Gespräch

Viel Tal, nicht nur Bergspitze: Mannheims Kulturamtschefin zieht nach 30 Jahren Bilanz

Drei Jahrzehnte lang hat Sabine Schirra Mannheims Kulturpolitik mitbestimmt und verwaltet. Ihr Fazit fällt positiv aus. Trotzdem zieht sie einen unsentimentalen Schnitt: "Die Baustelle ist geschlossen."

Von 
Jörg-Peter Klotz
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Sabine Schirra wurde nach drei Jahrzehnten als Chefin des Mannheimer Kulturamts im Eintanzhaus verabschiedet. © Elvira Voyshnis

Aus Iserlohn nach Mannheim

 

  • Zur Person: Sabine Schirra wurde im August 1955 in Wanne-Eickel geboren.
  • Zur Ausbildung: Sie studierte in Bochum und Aachen Kunstgeschichte sowie Romanistik. Nach dem zweiten Staatsexamen wurden Lehrer mit ihrer Fächerkombination nicht eingestellt. Daraufhin wurde sie in Iserlohn zunächst Fachbereichsleiterin an der Volkshochschule, 1987 stieg sie zur Kulturamtsleiterin auf.
  • Zum Beruf: 1992 bewarb sie sich erfolgreich auf eine Stellenanzeige der Stadt Mannheim als Kulturamtsleiterin. Sie folgte nach längerer Vakanz auf Gisela Krauß. Seitdem hat sie drei Kulturbürgermeister erlebt: Lothar Mark (1989-1998, SPD), Peter Kurz (SPD, 1999-2007) und Michael Grötsch (CDU, seit 2008). Am 31. August 2022 endete ihre Dienstzeit. 

Mannheim. Der Blick zurück fällt positiv aus. Naturgemäß. Sonst hätte Sabine Schirra ja auch viel falsch gemacht in stolzen 30 Jahren als Leiterin des Mannheimer Kulturamts bis zum 31. August. Dass sie sich in einem früheren Interview als Ermöglicherin im Hintergrund charakterisierte und es sie nicht offensiv in die Öffentlichkeit drängte, mag ihre Außenwirkung ein Stück weit prägen.

Hinter den Kulissen erkennen die Leute, die mit ihr und ihrem Amt zu tun haben, aber ihre Effektivität im Verwaltungsdschungel an. Die Kompetenz der von ihr zusammengestellten Teammitglieder wird hoch gelobt. Noch mehr gepriesen, wird die Tatsache, dass die Kunsthistorikerin auf ihre spezialisierten Fachleute hört und sie machen lässt.

Dem Kulturbericht 2021 hat sie einen sechsseitigen, fast wissenschaftlich gehaltenen „Rückblick von Sabine Schirra“ vorangestellt. Der liest sich im Detail sehr eindrucksvoll, sie hat jedenfalls viel (mit)ermöglicht - wesentlich mehr, als es aus der Ferne erscheint.

Schwieriger Start 1992

Auch die persönliche Bilanz bietet wenig Anlass zur Klage: „Mein Berufsleben war definitiv erfüllt. Das sah am Anfang nicht danach aus. Denn als ich nach Mannheim kam, war das Kulturamt ziemlich abgewirtschaftet“, sagt sie im Gespräch in einem Café im inzwischen kulturell geprägten Jungbusch.

Bei ihrem Start in Mannheim 1992 sei kaum Fachpersonal vorhanden gewesen. Von den acht Mitarbeitern hatte nur einer ein geisteswissenschaftliches Studium absolviert. „Da war viel Luft nach oben.“ Heute arbeiten 14 überwiegend speziell für einen Kulturbereich qualifizierte Leute in E4,6. 1992 hagelte es auch Kürzungen im Haushalt: „Das heißt, die finanziellen Möglichkeiten, mit denen ich gerechnet hatte, waren nicht da.“ Bei den Zuschüssen standen ihr weniger als 100 000 Mark zur Verfügung, „die Internationalen Kulturtage waren auf null, die Stipendien oder die Ankäufe für Kunst auch. Auch für Sachmittel gab es nicht viel.“

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Sehr, sehr viel Verwaltung

Das ist inzwischen anders: „Für Projekte konnten wir 2022 rund 380 000 Euro ausgeben, die Zuschüsse für diesen Bereich haben sich mehr als versiebenfacht. Sachmittel mehr als eine Million Euro, aus den Sachmitteln wird allerdings auch der Port25 finanziert, damit ist gut die Hälfte weg.“ Man sieht:

Unkompliziert oder gar vergnügungssteuerpflichtig ist der Posten trotzdem nicht: „Wissen Sie, das Kulturamt bietet viele Gestaltungsmöglichkeiten. Das ist uns in den vergangenen Jahren auch ganz gut gelungen, denke ich“, sagt Sabine Schirra. Und legt das Aber sofort nach: „Es geht auch sehr, sehr viel um Verwaltung: Aktennotizen, Verfahrensregelungen, Dinge, die Politik oder Verwaltung wollen und die man erfüllen muss.“ Es sei nicht nur: „Ich mach’ jetzt hier mal ein Festival und gehe dort auf diese oder jene Veranstaltung. Es ist viel Tal, Tal, Tal und nicht nur Bergspitze mit schöner Aussicht.“

Generell ist der Spielraum als Kulturamtschefin relativ eingezäunt: Finanziell natürlich, aber auch kommunalpolitisch. In der Quadratestadt gibt es nicht nur einen Dezernenten, der sich für Kultur interessieren sollten, sondern bislang auch einen Oberbürgermeister mit dezidierten Vorstellungen und Kreativszenen mit teilweise sehr hoher Anspruchshaltung. Trotzdem sei ein sehr großer inhaltlicher Spielraum da gewesen, betont Schirra.

