Klassik

So stimmt das NTO mit Ingo Metzmacher auf die Saison ein

Fulminant: Beim 1. Akademiekonzert haben sich Ingo Metzmacher - immer wieder ein gern gesehener Gast in Mannheim - und das Nationaltheater-Orchester Werken von Charles Ives und Gustav Mahler gewidmet

Von 
Uwe Rauschelbach
Lesedauer: 
1. Akademiekonzert: das Nationaltheater-Orchester unter Leitung von Dirigent Ingo Metzmacher. © Manfred Rinderspacher

Mannheim. Aus wabernden Nebelgründen haben sich, von den ersten Ursprüngen an, schon häufig die interessantesten Entwicklungen ergeben. Doch der erste Satz in Charles Ives’ dreiteiligem Orchesterwerk „Three Places in New England“ mit seinen verhangenen Harmonien will nicht recht Gestalt gewinnen. Das erste Akademiekonzert in dieser neuen Spielzeit beginnt verrätselt, unbestimmt. Was Konturen annehmen will, bleibt vage.

Das Kalkül Ingo Metzmachers, der sich als frischgebackenes Ehrenmitglied der Musikalischen Akademie und als anerkannter und gern gesehener Gastdirigent in die Tradition von Größen wie Paul Hindemith oder Wilhelm Furtwängler einreiht? Zwar treten Klarinette, Flöte und Horn im Satz „The ‘St. Gaudens’ on Boston Common“ allmählich hinter dem Schleier hervor, auch das Klavier tupft helle Töne ins klandestine Einerlei - doch erst mit der schrillen Attacke, die den Mittelsatz apostrophiert, nimmt das Orchester Fahrt auf.

Die für Ives einander überlagernden Rhythmen und Tonarten erzeugen in „Putnam’s Camp“ assoziativ eine Szenerie, in der die Faszination des Militärischen auf affirmative wie verstörende Weise begutachtet wird. Das kontrapunktisch im Gegenrhythmus polternde Schlagwerk droht, als würde Oskar Matzerath seine klappernde Blechtrommel rühren, das Ganze aus dem Tritt zu bringen. Jahrmarktähnlich trumpfen die Blechbläser auf, doch Ingo Metzmachers regulierende Einsätze zahlen sich aus. Es herrscht eine geordnete Kakophonie, und mit einem markerschütternden Beckenschlag entlässt uns das Orchester in die romantische Atmosphäre eines Herbstspaziergangs.

Bisweilen lässt Metzmacher das Orchester von der Leine

Posaune und Fagott locken in „The Housatonic at Stockbridge“ zum Säuseln der Streicher mit melodiösem Schmeicheln, bevor sich die Musik noch einmal aufbäumt und, wie an sich selbst erschöpft, verebbt. Die farbigen und anspielungsreichen Szenen in Ives’ aufwühlend-expressiver Trilogie erscheinen vor dem inneren Auge in plastischen Staffelungen. Bisweilen lässt Metzmacher das Orchester von der Leine, als wollte es in kindlichem Übermut untereinander wetteifern, wer mit seinem Instrument am meisten Lärm machen kann. Selbst die Piccoloflöte gibt nicht klein bei, und als nach 20 Minuten schon wieder Pause ist, reibt man sich verwundert die Augen, während die Ohren klingeln.

Mehr zum Thema

Nationaltheaterorchester und GMD mit direktem Draht nach oben

Verdis Requiem: Tränen und Triumph beim Akademiekonzert im Mannheimer Mozartsaal

Veröffentlicht
Von
Stefan M. Dettlinger
Mehr erfahren
Nationaltheaterorchester

Fritjof von Gagern: „Junge Ohren sind begeisterungsfähig“

Veröffentlicht
Von
Stefan M. Dettlinger
Mehr erfahren
Akademiekonzert

Ist Jan Lisiecki in Mannheim nun der Schnellste?

Veröffentlicht
Von
Stefan M. Dettlinger
Mehr erfahren

Die helle Terzfanfare der Trompete zu Beginn von Gustav Mahlers fünfter Symphonie ertönt hernach als verbindendes Element zu Ives’ Militärkapellen-Fantasie. Das makellose Solo Alexander Schuhwerks behauptet sich in der Wiederholung auch gegen Hörner, Posaunen und Schlagwerk. Gemessenen Schritts setzt sich schließlich der Trauerzug in Bewegung, während Ingo Metzmacher die Beschleunigungskräfte im Orchester mit energischer Zeichengebung stimuliert. Sein Dirigat ist auf Partiturtreue und die kontrollierte Emphase bedacht. Das tut Mahler gut und gibt dieser häufig aus allen Formen fliehenden Musik einen Rahmen, in dem die dramatischen Wirkungen, wie sie durch dynamische Klimaxe und klangliche Verdichtungen erreicht werden, auch in ihren vielfältigen Bezügen verständlich werden.

Die Celli könnten im zweiten Satz etwas schärfer, die Einwürfe der Klarinette etwas kecker sein, die Streicher eine Spur mehr überzeichnen. Doch die fragile Walzerstimmung im Scherzo vermittelt das Orchester mit heimeligem Schwung, die parodierende Groteske wird mit peitschender Robustheit inszeniert. Theodor Blagojevic wird neben das Dirigentenpult beordert, wo er die Lockrufe der Hörnergruppe vernimmt, die zur Rückkehr mahnt. Doch der Solohornist des Nationaltheater-Orchesters widersteht der Versuchung mit ausdrucksvollem, klar konturierten Spiel, das der Instrumentenstimme einen noblen, aber doch auch angemessen gewichtigen Rang verschafft.

Schnulziges Pathos wird im Adagietto wohlweislich vermieden. Stattdessen erscheint dieser Satz als Folge, der sein Erscheinen dem Vorausgegangenen verdankt. Die funkelnden Harfeneinsprengsel sind wie Leuchtpunkte im sachten Wogen der Streicher. Einfühlsam hält Metzmacher das Tempo in der Schwebe und bahnt die letzte Steigerung aus sphärischen Pianobereichen an. Die acht Kontrabässe, hinter den ersten Streichen platziert und der Hörnergruppe zugeordnet, könnten in der Schlusspassage durchaus noch etwas mehr Kante zeigen.

Narrative Zuschreibungen sind ebenso erlaubt wie überflüssig

So, wie das Orchester den Beginn des Rondos inszeniert, behält das Finale unmittelbar Anschluss an jenen vierten Satz, der sich auf diese Weise gegen seine vielfache Verwendung und gelegentlichen Missbräuche behauptet. Nunmehr werden die kontrapunktische Struktur und die polyphonen Verflechtungen vom Nationaltheater-Orchester transparent nachvollzogen. Ingo Metzmacher moderiert hierbei die empfindlichen Übergänge und die zahlreichen Brüche mit souveränem Überblick. Die Schärfe des „Als ob“ in Mahlers Symphonie, all das Aufbegehren und das In-sich-zusammen-Sinken werden als musikalische Vorgänge plausibel. Die Fünfte ist in erster Linie ein kompositorisches Kunstwerk; narrative Zuschreibungen sind, wie dieses Konzert eindrucksvoll dokumentiert, ebenso erlaubt wie überflüssig.

Die Schlusstöne gestaltet das Orchester mit Effet und Witz. Vage und verrätselt ist hier nichts mehr.

Freier Autor

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen

VG WORT Zählmarke