Interview

Trotz 3000 ausgefallener Shows bleibt BB-Chef Ralf Kokemüller Optimist

Von 
Jörg-Peter Klotz
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Mannheim. Herr Kokemüller, nach einem Jahr Kultur-Lockdown haben Sie sich in einer Umfrage unserer Redaktion wie viele andere Kulturschaffende optimistisch gezeigt, dass BB die Corona-Krise übersteht. Was macht Ihnen Hoffnung?

Ralf Kokemüller: Ich hoffe, es ist nicht naiv - aber ich erwarte, dass wir im Spätherbst unsere Tourneen so durchführen können, wie wir sie jetzt aufgesetzt haben. Und ich setze dabei auf die Lust des Publikums an Veranstaltungen und Entertainment. Wir wollen mit der „Rocky Horror Show“ an Halloween in Köln starten und ich bin optimistisch, dass bis dahin normalisierte Verhältnisse einkehren. Ich habe mir gerade den NDR-Podcast des Virologen Christian Drosten angehört. Der sieht das trotz allem, was gerade schief läuft, ähnlich. Und er neigt ja nicht zu überschäumenden Optimismus, sondern ist sehr realitätsbezogen.


Überrascht es Sie, dass die meisten gut durch die Krise kommen?

Die Veranstalterbranche hatte ja nicht immer den Ruf, mit ganz spitzer Feder rechnen zu können.
Kokemüller (lacht): Das erklärt sich als allererstes durch die Kurzarbeit. Das Instrument hilft größeren Betrieben, die viele Mitarbeiter haben, ungemein. Die Personalkosten sind bei uns im Tourneegeschäft der größte Fixkostenblock. Wenn wir in die Mehr-BB-Gruppe hineinschauen, haben wir natürlich noch die laufenden Kosten von unseren festen Theatern. Speziell in Mannheim haben wir mit Jürgen Herrmann einen sehr verständnisvollen Vermieter, der uns sehr geholfen hat. Er hat nicht nur Miete gestundet, sondern über mehrere Monate auf Teile verzichtet. Das ist sehr großzügig und honorig. Gleiches gilt auch für die Vermieter unserer Lager – Firma Gaul und Firma Gieseler. Dazu kommen unsere Konzernstruktur, in der wir uns gegenseitig stützen, die Staatshilfen, Programme wie Neustart Kultur. Auch wenn wir da an manchen Stellen noch auf reale Geldeingänge auf dem Konto warten.

 

Lassen Sie mich raten: Die November/Dezember-Hilfen stehen aus.

Kokemüller: In der Tat. Da sind wir noch in der Evaluierung. Was wir bekommen haben, sind Zuschüsse für Belüftungsanlagen in den Theatern. Sonst warten wir noch. Und man darf bei allen Unternehmen, die jetzt durchhalten, eines nicht vergessen: Viele von den Verbindlichkeiten sind nur gestundet und stehen noch da. Daher fürchte ich, dass der Neustart noch mal eine schwierige Hürde für viele Unternehmen wird. Deswegen fangen wir auch lieber später an: im Herbst, und nicht im Sommer. Denn es sollte störungsfrei wieder anlaufen. Nicht, dass wir erneut Geld in den Sand setzen.


Die Ankündigungen aus dem Wirtschafts- und Finanzministerium waren ja vor dem Lockdown light im November sehr vollmundig. Glauben Sie der Politik noch?

Kokemüller: Ich glaube, dass zumindest der gute Wille da ist. Aber in der praktischen Ausführung leiden wir womöglich darunter, dass wir in einem Jahr voller Wahlen sind und nicht mehr alle in der Regierung an einem Strang ziehen. Ich fürchte, das wird uns auch ein Stück weit zum Verhängnis.


Fühlen Sie sich gerecht behandelt? Es deutet ja Einiges darauf hin, dass man im November vielleicht besser erstmal die Schulen geschlossen hätte statt Theater und Museen.

Kokemüller: Grundsätzlich ja. Man kann das auch nicht ganz gerecht regeln. Bestes Beispiel: Als täglicher Besucher des Luisenparks kann ich nicht nachvollziehen, dass er seit November geschlossen ist. Welches Infektionsgeschehen soll im Winter im Luisenpark vor sich gehen? Aber in der Theorie können durch einen geöffneten Park natürlich zusätzliche Kontakte entstehen, dann kann ich dem schon folgen. Dasselbe gilt für Restaurants. Von daher stehe ich inhaltlich auch voll dahinter, dass in der aktuellen Pandemie-Lage keine Konzerte, Theater- oder Großveranstaltungen stattfinden.


Shows mit reduzierter Besucherzahl sind für Mehr-BB Entertainment keine Option?