Als Beispiele nennt sie die Bedeutung, die das Thema Fotografie bekommen habe. Oder die Idee, die Darstellenden Künste zu stärken, auch wenn das Zentrum der Darstellenden Künste trotz weitgehender Planung doch nicht realisiert werden konnte. „Das war eines der schlimmsten Dinge, die in den 30 Jahren passiert sind“, erinnert sich die 67-Jährige. „Aber dafür haben wir das Eintanzhaus, wir haben das mit der städtischen Galerie geschafft.“

Es gebe darüber hinaus aktuelle und sinnvolle Richtlinien zur Förderung der Künste mit einem differenzierten und elaborierten System - und damit Transparenz bei der Vergabe von Fördermitteln. „Das kam alles aus dem Kulturamt. Häufig von mir, aber nicht nur“, betont Schirra den Teamgedanken.

Es habe speziell im Zuge der Bewerbungspläne als Kulturhauptstadt viel Unterstützung aus der Politik gegeben, etwa eine automatische Erhöhung des Etats um 100 000 Euro pro Jahr. „Das hat eine Menge gebracht, weil wir es frei verwenden konnten.“

Sabine Schirras Verabschiedung fand am 26. Oktober durch Oberbürgerbürgermeister Peter Kurz im Eintanzhaus im Kreis von Mitarbeitern, Kreativen, Vertretern der Institutionen und der kulturpolitischen Sprecher des Gemeinderats statt. Dabei habe ihr der OB gesagt, dass es auf ihre Stelle 235 Bewerbungen gegeben habe. „Da war ich richtig stolz.“ Das belege: Die Stelle sei attraktiv, Mannheim habe viel zu bieten.

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„Die fetten Jahre sind vorbei“

„Allerdings muss man auch sagen: Die fetten Jahre sind vorbei.“ Das Thema Energiepreise werde für viele Häuser schwierig. Auch dem Publikum fehle dadurch teilweise das Geld für Eintrittskarten. Generell sei zu befürchte, „dass die Kultur nicht mehr so eine laute Stimme habe.“ Auch wenn man in Mannheim keineswegs davon sprechen könne, dass immer zuerst an der Kultur gespart werden würde: „Das gab es seit Jahren nicht. Wir von der Kulturverwaltung konnten zwar nicht alle Notwendigkeiten und Wünsche in den Haushalt einbringen, aber von der Politik wurde draufgelegt.“

Wie sie es findet, dass ihre Position nicht direkt wieder besetzt werden konnte, sieht man ihr an: „Sagen wir es so: Das was ich dazu tun konnte und musste, ist gemacht worden - rechtzeitig und comme il faut.“ Sie sei davon ausgegangen, dass ihre Stelle ab 1. September kompetent besetzt sei. Dass es erstmal anders kam, habe sie aus der Zeitung erfahren. Immerhin ist es der Stadt danach relativ schnell gelungen, die Kulturamtsspitze zu besetzen. Ihrer designierten Nachfolgerin Ewa Wojciechowska wünscht sie: „viel Erfolg bei dieser schönen und herausfordernden Aufgabe - und eine glückliche Hand“.

Dass sie das Ende ihrer Ära aufgrund einer Hüft-OP mit anschließender Reha nicht aktiv gestalten konnte, findet sie „ganz furchtbar“. Aber das Arbeiten sei vor der Pandemie und dem Homeoffice-Boom ein anderes gewesen: „Da gab es mehr Austausch, es konnten Ideen im Ping-Pong-Stil entwickelt werden. Das ist einer der Gründe, warum ich es nicht bedauere, jetzt aufhören.“

Baustelle geschlossen

Ansonsten zeigt sich die Westfälin beim Abschied vom Kulturamt nach drei Jahrzehnten als Freundin klarer Schnitte: „Die Baustelle ist seit 31. August geschlossen.“ Körperlich wieder fit werden, Lesen, Reisen sind ab sofort Schwerpunkte im Leben Sabine Schirras. Eine kulturelle Tätigkeit schließt Sabine Schirra nicht ganz aus: „Ich habe eine Menge Ideen, aber ich muss schauen, was ich realisieren kann. Ich werde auf jeden Fall meine Sprachen Französisch und Spanisch auffrischen und eine neue lernen, wahrscheinlich Italienisch. Nicht nur, weil es das Gehirn trainiert, sondern aus Spaß“, blickt die studierte Romanistin mit Vorfreude vor nach vorn.

Ressortleitung Stv. Kulturchef

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