Klar, zu Anfang ließe sich auch nörgeln. Etwa über Lautsprecher, die in der „Carmen“-Ouvertüre von Bizet noch wie ein altes Radio scheppern. Zuhörer, die (in Block B) weit rechts sitzen, hören zunächst auch nur den rechten Boxenturm. Oder wir könnten mit der Video-Leinwand hadern, die uns das Geschehen näherbringen soll, doch in der ersten Hälfte des Konzerts vor allem einen extrafetten schwarzen Balken zeigt. Infolge einer Kabelschwäche, Spätfolge des Platzregens vom Vortag. Doch die Dinge bessern sich im Laufe dieser Open-Air-Gala in Schwetzingen erfreulich rasch. Und musikalisch müssen die gut 3000 Besucherinnen und Besucher ohnehin nicht darben. Obendrauf gibt es bei „Schloss in Flammen“ - wie gewohnt die Schlussveranstaltung des Festivals Mannheimer Sommer - noch ein großes Feuerwerk.
Primär eine Opern-Gala
Die beste Nachricht freilich ist, dass primär eine Opern-Gala stattfindet - und dann erst ein Event. Garant dafür ist Alexander Soddy, der zum Abschluss seiner Jahre als Mannheimer Generalmusikdirektor auch in Schwetzingen mit unbeirrbarer Seriosität agiert. Diesmal eben hoch oben auf der Open-Air-Bühne und nicht im Nationaltheater-Graben.
Als ihn Moderator „Chako“ Habekost zu einer Dialekt-Einlage drängt und ihm ein putziges „Ajoh!“ abnötigt, bleibt er britisch kühl. Den Enthusiasmus spart sich Soddy viel lieber für Verdi auf, in dessen Ouvertüre zu „La forza del destino“ spielt der Dirigent ein echtes kleines Drama vor, die Macht des Schicksals lässt den Schlosspark beben. Und das Schöne ist: Das Publikum bemerkt das auch, macht nicht bloß Party oder Picknick.
Trotz des Unterhalters und Berufs-Kurpfälzers Habekost, Repräsentant aus der Provinz - pardon: Provence - von Deutschland. Er hat aber durchaus recherchiert und alte Tonkunst-Lexika und Anekdotensammlungen gewälzt. Er weiß, dass Verdi in sehr ferner Zeit keine Gewerkschaft war. Und er enthüllt eine Art Neid-Debatte unter Komponisten: Richard Strauss und Gustav Mahler lästern über Verdi und Puccini, teilweise in Worten, die sie heutzutage jedem Shitstorm dieser Welt ausliefern würden. Auch wenn etwa Strauss Neid niemals nötig hatte und bereits zu Lebzeiten extrem erfolgreich war, sogar mit seiner Avantgarde-Oper „Elektra“. Während es in Schwetzingen meist Ohrwürmer aus dem französischen und italienischen Segment des Repertoires zu hören gibt.
Samtiger denn je
Bei ihrem Vortrag ist zu hören, dass auch Opernsängerinnen oder -sänger noch einmal besonders gute Mikrofonstimmen besitzen können. Zu den Glücklichen gehört Nikola Diskic, dessen Bariton über die Boxen samtiger denn je verströmt wird. Ungeheuer fokussiert dagegen kommt Jelena Kordic rüber - und mit einer Diva-haften Ausstrahlung, die noch mit 75 Metern Abstand funktioniert. Frédérique Friess punktet mit Idiomatik und fast kalligraphischen Gesangslinien. Bei Astrid Kessler und Irakli Kakhidze gibt es kleine Anlaufschwierigkeiten, aber nicht erst in ihrem Duett aus „La Bohème“ vermögen sie zu überzeugen: eine Schwelgerei mit Zwischentönen.
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Dass sich Ähnliches sogar vom böllernden Finale sagen lässt, verdankt sich wieder Alexander Soddy und seinen bestechend disponierten Nationaltheater-Instrumentalistinnen und -Instrumentalisten. In zwei hyperpopulären Ouvertüren von Suppé („Dichter und Bauer“ und „Leichte Kavallerie“) scheinen sich Wagner und Rossini zu umarmen. Und die ganze Knallerei im Schlosspark kann dem überhaupt nichts anhaben. Obwohl der Pyro-Künstler Renzo Cargnelutti die „totale Illumination“ versprochen hat und dafür schwerste Feuerwerkskaliber bis 200 Millimeter auffährt. Aber immerhin auch Partitur-gerecht verfahren will. In einigen Raketen-Tutti klappt das.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Was der Mannheimer Sommer noch leisten müsste