Ludwigshafen. Mit „exquisiten Compagnien aus aller Welt“ empfahl Pfalzbau-Intendant Tilman Gersch dem Publikum den Ludwigshafener „Theaterfrühling“, ein noch bis Juli dauerndes Festival und Pendant zu den Festspielen im zweiten Halbjahr. Der Auftakt hielt dem Versprechen stand. Mehr noch: Die erste von insgesamt zehn Tanzveranstaltungen war grandios und endete unter großem, einhelligem Jubel für das Balé da Cidade de Sao Paulo aus Brasilien. Über die Nachvollziehbarkeit der im Programmheft veröffentlichen Sujets der drei Choreographien lässt sich streiten, nicht jedoch über die hohe Qualität des 35-köpfigen Ensembles.
Kraftvolle Energie, Vielseitigkeit und - wenn gefordert - auch Eleganz kennzeichnet die Compagnie, die 1968 eigentlich gegründet wurde, um die klassischen Balletteinlagen für große Opern zu liefern. Doch schon 1974 widmete sie sich dem zeitgenössischen Tanz, prägte zunächst die südamerikanische Szene, um sich ab 1996 auch international zu behaupten.
Mit drei Choreographien begeisterte das Ensemble beim zweitägigen Gastspiel im jedes Mal bis in den zweiten Rang hinauf voll besetzten Theater im Pfalzbau. „Transe“ und „Folego“ waren Deutschlandpremieren.
Doch schon nach den ersten 25 Minuten sorgte „Adastra“ für Furore, weil der Spanier Cayetano Soto alles aus den jeweils acht Tänzerinnen und Tänzern in dunklen Hosen und hautfarbenen Trikots (die Männer mit nackten Oberkörpern herausholt, was das Ensemble aus Sao Paulo ausmacht. Auf eher minimalistische, von Streichern geprägte Musik von Ezio Bosso gelingt dem Choreographen eine ungemein reizvolle Mischung aus Zeitlupe und Tempo, aus fließenden und Stakkatobewegungen, aus Kraft und Eleganz, aus klassischem Bewegungsrepertoire, zeitgenössischem Tanz, Modern, aber auch Akrobatik.
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Die Pas de Deux mit ungewöhnlichen Hebungen und Verschränkungen muten manchmal an wie Eistanzen, so schwerelos gleiten dabei die Körper über die Bühne. Sehenswert sind immer auch die sich aus dem Stand zum Boden und wieder emporwindenden Pirouetten. Ein toller Beginn des zweieinhalbstündigen Abends - gleichgültig, ob sich „Adastra“ (Zu den Sternen) als vertanzte Lebensphilosophie erschließt oder auch nicht.
Kollektive Ekstase
Einen ganz anderen Tanzstil pflegt der Brasilianer Clébio Oliveira in „Transe“. Er überprüft, ob oder wie das Leben eine nie endende Party in kollektiver Ekstase sein kann. Testperson ist ein zusammengekrümmter Mann, der sich in winzigen Schritten vorwärts bewegt. Er scheint zwar mitten drin im Geschehen um ihn herum, ist aber (noch) nicht Teil einer Transen-Gesellschaft, die wie in einem Ritual gefangen scheint. Die ziemlich durchsichtigen Kostüme sind für alle gleich, die 17 Frauen und Männer nicht wirklich zu unterscheiden. Auch nicht in den Bewegungen. Anfangs noch klein und verhalten, gehen sie durch den ganzen Körper in Arme und Beine. Dazu passen die pulsierenden Hintergrundgeräusche mit sparsamem Klaviereinsatz.
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Doch je mehr die Musik von Matresanch anschwillt, je mehr zum weiterhin melodieführenden Klavier Trommeln und Schlagzeug den Rhythmus übernehmen, desto mehr geht die Gesellschaft aus sich heraus. Bis auch der einsame Mann integriert ist. Nun hat die Musik sogar Ohrwurm-Qualität.
Eine andere Art von Ekstase herrscht in „Folego“ (Atem) von Rafaela Sahyoun. Die in Sao Paulo lebende Tänzerin hat ihr Ensemble an der Choreographie mitarbeiten lassen. Darin bilden 15 Menschen in bunten Kostümen zunächst eine zylindrische Masse, die sich um sich selbst dreht und sich dabei immer mal wieder abschrägt.
Über die ganze Bühne verteilt
Später verteilen sich die Tänzerinnen und Tänzer über die ganze Bühne, haben aber alle nur einen begrenzten Spielraum, dessen Grenzen sie nur selten überschreiten. Ihre Grundhaltung ist die zweite Position im Demi-Plié (gegrätschte Beine mit leicht gebeugten Knien). Aus der heraus schwingen sie ihre Oberkörper, lassen sie pendeln oder vertikal und horizontal kreisen. Dabei drehen sie sich auch um sich selbst. Das Ganze hat etwas Mantrahaftes, denn 30 Minuten passiert zur gegen Ende immer schneller und atemloser werdenden Minimal-Musik von The Field nicht viel mehr.
Dennoch hat „Folego“ einen besonderen Reiz. Denn die Hinterwand der Bühne ist ein riesiger Spiegel, der das Geschehen auf dem Boden in die Dreidimensionalität hebt. Das macht Eindruck, vor allem wenn sich das Ensemble in eine Diagonale reiht, die im Spiegel geradezu in den Himmel ragt. Und weil die bunten Kostüme gespiegelt weiß erscheinen, hat das Ganze tatsächlich etwas Überirdisches.
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