Konzertbericht

So war das Die Ärzte Open Air auf dem Mannheimer Maimarkt

Farin Urlaub, Bela B und Rod glänzen in "Personenheim" nicht nur mit ihrer Hitparade, sondern auch als Spaßvögel. Als Die Ärzte  die erste Vorgruppe ankündigen, kommt es zu einem Fauxpas und aus dem wird ein Running Gag

Von 
Jörg-Peter Klotz
Lesedauer: 
Gegensätze wie auf den jüngsten beiden Ärzte-Platten „Hell“ und „Dunkel“ ziehen sich an – oder wie die Frontleute Farin Urlaub (links) und Bela, das Yin und Yang des deutschen Punkrocks. © Thomas Tröster

Wann hat man es eigentlich geschafft als Rockstar? Eine Definition dafür haben Die Ärzte am Sonntag bei ihrem Open Air auf dem Mannheimer Maimarktgelände geliefert: Du holst 40 Jahre nach der Bandgründung bei miserablen Wetteraussichten knapp 30 000 Fans auf ein Festivalgelände ohne Regenschutz- und kannst spielen, was du willst.
 
Besser noch: Du kannst auch n i c h t spielen, was du willst. Okay, dass „Westerland“ nicht kommt, verursacht vereinzeltes Knurren. Es ist aber auch nachvollziehbar, nach dem Bohei um die Punker-Invasion auf Sylt via 9-Euro-Ticket. Selbst den Rolling Stones dürfte es schwerfallen, ohne „Satisfaction“ heil von der Bühne zu kommen.

Die Ärzte mit gutem Open-Air-Sound

Aber Die Ärzte haben inzwischen mehr als drei Generationen von Fans zur Toleranz (mit)erzogen - das trägt Früchte. Das Mannheimer Publikum erkennt und bejubelt jedes Lied beim ersten Takt beziehungsweise Riff. „Ihr seid echt schnell“, staunt Gitarrist und Sänger Farin Urlaub gegen Ende anerkennend. Textfest ist der Großteil auch.

Fotostrecke

Feiern mit Luet, Drangsal und Die Ärzte in Mannheim

Veröffentlicht
Bilder in Galerie
7
Mehr erfahren

Da spielt es keine Rolle, wenn jedem Fan wahrscheinlich noch ein ganzes Best-of-Album voller Hits einfiele, die auf der mit 36 Liedern prallvollen Setlist nicht stattfinden. Tatsächlich hat man selten eine Ärzte-Tournee gesehen, bei dem die Teile des Programms musikalisch und dramaturgisch so perfekt ineinandergreifen.

Das wirkt teilweise, als hätte ein Oldschool-DJ es nach Rhythmik abgestimmt - bei insgesamt gutem Open-Air-Sound, bei dem nur in den hinteren Publikumsreihen der mehrstimmige Gesang etwas auseinanderdriftet.

Wie für Greta Thunberg getextet

Dazu kommt als nächstes Zauberwort: Relevanz! Die Ärzte wurden - wie die ebenfalls seit vier Jahrzehnten aktiven Toten Hosen - nicht nur am Anfang von den „echten“ Punks als Fun-Punker für eingängige Liedchen mit lustigen Texten belächelt. Über die Jahrzehnte hat sich dank stabiler Haltung und Mut zum offenen Wort ein Kanon an Songs angesammelt, der im Kontext der krisengeschüttelten Post-Zeitenwende-Zeit mit seiner Gesellschaftskritik fast schon visionär wirkt.

Die Zeilen „Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt ist, wie sie ist / Es wär nur deine Schuld, wenn sie so bleibt“ klingen wie die Hymne der Fridays-For-Future-Bewegung (FFF). Er stammt aus dem Geburtsjahr von FFF-Gründerin Greta Thunberg (19).

Mehr zum Thema

Bilanz der Einsatzkräfte

Ärzte-Konzert: Reibungsloser Ablauf beim letzten Open Air der Saison

Veröffentlicht
Mehr erfahren
Pop

So klingt das neue Album von Ragawerk

Veröffentlicht
Von
Tanja Capuana
Mehr erfahren

Moralische Entlastungspakete für Individualisten

Was beim zeitlosen Anti-Nazi-Klassiker „Schrei nach Liebe“ fast 30 Jahre nach seiner Veröffentlichung in Mannheim los ist, spricht für sich. Das gilt auch für „Friedenspanzer“ (1993), „Meine Freunde“ oder „Ignorama“ (beide 1998). Und Refrains wie „Ich ess’ Blumen, denn Tiere tun mir leid“ (1988) oder von „Manchmal haben Frauen ...“ (2000) klingen wie gestern erst geschrieben und werden vom Ärzte-Publikum dementsprechend enthusiastisch und voller Überzeugung mitinterpretiert.

Dazu kommen die aktuellen Nummern „Doof“ („Niemand wählt Nazis nur aus Unwissenheit / Ihre Agenda ist doch hinlänglich bekannt / Nazis sind Nazis, weil sie Nazis sein woll’n / Und meine Oma hat den Grund dafür geka-, -a-a-, -a-annt / Doof bleibt doof / Da helfen keine Pill’n, nicht beim allerbest?n Will’n“) oder „Ich, am Strand“, das von Armut Betroffenen bitter aus der Seele singen dürfte.

