Mannheim. Herr Kokemüller, Sie sind am zweiten Weihnachtsfeiertag 60 geworden und geben am Jahresende die Geschäftsführung der Mehr-BB Entertainment in Düsseldorf und der BB Promotion in Mannheim ab. Wie geht es am 2. Januar bei Ihnen weiter?
Ralf Kokemüller: Ich bleibe als Berater dabei und falle in kein Loch. Ich arbeite ja gern und liebe die Branche!
Kann das im Tagesgeschäft nicht schwierig werden? Zum einen, wenn ein zweiter Chef noch mitredet. Zum anderen, weil es sich leichter arbeitet, wenn man das letzte Wort hat und nichts passiert, was man unsinnig findet.
Kokemüller: Ich sehe das anders. Für mich war es als Manager immer ein Anspruch, den Übergang zur nächsten Generation zu moderieren. Ich habe in der ganzen Zeit nicht einen einzigen Tag lang gedacht, dass ich der Einzige bin, der für diesen Job geeignet ist. Ich halte auch nichts davon, zu klammern, oder Wissen für sich zu behalten. Das ist nicht die Aufgabe eines Geschäftsführers.
Außerdem bin ich jetzt 60 und die zurückliegenden Jahre seit 2011 mit dem Tod unseres Gründers Michael Brenner, 2015 mit der Aufnahme unseres neuen Gesellschafters ATG sowie mit dem Merger mit Mehr! Entertainment in 2018 waren sehr herausfordernd. Und die schwierigen Pandemiejahre haben nun etwas in mir ausgelöst. Ich möchte einfach über meine Zeit freier verfügen können. Und in einem größer werdenden Betrieb nimmt der Druck in diesen Zeiten auch weiter zu.
Wofür nehmen Sie sich dann Zeit?
Kokemüller: Ich werde viel reisen...
Das tun Sie doch jetzt schon, von Show-Hochburg zu Show-Hochburg, vom New Yorker Broadway zum West End in London ...
Kokemüller (lacht): Schon, aber künftig mit wesentlich längeren Aufenthaltszeiten und an andere Orte. Ich werde mehr Zeit mit meiner Partnerin verbringen, viel lesen und mir Sachen am Theater anschauen, die ich mir sonst nicht angeschaut habe. Oder Konzerte, zu denen ich sonst nicht gekommen bin. Des Weiteren möchte ich mich ehrenamtlich engagieren, dabei denke ich daran Ärzte ohne Grenzen zu unterstützen.
Die Pandemie-Einschränkungen für die Kultur sind vorbei. Wo steht Ihr international agierendes Unternehmen im Vergleich zum vorpandemischen Jahr 2019?
Kokemüller: Wir sind dank der staatlichen Hilfen okay durch die Krise gekommen. Vor einem Jahr mussten wir fast das gesamte Geschäft absagen. Der Sommer 2022 lief dann gut. Jetzt, also im Herbst und beim Weihnachtsgeschäft, sind wir zurück bei 80 Prozent der Normalität. Ich bin jeden Tag froh und dankbar, dass es so ist, wie es ist.
In einem früheren Interview nannten Sie die Verlängerung der Kurzarbeit durch die Bundesregierung die entscheidende Krisenhilfe für Ihre Firma. Wie lange mussten Sie das Instrument in Anspruch nehmen?
Kokemüller: Bis September 2021.
Bleibt der Konzern auch stabil, wenn alle Hilfen auslaufen und zum Beispiel das Insolvenzrecht wieder wie gewohnt greift?
Kokemüller: Ja. Die Hilfen laufen am 1. Januar aus. Was ich auch vollkommen nachvollziehbar finde aus Sicht des Steuerzahlers. Ich persönlich bin dem deutschen Staat sehr dankbar für die Unterstützung. Die Corona-Politik mag nicht immer gut gemacht gewesen sein, aber sie war gut gemeint. Was aber schwierig ist, wenn es wieder zu Showausfällen wegen Krankheit kommt: Du bekommst dafür keine Versicherung mehr. Und es gibt ja nicht nur Corona, sondern zurzeit im selben Maße Influenza. Das Ergebnis ist dasselbe: Die Leute können nicht auftreten.