Kokemüller: Nicht für Betriebe, die ohne Subventionen auskommen. Das gaukelt auch nur eine Scheinnormalität vor. Und ist wirtschaftlich nicht darstellbar. Für uns und große kommerzielle Produktionen kann es nur losgehen, wenn Social Distancing nicht mehr nötig ist. Hygienekonzepte wird es weitergeben, klar. Aber wir müssen zusehen, dass wir die Säle zu 80, 90 Prozent füllen.


Wie viele Shows mussten Sie in einem Jahr Lockdown abschreiben?

Kokemüller: Im internationalen Tourneebereich haben wir pro Jahr normalerweise 1200 bis 1500 Veranstaltungen. Die sind komplett ausgefallen. Bei „Starlight Express“ in Bochum oder „Harry Potter“ in Hamburg wären es jeweils rund 400 Shows gewesen, in den anderen Theatern in Köln, Düsseldorf und im Berliner Admiralspalast noch mal mehr als 500. Wir reden also von rund 3000 abgesagten oder verlegten Shows.


Wird Ihnen schwindelig, wenn Sie den Umsatzausfall ausrechnen?

Kokemüller: Nein. Ich denke momentan auch nicht an verlorenen Umsatz. Sondern daran, möglichst wenig Geld zu verbrennen und Kosten zu sparen. Sich mit entgangenem Umsatz zu peinigen – das erspare ich mir.


Kann man den Verlust beziffern?

Kokemüller: Nur im Tourneegeschäft liegt der Verlust bei etwa fünf Millionen Euro, größtenteils verursacht durch untergegangene Vorproduktionskosten.

 

Dass Geimpfte früher zu Großveranstaltungen zugelassen werden, ist umstritten. Ihr für regionale Shows zuständiger Kollege Matthias Mantel hält es für noch lange nicht praktikabel. Aber irgendwann wird es nicht anders gehen, oder?

Kokemüller: Das Schöne bei uns in der Geschäftsführung ist, dass wir Meinungsvielfalt haben und pflegen. Wir werden es in Israel, den USA oder Großbritannien sehen, weil sie uns im Impfprozess voraus sind. Ich kann es mir nicht anders vorstellen, als dass man irgendwann vor dem Zutritt zu Großveranstaltungen Impfung, negativen Test oder eine überstandene Infektion nachweisen muss. Das wird auch zum Beispiel beim Reisen auf absehbare Zeit so sein.


Das Hin und her um AstraZeneca dämpft Ihren Optimismus nicht?

Kokemüller: Nein. Dieser Impfstoff wurde in der Kommunikation der Regierung vollkommen “banane“ eingeführt. Vieles wurde nicht richtig erklärt, wie jetzt auch der Impfstopp für AstraZeneca. Ich kann generell nicht verstehen, dass keine große Kampagne für die größte Impfkampagne aller Zeiten gefahren wird. Vor der „Tagesschau“ läuft Reklame für Durchfallmittel und dergleichen. Dass da nicht für die Impfung geworben und Einiges erklärt wird... das könnte doch eine riesige Chance sein, Aufbruchstimmung und Gemeinsinn zu erzeugen. Im Sinne von "Wir schaffen das gemeinsam". Es ist die große Prüfung, die unserer Generation und unsere Gesellschaft bestehen muss. In Großbritannien gibt es bereits umfangreiche Maßnahmen um die Bevölkerung bei der Impfkampagne mitzunehmen. Bei uns wird alles schlecht geredet.


Viele Vertreter der Eventbranche behaupten: Wenn sie die Vergabe vom Impfterminen oder Schnelltests organisiert hätten, läge das alles schon längst in jedem Briefkasten. Sehen Sie das auch so?

Kokemüller: Das Planen eines Impftermines ist am Ende der Buchung eines Tickets für eine bestuhlte Veranstaltung sehr ähnlich. Die Ticketing Firma CTS Eventim hat zum Beispiel für einige Städte in Nordrhein-Westfalen bereits die Organisation übernommen – es klappt reibungslos.


Viele große Festivals wurden jetzt zum zweiten Mal abgesagt. Ihrer Branche brechen gigantische Einnahmen weg. Verbinden sich irgendwann mit der Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Lockdowns auch Regressforderungen?

Kokemüller: Damit beschäftigen wir uns aktuell nicht. Und grundsätzlich macht es auch keine Freude, irgendwelche Anträge ausfüllen zu müssen, damit uns geholfen wird. Das sind wir nicht gewohnt. Ich bin immer froh, dass wir nicht subventioniert sind und selbst unser Geld verdienen.


Wenn es wieder losgeht, treffen die verschobenen Termine auf neue Tourneen.
Überfordert das den Markt nicht?