Moralische Entlastungspakete haben die Berliner aber auch immer wieder für Individualistinnen und Individualisten geliefert. Da müssen sie nicht „You’ll Never Walk Alone“ zitieren wie der Bundeskanzler oder die in puncto Pathos begabteren Hosen.

THW- und Barfrauen tanzten ausgelassen mit

Songs wie „Lasse redn“, „Lied vom „Scheitern“ oder die frenetisch mitgesungene „Junge“-Adaption sind praktische Lebenshilfe, die erklären, warum Die Ärzte über Jahrzehnte einen Großteil der jeweils amtierenden Teenager-Generation erobert haben.

Nicht zu reden von den zahllosen Varianten von Liebes- und vor allem Liebeskummer-Liedchen seit dem ersten großen Ärzte-Hit „Zu spät“, die Farin Urlaub zum Chefarzt von Dr. Sommer gemacht haben. Wobei die „Boomer“ (und Boomerinnen“) auf dem Maimarktgelände heutzutage in der Überzahl sind - wenn auch oft in Begleitung von Kindern und/oder Enkeln, die alles andere als mitgeschleppt wirken. Und wenn am Ende von zweieinhalb Stunden (insgesamt sind es mehr als sechs) THW- und Barfrauen ausgelassen mittanzen, hat eine Band sehr viel richtig gemacht.

Einzählen in „eurem saarländischen Akzent“

Das große Erfolgsgeheimnis: Bela B (59), Farin Urlaub (58) und Band-Benjamin Rod (54) sind Berufsjugendliche im allerbesten Sinne. Weil sie auch bei schweren Themen eine ungeheure Leichtigkeit vermitteln und so zumindest den Anschein erwecken, sich selbst nicht allzu wichtig zu nehmen, wenn ihnen gerade Zehntausende aus der Hand fressen. Dabei hilft ihr Spaß an der Selbstironie, gegenseitigem Gefrotzel und purem Klamauk beim Spiel mit Rockstar-Klischees.

Bela B performt vor den knapp 30 000 Fans. © Thomas Tröster

So verlegen sie das Konzert schon bei der Ansage der druckvollen ersten Vorband LÜT nach Hessen. Während ihrer Show folgen so ziemlich alle Bundesländer („Ich sage doch immer: In Thüringen ist es am schönsten. Keine Ahnung, warum ihr so ein schlechtes Image habt“) und viele Regionen.

Mannheim eine Deutschlandreise als Running Gag: Sie verlegen das Konzert in so ziemlich jedes Bundesland, Farin Urlaub versucht es mit einer Publikumsansprache auf Sächsisch und Bela B fordert ein Einzählen in „eurem saarländischen Akzent“.

„Hier in Personenheim“

Rod treibt es schließlich auf die Spitze und fragt vor seiner Ballade „Lady“ „Träumt Ihr auch von Baden-Württemberg?“ Die Fans nehmen’s mit Humor. Aber als Farin Urlaub in der Zugabe die Zeilen „Ich hasse ihn, den Gartenzwerg / Hier in Baden-Württemberg“ in „Zu spät“ einbaut, ist der lokalpatriotische Jubel doch ziemlich groß.

Beim Gewitzel wollen die einstigen Skandalnudeln aber nicht hyperkorrekt sein. So sinniert Urlaub schelmisch mit Blick auf den Namen der Tourstation: „Die Gender-Debatte ist noch nicht angekommen … hier in Personenheim. Mannheim - das geht doch gar nicht.“

Zu wenig Gegenliebe für Drangsal

Dafür haben sie die personifizierte Diversität als zweite Band ins Vorprogramm geholt: Drangsal. Eine perfekte Wahl, denn nur Max Grubers Indie-Popprojekt hat Ärzte-Hits wie „Turmbau zu Babel“ im Repertoire, die das Berliner Trio selbst nicht besser hätten schreiben können.

Der Herxheimer und zeitweilige Wahl-Mannheimer will bei seinem größten Heimspiel bisher aber etwas zu viel und hätte offenbar noch mehr Gegenliebe erwartet. Das hätten vor allem die Live-Kracher „Arche Gruber“ und das wuchtige „Exit Strategy“ zum Schluss seines 40-minütigen Auftritts auch verdient gehabt.

„Elke“ kommt erst zurück, „wenn die ,Bild’-Zeitung dichtmacht“

Die Hauptdarsteller finden jedenfalls sehr warme Worte für ihre schlagkräftigen Einheizer LÜT und Drangsal. Grubers Band „wird in zehn Jahren so groß sein wie wir, und wir werden sie fragen, ob wir bei ihnen im Vorprogramm spielen können..“ 2032 spielen Die Ärzte dann vielleicht wieder „Westerland“ und das seit elf Jahren ausgemusterte „Elke“, wegen dem die „Bild“ ihnen auf dieser Tournee (!) Cancel Culture in eigener Sache angedichtet hat.

Die beliebte, aber nun wirklich nicht mehr zeitgemäße Body-Shaming-Nummer werde man erst wieder spielen, „wenn die ,Bild’-Zeitung dichtmacht“, verspricht Bela B. Und Urlaub ergänzt mit typischem Ärzte-Humor: „Auch die unveröffentlichten Strophen.“ Ohne Sauerstoffgerät hoffentlich.

Ressortleitung Stv. Kulturchef

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen