Literatur

„Unter einem Zuckerhimmel“ von Christoph Ransmayr: Ein Buch, das überdauern wird

Christoph Ransmayr wohnt „Unter einem Zuckerhimmel“, der Maler Anselm Kiefer findet für den Lyrik-Band die passenden Farben

Von 
Frank Dietschreit
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Anselm Kiefer hat für den Gedichtband „Unter einem Zuckerhimmel“ von Christoph Ransmayr unzählige Aquarelle beigesteuert. © Anselm Kiefer/S. Fischer Verlag

Odysseus ist müde und ausgelaugt, viel zu lange war er unterwegs, hat unzählige blutige Schlachten geschlagen, sich auf der Suche nach der verlorenen Heimat heillos verzettelt und ist durch das Labyrinth der Menschheitsgeschichte geirrt. Ausgezehrt liegt der Städteverwüster und Listenreiche in irgendeinem Krankenhaus, lässt seine Blutwerte noch einmal checken, wartet auf seine Entlassungspapiere, sieht bereits das Meer wieder vor sich „und auf seinem Spiegel / ein gleißendes Gespinst möglicher Routen, / ein Knäuel von Routen der Heimkehr, / die am Ende vielleicht / alle zurückführen / in die Ruinen von Troja.“

Mit einem durch Zeit und Raum, Realität und Utopie irrlichternden „Odysseus“ eröffnet Christoph Ransmayr seinen neuen Band mit Gedichten und Balladen, in dem Schönheit und Schrecken, Poesie und Politik, Dichtung und Malerei sich vermählen und zu einem göttlichen Kunstwerk vereinen. „Unter einem Zuckerhimmel“ lautet der fast idyllische Titel dieses schillernden Crossover-Projekts, zu dem der international renommierte Künstler Anselm Kiefer unzählige Aquarelle beigesteuert hat.

Schillerndes Crossover-Projekt

Christoph Ransmayr, geboren 1954, lebt nach Jahren in Irland und auf Reisen wieder in Wien. Für seine Romane wie etwa „Die Schrecken des Eises und der Finsternis“, „Die Letzte Welt“ oder „Morbus Kitahara“ erhielt der Autor zahlreiche, auch internationale Auszeichnungen. „Unter einem Zuckerhimmel“ ist der zwölfte Band seiner Buch-Reihe „Spielformen des Erzählens“.

Anselm Kiefer, geboren 1945, zählt zu den bedeutendsten und innovativsten Künstlern der Gegenwart. 2008 erhielt er, als erster bildender Künstler, den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.

Christoph Ransmayr: „Unter einem Zuckerhimmel. Balladen und Gedichte.“ Illustriert von Anselm Kiefer, S. Fischer Verlag, 208 S., 58 Euro.

Mit Tusche, Bleistift und Kohle hat Kiefer, dessen Werk schon oft um blutige Abgründe, verdrängte Kriege und vergessene Mythen kreiste, seine Farb-Fantasien den poetischen Visionen gegenübergestellt. Was Kiefer auf Gips und Karton getupft und gespritzt hat, spricht eine eigene künstlerische Sprache, lässt mal eisig blaue, mal blutig rote Farbe auf einen Malgrund tropfen, zieht schwarze Linien durch die erdig und steinig wirkende Landschaft.

Der Dichter als Steinschleifer

Christoph Ransmayr lebte Jahrzehnte aus dem Koffer, machte das Unterwegs-Sein zur Lebens-Philosophie, durchquerte Wüsten, stieg auf hohe Berge und reiste zum Nordpol, war immer ein Reisender und Suchender, der „Die Schrecken des Eises und der Finsternis“ und „Die letzte Welt“ besang, „Eine kurze Geschichte vom Töten“ und den „Atlas eines ängstlichen Mannes“ beschwor. Jetzt scheint er zur Ruhe gekommen und lebt wieder in Wien. Umso dringlicher erinnert er an den ruhelosen „Odysseus“, sendet uns „Nachrichten aus der Höhe“ und erzählt vom „Trost des Steinschleifers“, der sich oft stundenlang verliert in den Tiefen kristalliner Strukturen und in ihnen „ein geheimnisvolles, laut- und zeitloses Bild der Welt“ sieht, „das ihn alle Sensationen und Schrecken / der Geschichte des organischen Lebens / vergessen lässt / und ihm verspricht: / Etwas von dieser Arbeit / wird überdauern. / Nicht für immer, aber länger, / viel länger als alles, / was welken, faulen / und schmerzen kann.“

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Der Dichter als Steinschleifer: Auch die Balladen und Gedichte des heimatlos reisenden Poeten werden überdauern und uns den Weg dahin zeigen, wohin wir doch alle immer wieder zurückkehren wollen: nach Hause. In der „Ballade von der glücklichen Rückkehr“ hat der Dichter endlich die Schnauze voll: „Genug! Genug. Eines Tages ist es genug. // So weit sind wir gegangen, / so hoch sind wir hinaufgestiegen, immer höher, / bis uns der nächste Schritt ins Blaue geführt hätte, / in die Wolken, nur noch ins Leere“. Erduldet hat er „Orkan. Hunger. Wunden. / Höhenwahn. Fieber. Angst. / Die Erschöpfung oder das Heimweh.“ Doch jetzt reicht es: „Eines Tages kehren wir unseren Träumen / den Rücken / und machen uns auf den Weg in die Tiefe, / zurück zu den Menschen“, wollen nur noch „nichts wie weg. / Wir wollen nach Hause!“

Zusammenarbeit ein Glücksfall

Das Zuhause kann auch eine Erinnerung sein: an die „Buchstabensuppe, deren Lettern auf dem Tellerrand von meiner Mutter zu Zeilen angeordnet wurden“, den Gedanken, dass „Verse und gesungene Strophen die vollendete Form einer Geschichte“ sein und Balladen den Krieg besingen, aber nicht bannen können: „Wir spielen / unter einem Zuckerhimmel / Krieg, // nennen flackernde / Strohfeuer / Ewigkeit // und jede Katastrophe / einen Sieg. // Was immer auf uns niederfährt: / Wir nehmen es gelassen, / heiter // und spielen / und spielen weiter / unter einem Zuckerhimmel Krieg.“

Dass Autor und Maler sich lange schon kennen und schätzen, Ransmayr dem Freund ein literarisches Denkmal setzte („Der Ungeborene oder Die Himmelsareale des Anselm Kiefer“), der sich jetzt sich mit zeitlos-schönen Bildern revanchierte, darf man getrost einen Glücksfall nennen. Ein Prachtband zum Verweilen und Träumen, ein Buch, das man immer wieder neu lesen und anders betrachten kann.

Freier Autor

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