Ludwigshafen. Es ist, was wir einst, es war im Dezember 2019, die Spanien-rein-Spanien-raus-„Carmen“ genannt haben. Warum? Weil Regisseurin Yona Kim - nebenbei bemerkt: Ehefrau von Opernintendant Albrecht Puhlmanns Vorgänger Klaus-Peter Kehr - mit ihrer Deutung zum einen eine Ent-Exotisierung und Ent-Hispanisierung wollte. Das hatte Kim das 2019 so ähnlich erzählt. Um Spanien dann aus der spanischsten aller Opern rauszukriegen, hat sie der französischsprachigen Opéra-comique aber ausgerechnet etwas eingepflanzt, was es darin gar nicht gibt: eine spanisch ratternde Schauspielerin (hier Marià Fernanda Iwasaki), eine Art Alter Ego von Carmen, die immer wieder als deren Schatten in Erscheinung tritt, die ganze Oper vielleicht auch nur zusammenfantasiert und für, nun ja, reichlich Sex Appeal sorgt.
Leider verlässt Tenor Irakli Kakhidze das Nationaltheater Mannheim
Gut vier Jahre später: Im Ludwigshafener Pfalzbau, wo die Produktion nun exakt 2,45 Kilometer Luftlinie südwestlich vom Spielhaus am Mannheimer Goetheplatz eine Adaption feiert, ist natürlich alles wie gehabt - nur ein Schock liegt im Raum, soll doch einer der großen Lichtblicke der damaligen Produktion und des NTM insgesamt, Irakli Kakhidze, um Auflösung seines Vertrags gebeten haben. Leider bestätigt Pressesprecherin Olivia Brendle das am Samstag auf Nachfrage. Man braucht auch nicht drumherum zu reden: Kakhidze, ein Tenor von Weltformat, war in einem Haus ohne Haus schwer zu halten.
Wie sehr das schmerzt, ist in dieser „Carmen“ auch gleich zu erleben, denn Xavier Moreno, früher schon in Mannheim singend, ist als Don José allenfalls eine Notlösung. Gleich sein erster richtiger Einsatz mit „Parle-moi de ma mère“ im Duett mit Micaëla klingt etwas gequetscht, unfrei und klein, erst später dreht Moreno etwas auf und lässt ahnen, wie ein Don José klingen könnte. Tragisch ist das für ihn, weil er neben der besten Sängerin des Abends singt: Zsuzsanna Ádám, die der Micaëla eine satte, gesunde und fein timbrierte Stimme mit Seele verleiht. Ádám ist der große Lichtblick des Abends.
Einer der wenigen Lichtblicke dieser "Carmen" ist das Schmugglerquintett
Selbst das Orchester, der Chor und Kinderchor unter GMD Roberto Rizzi Brignoli, zuletzt bei „Boris Godunow“ noch exzellent, klingen über weite Strecken, als agierten sie mit angezogener Handbremse. Schon dem Prélude mit dem berühmten schmissigen Staccato-Motiv und dem explosiven Tschingderassabum im Fortissimo fehlt der - eben - Bums. Erkennbar wird zwar, dass Rizzi Brignoli einen feinen, lyrischen und parfümierten Ansatz sucht. Der kann aber nicht überzeugen - zumal vertikal zu vieles zu wenig zusammenläuft zwischen Bühne und Graben, gerade nach der Pause im Bergakt. Aber irgendwie passt zusammen, dass nichts so recht zusammenpasst: Selbst der sonst formidablen Shachar Lavi scheint die Tessitur Carmens zu tief zu liegen. Nur selten kann sie in der Mezzo-Lage mit genügend Volumen aufblühen und glänzen, und im Pop-Trio an den Mikros mit Maria Polanska (Mercédès) und Amelia Scicolone (Frasquita) zieht sie, eigentlich die geborene „Rampensau“, fast den Kürzeren.
Insgesamt bewegt sich der Abend mit "Carmen" unter dem üblichen Niveau des Nationaltheater Mannheim
Nikola Diskics Escamillo bleibt ebenfalls eher blass, während die beiden Gauner Dancaïro und Remendado bei Christopher Diffey und Raphael Wittmer in guten Händen sind - das Schmugglerquintett, obwohl etwas arg schnell und verhuscht, gehört mit den drei Damen zu einem der (wenigen) Höhepunkte dieses Abends, der musikalisch unter dem üblichen NTM-Niveau rangiert.
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Ein Video des Nationaltheater Mannheim zur Produktion "Carmen" ist hier auf Youtube zu sehen.
Weitere Aufführungen: am 28. Februar, 1., 3. und 6. März (Info und Karten: 0621/1680 150) und weitere Info beim Nationaltheater Mannheim.
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