Kokemüller: 2021/22 dürfte in jeder Stadthalle so ziemlich jeder Tag gebucht sein, weil so viele Veranstaltungen stattfinden wie noch nie. Das wird noch mal eine schwierige Zeit werden, bevor es sich wieder zurecht ruckelt. In zwölf Monaten sind wir hoffentlich ein großes Stück weiter.


Sind Sie mit Ihrer englischen Konzernmutter eigentlich schon vom Brexit betroffen?

Kokemüller: Das Thema ist durch die Pandemie etwas ins Hintertreffen geraten. Letzte Woche war die „International Live Music Conference“ (ILMC), die normalerweise in London stattfindet. Diesmal virtuell. In den Panels ging es auch um die Folgen des Brexits. Steuerlich, aber auch personell. Wir haben ja viele Inhalte und Kreative, die aus dem Königreich kommen. Was heißt das für Arbeitsverträge? Wie lange dürfen sie in der EU arbeiten und sich aufhalten? Durch wie viele EU-Länder darf eine „Evita“-Produktion aus England reisen? Das gibt einen riesigen Rattenschwanz an Bürokratie und einen enormen Kostenzuwachs. Bei Licht betrachtet, ist da aber noch nichts erkennbar vorbereitet. Ich bin mal gespannt, was passiert, wenn es wieder losgeht. Denn die Fragen bei den ILMC-Panels konnten auch die versierten Steueranwälte vor Ort nicht mal ansatzweise beantworten.


Schauen wir nach vorne: Auf was freuen Sie am meisten, wenn Sie wieder loslegen können?

Kokemüller: Auf unsere „Berlin Berlin“-Show freue ich mich wie Bolle. Generell darauf, unsere Künstlerinnen und Künstler wieder zu sehen. Einfach wieder ins Theater zu gehen, auf das Adrenalin, wenn der Vorhang hochgeht. Menschen zu sehen, in den Arm nehmen zu können und Spaß zu haben.


Sie sind ja selber in Kurzarbeit, der Betrieb steht still, aber die Ideenfabrik in Ihrem Kopf wohl kaum. Wagt man es, in dieser Situation, an neue Projekte zu denken?

Kokemüller: Wir haben zwei ganz tolle neue Showkonzepte erarbeitet, die ich für hochspannend und absolut zeitgeistig halte. Mehr kann ich dazu noch nicht sagen. Man darf ja trotz allem nicht mutlos werden. Wir werden wieder Dinge wagen und verlassen uns auf unser Bauchgefühl. Oft haben wir damit nicht so schlecht gelegen.

 

Ralf Kokemüller

Ralf Kokemüller wurde am 26. Dezember 1962 in Hannover geboren. Nach dem BWL-Studium in München leitete er unter anderem Hotels in der Karibik.

1995 wechselte er zu BB Promotion nach Mannheim und arbeitete eng mit Michael Brenner (1952-2011) zusammen. Nach Brenners Unfalltod 2011 wurde Kokemüller Hauptgeschäftsführer der BB Group.

Die heutige Mehr-BB Entertainment ist aus dem Zusammenschluss der BB Group mit der Mehr! Entertainment im Sommer 2018 entstanden, unter der Geschäftsführung von Maik Klokow und Ralf Kokemüller. Der Jahresumsatz betrug zuletzt unter Normalbedingungen rund 170 Millionen Euro.

Die Mehr-BB ist ein Unternehmen der britischen Ambassador Theatre Group (ATG), die mit ihren Spielstätten, Produktionen und Ticketing-Portalen weltweit führend in der Live-Entertainment Branche agiert. 2015 hatte die ATG die Mehrheit an der BB-Gruppe übernommen.

Mit in diese „Ehe“ brachte  die Düsseldorfer Mehr! mehrere eigene Spielstätten – wie das Starlight Express Theater Bochum, das Capitol Theater Düsseldorf, den Musical Dome Köln, den Admiralspalast Berlin und das Hamburger Mehr! Theater am Großmarkt.

In der Hansestadt sollte seit gut einem Jahr die erste gemeinsame Großproduktion laufen: „Harry Potter und das verwunschene Kind“ als Theaterstück. Die Deutschland-Premiere ist jetzt für den 5. Dezember 2021 terminiert.

Kokemüller hofft auf den Restart des Tourneegeschäfts im Spätherbst: Der neu aufgelegte BB-Dauerbrenner „Richard O’Brien’s Rocky Horror Show“ soll ab Halloween wieder auf Tournee gehen. Vom 14. bis 16. Dezember ist das Musical im Mannheimer Rosengarten angesetzt.

Ressortleitung Stv. Kulturchef

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