Literatur

Neues Buch von Hans Joachim Schädlich: „Bruchstücke“ eines Lebens

Hans Joachim Schädlich seziert kurz vor seinem 90. Geburtstag in seinen Texten den Alltag der DDR und entlarvt die Diktatur der SED.

Von 
Frank Dietschreit
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Der Schriftsteller Hans Joachim Schädlich (hier im September 2011) schreibt in seinem neuen Buch „Bruchstücke“ über seinen Alltag in der DDR. © picture alliance / dpa

Mannheim. Er hatte sich zum Doktor der Philosophie promoviert und eine Stelle als Mitarbeiter an der Akademie der Wissenschaften der DDR ergattert. Hans Joachim Schädlich hätte Karriere machen können. Doch mit der Diktatur der Einheitspartei SED hatte er nichts am Hut.

Dann fing er auch noch an, eigene Texte zu schreiben, in denen er ironisch und lakonisch den zermürbenden Alltag im realen Sozialismus sezierte und das ideologische Brimborium des Arbeiter- und Bauernstaates in seine verlogenen Einzelteile zerlegte.

Grass unterstützte Schädlich, der in den Westen floh

Die Verlage mieden seine Texte wie der Teufel das Weihwasser. Bei privaten Zusammenkünften von ost- und westdeutschen Autoren in Ost-Berlin lernte er Günter Grass kennen. Der war sofort begeistert von den Prosastücken Schädlichs und meinte euphorisch: Seit Uwe Johnson habe niemand mehr „so eindringlich, aus der Sache heraus, die Wirklichkeiten der DDR angenommen und auf literarisches Niveau umgesetzt“. Auf Vermittlung von Grass erschien 1977 im westdeutschen Rowohlt Verlag „Versuchte Nähe“, das literarische Debüt des in der DDR fortan als Staatsfeind verfolgten Autors, der, um nicht im Gefängnis zu landen, flugs das Weite und sein Heil in der Bundesrepublik suchte.

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Auch jetzt, fast 50 Jahre später, kommt Schädlich immer wieder auf diese seltsame Zeit zu sprechen, als die DDR-Bonzen wild um sich schlugen und viele Künstler in den Westen ausreisten. Kurz vor seinem 90. Geburtstag (am 8. Oktober) erinnert sich Schädlich an „Bruchstücke“ seines bewegten Lebens. In knappen Erzähl-Fragmenten ist dabei auch mehrfach von Günter Grass die Rede: von der Hilfe, die er dem mittellos im Westen ankommenden Autor gewährt, von der Freundschaft, die nach der Wende schnell zerbricht.

Kontroverse um Darstellung der DDR-Diktatur

Schädlich hatte in seinem Roman „Tallhover“ (1986) die fiktive Biografie eines Spitzels der politischen Polizei ausgebreitet, die Grass in „Das weite Feld“ (1995) aufgriff und fortschrieb. Aus Tallhover machte Grass, „im gewendeten Zustand“, einen Hoftaller und lässt den an der Wende verzweifelnden Fonty sagen: „Was heißt hier Unrechtsstaat! Innerhalb dieser Welt der Mängel lebten wir in einer kommoden Diktatur.“ Das bringt Schädlich in Rage, er schreibt an Grass: „Wie >angenehm

Von den Stasi-Opfern erzählt Schädlich in seinen „Bruchstücken“, seinen Begegnungen mit Sarah Kirsch, Jürgen Fuchs, Bernd Jentzsch, Gerolf Pannach, Christian Kunert. Oder wie Jurek Becker (der später in den Westen ausreiste und für seinen Kumpel Manfred Krug tolle Drehbücher schrieb) eine kleine Feier ausrichtete: „In der Mitte des Raumes“, schreibt Schädlich, „thronte Stefan Heym auf einem Sessel. Heym wusste von Becker, dass mein Buch ‚Versuchte Nähe‘ im Westen erschienen war. Und er wusste, dass ich einen Ausreiseantrag gestellt hatte. Er sagte zu mir: Was wollen Sie im Westen. Sie kennen sich nicht aus. Worüber wollen Sie dort schreiben? Boy loves Girl?“


Zum Buch

Hans Joachim Schädlich: „Bruchstücke“. Rowohlt Verlag, Hamburg 2025, 191 S., 24 Euro.

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