Ralf Kokemüller un BB Promotion
- Ralf Kokemüller wurde am 26. Dezember 1962 in Hannover geboren. Nach dem BWL-Studium in München leitete er unter anderem Hotels in der Karibik.
- 1995 wechselte er zu BB Promotion nach Mannheim und arbeitete eng mit Michael Brenner (1952-2011) zusammen. Nach Brenners Unfalltod 2011 wurde er Hauptgeschäftsführer der BB Group.
- Die Mehr-BB Entertainment ist aus dem Zusammenschluss der BB Group mit der Mehr! Entertainment im Sommer 2018 entstanden, unter der Geschäftsführung von Maik Klokow und Kokemüller. Der Jahresumsatz betrug unter Normalbedingungen rund 170 Millionen Euro. Die Gruppe beschäftigt aktuell circa 1000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
- Die Mehr-BB ist ein Unternehmen der britischen Ambassador Theatre Group (ATG), die mit ihren Spielstätten, Produktionen und Ticketing-Portalen weltweit in der Live-Entertainment Branche agiert. 2015 hatte die ATG die Mehrheit an der BB-Gruppe übernommen.
- Mitte Oktober gab der Entertainment-Konzern bekannt, dass Kokemüller Ende 2022 und Klokow am 31. März 2023 die Geschäftsführung verlassen. Die Nachfolge sei bereits geregelt, aber noch nicht spruchreif.
- In Mannheim übernimmt Kokemüllers Position Kristina Lindenlaub, bisher Head of Project & Booking der BB Promotion. Sie wird zum 1. Januar 2023 Teil der Geschäftsführung. Damit trägt sie im Büro in der Röntgenstraße die Hauptverantwortung für das Touringgeschäft der Gruppe Mehr-BB Entertainment. jpk
Rechnen Sie 2023 mit einer Pleitewelle in der Branche?
Kokemüller: Das kann nur die betreffen, die ausschließlich von den Umsätzen aus verkauften Tickets gelebt haben. Also im Prinzip auf Pump. Aber die Verkäufe sind jetzt wieder so, dass es im Großen und Ganzen funktionieren sollte.
Wobei das Publikumsverhalten noch immer schwer berechenbar ist. Highlights wie Bruce Springsteen auf dem Hockenheimring laufen glänzend, egal, was sie kosten. Dafür werden selbst mittelgroße Tourneen abgesagt, weil die Nachfrage nicht ausreicht. Vieles wird gar nicht erst geplant.
Kokemüller: Stimmt. Wir arbeiten ja auch mit vielen öffentlichen Häusern zusammen. Da ist zu hören: Klassik tut sich schwer, die Oper tut sich extrem schwer. Weil das ältere Publikum teilweise noch nicht wiederkommt. Bei unseren Shows mit älterer Besucherstruktur sehen wir auch noch ein hohes Level an Maskentragenden. Und es gibt nach wie vor eine No-Show-Quote von 15 Prozent – das sind die Leute, die trotz gekaufter Karte nicht kommen. Von der anderen Seite knabbert an unserer Branche die Einschränkung des verfügbaren Einkommens durch die Inflation.
Seltsam eigentlich, dass die teuersten Shows weiterhin am besten funktionieren.
Kokemüller: Echten Die-Hard-Fans ist der Preis oft egal. Wir merken es aber auch bei unserem neuen Musical „Moulin Rouge“ in Köln, weil es großen Event-Charakter hat. Das verkauft sich sensationell, wie vor Covid. Das gilt generell auch für Familienunterhaltung: „Die Schöne und das Biest“ oder „Cats“ – damit werden wir in der Alten Oper Frankfurt über Weihnachten und Silvester 45 000 Leute haben.
