Das Interview - Autor Salim Güler über das Arbeiten in Corona-Zeiten, über Einkünfte und Präsident Erdogan

Salim Güler: „Schreiben war für mich Freiheit“

Von 
Stefan M. Dettlinger
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Gefangen im Homeoffice: Autor Salim Güler – erfolgreich, bodenständig und – zu Hause. © Dennis Eid

Beim letzten Interview saß Salim Güler an dem Ort, an dem er arbeitet, an dem er denkt, erfindet, Inspiration einatmet und also seine Bücher schreibt. In Mannheim. In Hongkong. In Panama. Auf der ganzen Welt. Nur dort, in Cafés, könne er gut schreiben, sagt er. Und wenn er schreibt, geht es um Spannung. Millionen E-Books hat er verkauft. Thriller sind sein Metier - gern auch über Psychopathen wie in „Unwürdig“, das in Mannheim spielt, seiner Heimat. Nun sitzt er zu Hause. Corona. Was macht das mit ihm?

Herr Güler, wie schaut es mit Ihnen aus? Haben Sie’s?

Salim Güler: Glücklicherweise nicht. Ich glaube und hoffe es zumindest, da ich keine der Symptome aufweise und mich an die Regeln der Ausgangsbeschränkung halte. Da wir nur so diese Pandemie in den Griff bekommen und hoffentlich bald eine Lockerung der Maßnahmen erleben dürfen. Auf Verdacht testen lassen geht ja leider nicht, da es noch keine flächendeckenden Tests gibt.

Für Sie sind ja die Welt und ihre Cafés der Arbeitsplatz. Wie arbeiten Sie jetzt?

Güler: Stimmt. Für mich, der seine Inspiration und Kreativität durch Reisen, durch die Gegenwart anderer Menschen und äußere Eindrücke gewinnt, ist der aktuelle Zustand eine Katastrophe. Ich bin eigentlich ein sehr fleißiger und disziplinierter Autor. Schreibe jeden Tag fünf Seiten. Es fiel mir nie schwer, es war genug Kreativität vorhanden, weil ich „frei“ war. Jetzt, wo ich das Gefühl habe, „eingesperrt“ zu sein, schaffe ich zwei bis drei Seiten. An einigen Tagen gar nichts.

Sie leiden?

Güler: Ja, der aktuelle Zustand erdrückt mich, so sehr ich mich auch dagegen stelle, so sehr ich weiß, dass wir nur so die Pandemie in den Griff bekommen können. Der Autor in mir ist der große Verlierer. Aber die Hoffnung, dass wir es bald überstehen werden, gibt mir Mut und lässt mich nicht verzweifeln. Ich habe mir angewöhnt, abends zu schreiben, da sind meine Gedanken ruhiger, der Kopf etwas freier. Aber es ist halt kein Vergleich zu vorher. Auf Dauer, weiß ich, würde ich das nicht können. Schreiben, so sehe ich das, darf ja kein Zwang sein. Und derzeit fühlt es sich manchmal so an. Das macht mich sehr traurig, da ich dieses Gefühl davor nie hatte. Schreiben war für mich immer ein Stück Freiheit.

„In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister / Und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben“, so schrieb Goethe. Hatte er unrecht?

Güler: Ich glaube nicht. Ich denke aber nicht, dass Goethe damit gemeint hat, woher ein Autor seine Inspiration oder Kreativität nimmt. Vermutlich war das eher auf Bildung bezogen, möglicherweise auch als Spott gemeint für die damalige Zeit. Vielleicht ist das auch übertragbar auf unsere Zeit, wenn man bedenkt, dass es Menschen gibt, die glauben, sie wären besser oder könnten alles besser. Aber das zweifelte Goethe an. Ich denke ähnlich. Ein Mensch kann nicht alles, aber er sollte sich auf seine Fähigkeiten konzentrieren, seine Stärken und diese dann zum Mittelpunkt seines Schaffens machen.

Wer Großes will, muss sich zusammenraffen? Ich meinte es auf Disziplin, Konzentration bezogen …

Güler: … genau, meine Stärke ist eben das Schreiben. Aber da das ein künstlerischer Prozess ist, bin ich, egal wie fleißig und fokussiert ich sein mag, abhängig von der Inspiration und Kreativität. Anders verhielt es sich mit meinem vorherigen Beruf als Manager eines Unternehmens. Dort war Wissen und Bildung sehr wichtig. Auf dieses Wissen und diese spezialisierte Bildung konnte ich mich verlassen. Aber meine Bildung war auf Wirtschaftswissenschaften spezialisiert. Ich hätte mir daher nie angemaßt zu behaupten, dass ich auch ein guter Arzt wäre oder Ingenieur. Daher ist Goethes Aussage, wenn ich sie richtig verstehe, in etwa die: Hochmut kommt vor dem Fall.

Und trifft das auf Sie zu?

Güler: Auf meine aktuelle Situation bedingt - wobei ich es teils umsetze, indem ich dennoch nicht verzage und versuche, jeden Tag ein paar Zeilen zu schreiben und das Beste aus der Beschränkung zu machen, und mir auch bewusst bin, dass ich der Beschränkung unterliege. Nicht nur räumlich, zeitlich, sondern auch vom Wissen und der Intellektualität her. Ich nenne das: bodenständig bleiben, auf seine Fähigkeiten konzentrieren und Demut kennen.

Inwiefern prägt die Corona-Lage die Inhalte Ihres Schreibens?

