiben. Das ist unser aller Aufgabe. Jeder Mensch muss Verantwortung übernehmen. Gerade wir, die in Deutschland unseren Luxus und Wohlstand auf Kosten anderer Menschen und der Welt insgesamt genießen, sollten uns dessen bewusst sein. Da helfen keine schöne Worte oder Klimaabkommen, wenn diese nicht in Taten umgesetzt werden. Darauf darf man gerne auch etwas lauter aufmerksam machen.

Carla Hinrichs, Sprecherin der „Letzten Generation“, hat ihr Jurastudium abgebrochen und würde es nach ihren eigenen Angaben auch in Kauf nehmen, wenn sie wegen ihres Protests eine Gefängnisstrafe bekäme. Wie bewerten Sie das?

Koch: Im ersten Moment hört sich das für mich nach einer ehrenhaften Sache an. Ich muss jetzt gerade an eine Familie denken, mit der ich mich intensiv austausche. Der Vater von vier Kindern sitzt im Gefängnis, weil er als Arzt in Belarus während einer Protestkundgebung geholfen hat. Ich habe denen jetzt Weihnachtsgeschenke geschickt. Zurück zu Ihrer Frage: Ich finde es gut, wenn ein Mensch bereit ist, sein Ego oder seinen Selbstverwirklichungsdrang zurückzustellen, und für ein höheres Ziel kämpft, und dafür womöglich sogar jahrzehntelang ins Gefängnis geht, wie es bei Nelson Mandela der Fall war.

Sie wollen jetzt aber nicht Carla Hinrichs mit Nelson Mandela vergleichen, oder?

Koch: Nelson Mandela wurde erst dadurch weltberühmt, dass er für seine politischen Ideale eine ewig lange Haftstrafe billigend in Kauf genommen hat. Deshalb finde ich es immer gut, wenn sich jemand wie Carla Hinrichs positioniert und sich von einer möglichen Gefängnisstrafe nicht abschrecken lässt, so wie seinerzeit übrigens auch der Kollege Jan Josef Liefers, als er in Wendezeiten die DDR-Führung öffentlich kritisierte. Da macht es für mich keinen Unterschied, ob jemand einen berühmten Namen trägt oder nicht. Wichtig ist auch, dass der oft missinterpretierte Begriff der „Toleranz“ wieder ursprünglich verstanden wird. Tolerare heißt ja etwas ertragen. Auch die Meinung des anderen, selbst wenn sie mir nicht gefällt.

Viele tolerante Menschen, die Toleranz einfordern, fordern in Wirklichkeit Intoleranz ein, nämlich ihre eigene.

Koch: Das kann ich wirklich so unterschreiben.

Ich fahre jetzt mit dem Rollstuhl als Panzersperre nach Kiew.

Würden Sie auch gerne an den Blockadeaktionen der „Letzten Generation“ teilnehmen?

Koch: Ich stelle bei mir schon immer wieder einen großen Tatendrang fest. Meine Freunde mussten mich festhalten und haben mich für bescheuert erklärt, als ich nach dem Kriegsbeginn gesagt habe: Ich fahre jetzt mit dem Rollstuhl als Panzersperre nach Kiew. Der wiegt nämlich mehr als 200 Kilogramm. Ich würde mich also schon als einen Aktivisten bezeichnen, trotzdem muss man auch klug bleiben und überlegen, wie man einem Anliegen am meisten dient. Wenn Carla Hinrichs ins Gefängnis geht, damit ein Exempel statuiert und für viele zum Vorbild wird, dann ist es wunderbar. Wenn die Gesellschaft gleichgültig auf ihre Haft reagieren würde, wäre sie dort fehl am Platze.

Das weiß man dann aber leider immer nur hinterher.

Koch: Das ist richtig. Ich glaube, dass es in meinem Fall nicht viel nutzen würde, wenn ich irgendwo im Weg rumsitze oder Kartoffelbrei auf ein Bild werfen würde.

Es gibt auch Leute, die raten der „Letzten Generation“, es mit den Protesten bleiben zu lassen, weil sie damit ja ohnehin nichts verändern und man nur die Autofahrer gegen sich aufbringen würden. Was halten Sie denn davon?

Koch: Wenn’s nichts bringt, soll man’s lassen? Ich glaube, dass man doch oft vorher gar nicht weiß, was bestimmte Aktionen auslösen können. Dietrich Bonhoeffer ist beispielsweise erst durch seinen Kampf gegen das Nazi-Regime zu einer Ikone und einem Märtyrer geworden. Erst durch seinen Widerstand haben seine Worte in den Briefen aus dem Gefängnis ihre beeindruckende Wirkung bis in die Gegenwart entfaltet. Ich habe ihn gerade erst vor zwei Wochen bei einer Beerdigung zitiert. Und die Menschen fühlten sich durch diese Worte bewegt und getröstet - fast 80 Jahre nach seiner Hinrichtung. Zusammengefasst: Würden wir auf die angeblich wohlmeinenden Ratschläge der Kritiker der Klimaktivisten hören, hätte ja jedwede Hoffnung und jeder Glaube keinen Sinn.

Sie strahlen in der Öffentlichkeit einen unerschütterlichen Optimismus aus. Wie schaffen Sie das?

Koch: Man könnte natürlich mit Blick auf unsere Welt in Ohnmacht erstarren, verzweifeln oder auch depressiv werden. Ich kann solche Gefühle wirklich nachvollziehen. Aber für mich wäre das keine Option. Ich gebe die Hoffnung einfach nicht auf.

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

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