Täuscht der Eindruck, dass BB Promotion am Heimatstandort Mannheim deutlich weniger veranstaltet als früher. Große Konzerte wickelt Marek Lieberbergs Live Nation verstärkt selbst ab. Aber auch Ihre Shows und Musicals laufen eher in Frankfurt als hier. Vom einstigen Winterfestival im Rosengarten sind nur ein paar Termine geblieben. Normalisiert sich das wieder?
Kokemüller: Im Moment hat sich Live Nation dafür entschieden, selbst als örtlicher Veranstalter aufzutreten. Generell sind wir vorsichtiger als sonst und haben unser Portfolio reduziert. Das geht aber allen Kollegen so. Auch, weil die Hilfen im Januar auslaufen. Und der Vorverkauf hat normalerweise ein Jahr Vorlauf und im Frühjahr 2022 war die Entwicklung noch nicht abzusehen. 2023 wird also erstmal weniger Showangebot auf der Straße sein.
Das nächste große Krisenthema steht für einen Entertainment-Konzern, der allein von Mannheim aus bis zu 1000 Shows pro Jahr auf fast allen Kontinenten produziert, schon vor der Tür: Klimaneutralität, Flugscham, CO2-Abdruck ... haben Sie dazu schon ein Konzept?
Kokemüller: Um möglichst große Klimaneutralität bemühen wir uns natürlich, wie die gesamte Branche. Aber der Beitrag, den die vergleichsweise kleine Veranstaltungswirtschaft leisten kann, ist relativ überschaubar. Aber wie jedes Festival versuchen wir, Müll zu vermeiden und auf alternative Energien zu setzen. Das wirkt sich auch noch nicht auf unser Geschäft aus. Da haben der Krieg in der Ukraine und die langanhaltende Null-Covid-Politik Chinas deutliche direktere Konsequenzen für unsere Tourneen. Zum Beispiel mit der „West Side Story“ waren wir sonst immer auch in Shanghai oder Peking. Das war jetzt schlechterdings nicht möglich.
Aber generell gehen Sie als Chef schon beruhigt in den Ruhestand, wie es scheint.
Kokemüller: Bitte schreiben Sie nicht Ruhestand (lacht).
Wie würden Sie es bezeichnen?
Kokemüller: Diese Aufteilung in Arbeitswelt und Rentenwelt ist heute doch komplett überholt. Erstmal, weil wir viel älter werden als unsere Eltern. Und zweitens: Die zufriedenen Menschen, die ich kenne, arbeiten alle so es ihnen möglich ist. Aber ab einem bestimmten Punkt macht es die Dosierung. Ich arbeite lieber zwei Tage oder 20 Stunden die Woche, als diesen klaren Cut zu machen. Ich will schon weiter Dinge vorantreiben. Die Erfahrung ist ja vorhanden.
Sind Sie mit der – teilweise noch geheimen – Nachfolgeregelung zufrieden?
Kokemüller: Ja, sehr. Im lokalen Geschäft und der Vermarktung verbleiben ja Matthias Mantel respektive Andree Kauschke als etablierte Geschäftsführer. Beim Tournee-Geschäft folgt mir Kristina Lindenlaub. Wir arbeiten seit 15 Jahren zusammen. Sie ist top: Eine ausgezeichnete Netzwerkerin, versteht die Branche, kann gut mit Menschen, kommt mit dem Team super klar. Wirklich toll. Da gibt es auch von der Philosophie her keinen Bruch. Für den Gesamtkonzern kommt jemand von außen, der noch nicht so den Stallgeruch hat. Aber auch nicht sehr weit davon weg ist. Mehr kann ich am heutigen Tag zu der Personalie nicht sagen.
Sie blicken also optimistisch in die Zukunft Ihrer Firma.
Kokemüller: Grundsätzlich ist es ein sehr guter Zeitpunkt, diese Übergabe jetzt zu machen. Weil wir inhaltlich gut aufgestellt sind – aktuell unter anderem mit „Moulin Rouge! Das Musical in Köln", „Harry Potter und das verwunschene Kind“ in Hamburg, „Dirty Dancing“ und der „West Side Story“. Und wir haben das talentierte und leidenschaftliche Team, das zusammengeblieben ist.
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