Güler: Derzeit schreibe ich an einem Sommerroman, der in Paris spielt. Zuvor hatte ich keinerlei Gedanken an eine Pandemie oder Viren. Jetzt hingegen kann ich nicht anders. Jetzt wird auch Corona in diesem Buch Erwähnung finden, da meine Bücher immer sehr aktuell sind. Wobei der Roman, an dem ich arbeite, in zwei Zeitzonen spielt.

Eigentlich müssten Sie doch jetzt über Mannheim schreiben …

Güler: … die Geschichte mit Paris und der Figur Rémy begleitet mich seit einem Jahr in meinen Gedanken. Daher kam nichts anderes in Frage. Und ich habe vor zwei Wochen einen Mannheim-Thriller, den ich in Panama geschrieben habe, veröffentlicht. Ohne Corona.

Verdienen Sie eigentlich so viel Geld mit Ihren Büchern, dass Sie mal kurz in Panama ein Buch schreiben können?

Güler: Ich bin in der glücklichen Situation, dass ich vom Schreiben gut leben kann. Dafür bin ich jeden Tag sehr dankbar. Reisen sind nicht nur ein enormer Schub für meine Kreativität. Reisen bildet auch und lässt mich über den Tellerrand blicken. Außerdem recherchiere ich dort auch für meine Bücher. So habe ich in Panama Szenen für mein aktuelles Projekt mit Rémy gesammelt.

Dass Sie nicht reisen können, ist ein Luxusproblem. Wir sollten deshalb auch über die Türkei, Lesbos und die Flüchtlinge sprechen …

Güler: Gern. Corona hat der EU nur Zeit erkauft, weil die Türkei selbst genug Probleme mit Corona hat - und Lesbos ist auch ein Brandherd. Eine lustige oder in Nachhinein weniger lustige Anekdote: Anfang März wollten mir Türken am Mannheimer Marktplatz doch tatsächlich klarmachen, dass Türken immun gegen Corona wären. Ohne Worte …

Heute sind in der Türkei fast 91 000 Infizierte gemeldet. Mehr als 2000 sind gestorben! Haben Sie die Typen noch mal getroffen?

Güler: Leider nicht. Mich würde aber die Antwort von denen interessieren. Ob die schockierenden Zahlen sie demütig und besonnen gemacht haben, oder ob sie unbelehrbar sind.

Man spricht jetzt nicht mehr über Erdogan. Schadet ihm das?

Güler: Ungemein. Er steht innenpolitisch sehr stark unter Druck. Die Wirtschaft liegt am Boden, die Lira ist abgestürzt, hohe Inflation. Hinzu kommt, dass er Istanbul an einen Widersacher verloren hat, der ihn bei den nächsten Wahlen herausfordern wird. Die Welt hat nur ein Thema: Corona. Keiner interessiert sich für Flüchtlinge. Und im Gegensatz zu Trump hat es Erdogan nicht verstanden, die Pandemie für sich zu nutzen. Trumps Beliebtheitswerte steigen, weil er trotz der vielen Fehler versucht, Corona für sich zu nutzen. Das schafft Erdogan nicht.

Sie glauben an den Machtwechsel?

Güler: Schwere Frage. Unter normalen demokratischen Umständen wäre ich dazu geneigt. Aber Erdogan wird sich mit allen Mitteln dagegenstellen. Die Opposition sollte nicht allzu sicher sein. Der Schlüssel wird darin liegen, dass sich die Opposition auf einen Kandidaten einigt. Sonst wird Erdogan gewinnen.

Ist Ihre Familie in der Türkei von Covid-19 betroffen?

Güler: Zum Glück nicht, jedenfalls nicht, dass ich wüsste. Aber ich mache mir Gedanken um meine Eltern. Sie sind alt, meine Mutter ist herzkrank. Sie leben an der Ostsee, und ich kann jetzt nicht bei ihnen sein. Das belastet mich. Ich hoffe, dass wir die Pandemie bald überstanden haben. Und einen Wunsch habe ich: dass wir uns danach ernsthaft mit unserer Welt und den Schäden, die wir Menschen der Erde antun, auseinandersetzen. Wir haben nur eine Erde. Und wie zerbrechlich unser Wohlstand und unsere Gesellschaft sind, hat etwas so Kleines wie ein Virus, das wir mit bloßem Auge nicht sehen können, gezeigt.

Salim Güler

  • Die Familie: Salim Güler ist 1975 in der Türkei geboren und kommt mit fünf Jahren mit zwei Brüdern und der Mutter nach Deutschland zu seinem Vater in ein Dorf in Ostholstein. Dort bleibt er bis zum Studium der Wirtschaftswissenschaften in Köln.
  • Das Studium: Güler promoviert zum Dr. rer pol. an der TU Chemnitz, arbeitet nebenbei aber bereits als Pressesprecher einer Softwarefirma.
  • Das Schreiben: Bereits als Schüler schreibt er Geschichten – und hört nie damit auf. Sich selbst nennt er „schreibsüchtig“. Vor einigen Jahren veröffentlicht er die erste vieler Geschichten über die Amazon-Plattform KDP als E-Book.
  • Der Erfolg: Der überraschende Anklang seines ersten Lübeck-Krimis führt dazu, dass der Verlag Amazon Publishing auf ihn aufmerksam wird. Seitdem sind mehr als 40 Bücher erschienen – zuletzt der Mannheim-Thriller „Lüge“. Güler lebt heute von der Literatur. Er hat mehr als eine Million Bücher verkauft – überwiegend E-Books. 

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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