Mannheim. Er wollte, sagte er im Sommer 2010, „dass dieses Projekt, egal, wo ich jemals dirigieren werde“, sein Lebenswerk werde. Boian Videnoff, Initiator und Dirigent der Mannheimer Philharmoniker, schwärmte damals von einer Talentschmiede, von einem Orchester, das sich in Mannheim zwischen Kurpfälzischem Kammerorchester und Nationaltheater positioniere, das jungen Musikerinnen und Musikern die Möglichkeit gebe, zwischen Diplom und Probespiel professionelle Erfahrung zu sammeln. Ein solches Orchester gibt es weltweit sonst nur in New York.
Die Philharmoniker spielten. Konzert um Konzert. In Mannheim. Und anderswo. Sie reisten. Madrid war sicherlich ein Höhepunkt, und dann ein Konzert gleich im Eröffnungsjahr der Hamburger Elbphilharmonie. Der Oberbürgermeister war da und begeistert. Das Stadtmarketing. Wenn man so will: tout Mannheim. Die Pläne danach waren groß, die Aktivitäten enorm. Große Solisten kamen ohnehin, sahen die Arbeit und spielten gratis: Martha Argerich, Mischa Maisky, Igor Levit, Sonya Yoncheva und viele mehr.
Dann kam zuerst Corona und danach ein lebensbedrohlicher Akt für den jungen Klangkörper: Der Mannheimer Gemeinderat hat das städtische Geld entzogen. Auf die Frage an Kulturbürgermeister Michael Grötsch (CDU), warum, erhielt die Redaktion vom Medienteam der Stadt eine Sachverhaltsdarstellung als Antwort: Der Gemeinderat hätte einmalig für den Doppelhaushalt 2020/21 eine Förderung von jährlich 50 000 Euro beschlossen. Eine Fortschreibung für die Folgejahre sei nicht beschlossen worden. Für den Überbrückungshaushalt 2022 habe „eine solche Beschlussfassung politisch keine Mehrheit im Gemeinderat gefunden“.
Für die Philharmoniker ist damit alles unsicher. „Wir haben alle Kosten auf ein Minimum zurückgefahren“, so Videnoff, es gebe keine Videoübertragungen mehr, ein Probentag wurde gestrichen, die Streicher kleiner besetzt. Mit den staatlichen Corona-Hilfen hofft Videnoff auf ein Überleben, sagt aber auch: „Sobald die jedoch wegfallen, wird es sehr schwer. Durch Ticketverkauf und Sponsoring können wir in normalen Zeiten die Kosten für die Konzerte und Musikerstipendien decken. Jedoch reicht dies nicht aus, um auch die Organisation, Büroinfrastruktur und die Gehälter von den Mitarbeitern im Büro zu decken.“
Die Begründung für den Wegfall der Zuschüsse kommentiert die Grünen-Stadträtin Angela Wendt auf Facebook so: „Die Stadt kann für die Aus- und Weiterbildung von Nachwuchskünstler*innen kein Geld zur Verfügung stellen.“ Dabei muss man klar sehen, dass die Mannheimer Philharmoniker kein Ausbildungs- und auch kein Weiterbildungsorchester sind, denn es spielen darin ausschließlich Musizierende mit abgeschlossenem Hochschulstudium. Wendts Parteikollege Gerhard Fontagnier verweist auf fehlende Lobbyarbeit, die Fleißarbeit sei.
Damit spricht Fontagnier ein Thema an, das auch umgekehrt funktioniert: Die Philharmoniker hatten es von Beginn an immer wieder auch mit Gegen-Lobbyistinnen und -lobbyisten zu tun - ergo: Nach Informationen dieser Zeitung könnte es sogar sein, dass teils Mitglieder des Nationaltheaterorchesters bei potenziellen Sponsoren und auch in der Politik gezielt und unfair gegen die Philharmoniker gearbeitet haben. Man muss das Orchester ja nicht lieben. Aber falls die Hinweise zutreffen, hat das mit Anstand (unter im Grunde Gleichgesinnten) nichts mehr zu tun - zumal Teile des gut bezahlten A-Orchesters am Nationaltheater vom hohen Ross herabsehen.
Teilweise war von verschiedenen Menschen geradezu ein böses Philharmoniker-Bashing auf sozialen Kanälen zu lesen. Eine wahre Schlammschlacht. Natürlich ist dort die Bezahlung der Musikerinnen ein großes Thema. Von Ausbeutung ist indirekt die Rede, davon, man werde sogar unterhalb des Mindestlohns bezahlt, was - gerade im reichen Deutschland - eine Schande sei. Die Qualität des Orchesters wird - gerade von der Konkurrenz - niedergemacht. Teils wurde in einer Art Wutrede die Arbeitsweise des Chefdirigenten Videnoff als allzu streng und ungerecht diskreditiert. Telefonate mit einigen der 200 zufällig ausgewählten Mitgliedern bestätigen das mitnichten. Videnoff sei zwar vor allem in seiner Anfangszeit mitunter etwas temperamentvoll gewesen. Nie aber unfair oder gar böse. Hingegen wird von einem Mitglied gesagt, es spiele trotz der geringen Gage immer gern mit dem Orchester, weil die Kollegen „so toll“ seien, es ein starkes Gruppengefühl gebe und die Stimmung „sehr international“ sei.
Ein bisschen ist die Geschichte des Orchesters aber auch eine des Prekariats im Musikerbereich. Musik-Freelancer ohne feste Stelle im tarifverkrusteten Kunstsystem können ein Lied davon singen. Denen, die im System sind, geht es gut. Denen außerhalb schlecht.
Doch wie weitermachen? Videnoffs Idee war es, wenigstens die Verwaltungsausgaben durch Subventionen von Stadt und Land zu decken. Doch das Land zahlt nur, wenn die Stadt zahlt. Der übliche Mechanismus. Nun ist eine Petition geplant. Zudem machen sich große Mäzene - von Manfred Fuchs bis zur Hector Stiftung - bei der Politik stark. Und weil auch für Videnoff Aufgeben (noch) keine Option ist, stirbt auch seine Hoffnung nicht, vielleicht ab 2023 doch noch eine institutionelle Förderung zu bekommen. Zudem kann Videnoff Projektfördermittel beantragen. Fest steht dennoch: Das Lebenswerk wackelt gewaltig!
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Kein Geld für Philharmoniker: An Kultur zu sparen, ist unvernünftig