Heidelberg. Die Bilanz, die Georg Büchner mit seinem 1835 entstandenen, in wenigen Wochen wie in fiebriger Erregung hingeschriebenen Drama „Dantons Tod“ zieht, ist ernüchternd. Verhandelt wird die Pervertierung einer sozial gerechtfertigten Idee zur Ideologie. Deren seelenlose Wirkung bleibt ein Fanal. Historiker zählen wohl 40 000 Menschen, die der Guillotine zum Opfer fielen, darunter auch deren Erfinder selbst, als die Französische Revolution ab 1790 aus den Fugen geriet.
Im Lehrbuch steht, dass Freiheit immer gegen ihre Gegner verteidigt werden muss. Die Welt tickt anders, fiktive Feinde werden identifiziert und eliminiert. Die Bösen haben ihre Blaupause in den Mechanismen jener Mutter aller Revolution der Neuzeit gefunden, die statt Segen Unmenschlichkeit gebiert.
Stephan Kimmig inszeniert am Theater Heidelberg „Dantons Tod“ als verstörende, in Monologen verdichtete Innenschau der handelnden Personen. Das Figuren-Tableau ist reduziert, Danton wird als Frau gesehen und eine quasi zeitlose Perspektive eingenommen. Denn Machtverhältnisse müssen sich herauskristallisieren, was auf der Bühne im Marguerre-Saal zu Beginn spielfreudig angedeutet wird.
Der von Katja Haß in kahler Beton-Optik geschaffene Raum wird anfangs von einer Planche beherrscht, auf der die Figuren in teils absurder Choreographie durcheinandergewürfelt werden. Denn noch ist nicht klar, wer die Oberhand gewinnen wird. Die Dantonisten oder der Wohlfahrtsausschuss. Übrigens eine paradoxe Bezeichnung, denn das Volk hungert und „Wohlfahrt“ benennt einzig den abstrakten Machtrausch. Hier also werden die Machtverhältnisse vorgeklärt. „Der Freiheit eine Gasse“ heißt es zum Aktschluss. Das passt, stammt aber vom Vormärz-Dichter Georg Herwegh. Das war ein paar Jahrzehnte später, ebenso wie das Bildzitat auf einem Kostüm, „Die Freiheit führt das Volk“ von Eugène Delacroix, das um 1830 entstand.
Macht nichts, weil zeitlos. Zeitbedingt wirkt eher die Besetzung des Danton als Frauenfigur. Ein derzeit üblicher Bühnen-Kniff, oder von tieferer Bedeutung? Antonia Labs gibt der Figur jene Unentschlossenheit, welche den Lebemann Danton auszeichnete, denn sein Fatalismus war fast mit Todessehnsucht gepaart.
Ein Entkommen aus den Fängen einer absurden Maschinerie wäre möglich gewesen und wird von seinen/ihren Weggefährten angemahnt. So aber frösteln sie zusammengekauert, um Danton(in) Labs ihrem Ende entgegen.
Um Tod und Leben wird wieder diskutiert, auch Danton, immerhin Anführerin und Ex-Justizministerin, wirkt ratlos. Ihre Gefährten sind irritiert zwischen Aufbegehren, Wut und Ergebung ins Schicksal: Camille Demoulins (André Kuntze), Hérault (Daniel Friedl), Lacroix (Steffen Gangloff) und Philippeau (Friedrich Witte) in genauer Figurenzeichnung. Sie enden per Schnitt in die Kehle – Gerichtspräsident Herman (Marco Albrecht) persönlich exekutiert.
Interessant ist Robespierre: Jonah Moritz Quast spielt ihn eher als Getriebenen, der vom Strudel eigener Ideologie fortgerissen wird. An seiner Seite St. Just, gespielt von Esra Schreier (auch in der Doppelrolle der Lucile), als Todesengel der Revolution. Jules/Julie (Leon Maria Spiegelberg) und Lisa Förster als Prostituierte Marion sind individuelle Stützpunkte in einem sehr guten Ensemble, das von Annabelle Gotha ausstaffiert wird. Der Premierenapplaus war herzlich.
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