Wenn Sie über Kunst spricht, über Jazz, Lyrik oder klassische Musik, dann beginnen die Augen von Ewa Wojciechowska zu leuchten. Früh kam sie mit all dem in Berührung, als sie, 1978 dort in der Nähe geboren und aufgewachsen, bereits als Kind nach Posen ging. Ins Museum. Ins Theater. In die Oper. „Mein Opa war ja auch Tenor an der Nationaloper in Warschau“, sagt sie stolz und: „Kultur spielte bei uns zuhause eine große Rolle. Ich wollte schon als Jugendliche Rilke im Original lesen.“ Das kann sie nun längst. Das Deutsch der Polin ist so gut wie makellos und mit dem Großen Deutschen Sprachdiplom geadelt, dem sogenannten Goethe-Zertifikat C2.
Da sitzt sie also, Mannheims künftige Kulturamtsleiterin. Sie trinkt an einem Cappuccino und Glas Wasser. Ob Sie es eigentlich als diskriminierend empfinde, wenn man danach frage, wie ihr Name perfekt ausgesprochen werde. „Überhaupt nicht“, sagt sie und präzisiert, dass das „ch“ in Wojciechowska nicht als „k“ gesprochen werde, also nicht „Wojciekowska“, sondern guttural als „ch“. Im Grunde wird ihr Name also gesprochen wie geschrieben. „Es ist, als würde man singen“, sagt sie und trinkt wieder einen Schluck.
Kultur, Kultur und noch mal Kultur
Wojciechowska sprudelt, wenn man sie nach etwas fragt. Man spürt eine große Neugierde, einen Hunger und Durst nach etwas. Sie nennt es „Fernweh“ und erklärt damit, dass sie auch viel reist, um die Kulturtempel der Welt zu besuchen. Kein Wunder: Neben Kunst und Kultur kommt in ihrem Leben, so sagt sie, erst mal Kunst und Kultur und dann Kunst und Kultur. Und dann lange nichts mehr.
Geheime Leidenschaften wird man bei ihr wohl kaum nicht finden. Ein bisschen Wandern im Hochgebirge vielleicht. Stand-up-Paddeln. Wenn sie bald, sie hofft vielleicht schon im Januar, ihre Stelle als Leiterin des Mannheimer Kulturamts antritt, wird da eine durch und durch von Kultur besessene Frau beginnen, die zwar bei unserem Treffen noch nicht über konkrete Pläne sprechen „kann“, aber doch sagt, worum es ihr dabei gehen wird: kulturelle Teilhabe, Vielfalt, Interkulturalität, um das Schaffen kultureller Orte in den Stadtteilen, also auch um eine Art Dezentralisierung der Kulturszene - und um die sogenannten Third Places, die Dritten Orte, die den Menschen einen Ausgleich schaffen sollen zwischen Zuhause (Erster Ort) und Arbeitsplatz (Zweiter Ort).
Dicke Bretter bohren braucht Zeit
Die Soziologie beschreibt solche Orte auch ganz gern als „great good places“, großartige Orte, die für alle Menschen zugänglich sind und an denen Austausch stattfindet. Ein Café kann das genauso leisten wie ein Pub, Bouleplatz oder der Alter am Alten Messplatz. Von der Grundidee sollten solche Ort allerdings überwiegend kostenlos betretbar sein, was gerade auch die kulturelle Teilhabe in einer extrem zersplitterten und verarmenden Gesellschaft garantieren kann.
Schon an den Themen, die sie sich vorgenommen hat, merkt man, dass da dicke Bretter dabei sind, die nicht schnell durchbohrt sein werden. Nach gut vier Jahren an Johan Holtens Kunsthalle, wo Wojciechowska aktuell noch für Kommunikation, Marketing und Nutzerinnenbindung zuständig ist, müsse sie für ihre Ziele schon „mehr als drei Jahre“ kämpfen. Sie sagt das auf die (nicht ganz ernst gemeinte) Frage, ob sie, wie ihre Vorgängerin, auch mit 30 Dienstjahren plane, was ohnehin nicht gehen würde. Wojciechowska wäre dann 74.
Ewa Wojciechowska
- Ausbildung: Ewa Wojciechowska, geboren 1978 in Posen/Polen, studierte Kunstgeschichte an den Universitäten Warschau und Florenz (1997-2003). Daran schloss sie ein Kulturmanagementstudium (Advanced Studies in Arts Administration, 2006-2009) an der Universität Zürich an.
- Tätigkeiten: Während dieses Zeitraums war sie in verschiedenen Museen, unter anderen in der Nationalen Galerie der zeitgenössischen Kunst Zacheta in Warschau und bei der Peggy Guggenheim Collection in Venedig, tätig. Von 2008 bis 2018 war Wojciechowska im Zeppelin Museum Friedrichshafen verantwortlich für Marketing, Öffentlichkeitsarbeit und Publikumsprogramm. Aktuell ist sie in gleicher Funktion an der Kunsthalle Mannheim tätig.
- Kulturamt: An der Spitze des Kulturamts Mannheim löst sie Stefanie Rihm ab. Sie hat die Leitung nach dem Ausscheiden Sabine Schirras am 31. August kommissarisch inne.
Natürlich freut sie sich riesig auf ihren neuen Arbeitsplatz in F 4, obwohl das Gebäude dort allein für die architekturbegeisterte Kulturmanagerin ein deutlicher Schritt zurück ist. Aber, so sagt sie, karrieremäßig einer nach vorn, sieht sie doch in der Leitung des Kulturamts mit seinen rund 15 Mitarbeitenden viel mehr Verantwortung auf sich zukommen und ganz andere Entwicklungsmöglichkeiten für sich selbst: „Da geht es nicht nur um Kunst, sondern die ganze Kultur. Ich will breiter denken.“
Erst mal steht aber die Reise in die Heimat an. Zu den Eltern. Polen. Weihnachten mit Karpfen-Essen. Als Kind hat sie Polen als offenes, freies Land erlebt. Die Wende, sagt sie, sei für sie gar nicht so spürbar gewesen. Sie war elf. Das Polen von Heute aber: „Schrecklich! Das ist nicht das Land, in dem ich aufgewachsen bin. Hoffentlich ist in einem Jahr alles vorbei.“ Im Herbst 2023 werden Unter- und Oberhaus der polnischen Nationalversammlung neu gewählt.
Bis dahin hat Ewa Wojciechowska sicherlich die Möglichkeit, für ihre Projekte die Weichen zu stellen. Und Cappuccino mit Wasser zu trinken.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/kultur_artikel,-kultur-so-tickt-die-neue-mannheimer-kulturamtsleiterin-ewa-wojciechowska-_arid,2031986.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html