Mannheim/Frankfurt. Herr Pelham, am 24. Januar erscheint Ihr Soloalbum „Letzte Worte“. Ist das tatsächlich Ihr Karriere-Schlusspunkt?
Moses Pelham: Ja, das ist schon das Ende dieses Weges für mich.
Man kann sich schwer vorstellen, dass Sie jemals aufhören Musik zu produzieren und zu schreiben. So verwoben ist Ihr Leben mit Ihrer Kunst. Hat sich irgendetwas verändert, so dass Sie dieses Ventil nicht mehr benötigen?
Pelham: Überhaupt nicht.
Warum hören Sie dann auf?
Pelham: Ich glaube, dass das Werk das braucht. Dass ich das meinem Werk, meinen Leuten und mir selbst schuldig bin. Und ich halte nicht nur den Inhalt der Platte, sondern auch die Tatsache, dass sie sich damit beschäftigt, dass sie die letzte Platte ist, in dieser Konsequenz – für Kunst.
Die Aussage erinnert mich an eines der seltenen Interviews von Bob Dylan. Da wird er sinngemäß gefragt, ob er die Kreativquelle, aus der in den 60ern und 70ern Dutzende von Song-Klassikern sprudelten, heute noch erreichen könne. Er dachte nach und sagte – etwas melancholisch – Nein. Aber dass Ihnen keine Ideen mehr zufliegen, ist ja hörbar nicht der Fall, oder?
Pelham: Gar nicht. Im Gegenteil. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass mit der Ansage „Das ist die letzte Platte“ noch mal ganz andere Kräfte frei gesetzt wurden. Aber das sprudelte ganz krass. Eines der Stücke ist in einer Geschwindigkeit entstanden, wie ich es zuletzt vor 30 Jahren erlebt habe.

Empfohlener redaktioneller Inhalt
An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel ergänzt.
Die Wortkunst ist auf noch höherem Niveau als gewohnt. Wann fallen Ihnen Reimperlen ein, wie „Jetzt müsst´ich nur noch vor der Skyline / In deinem Beisein nach drei Wein den Main teil’n“? War Moses Pelham da am Roten Meer?
Pelham: Hm, nein. Das kann ich nicht mehr sagen. Aber das ganze Stück „Der Anfang vom Ende“ entstand sehr schlafwandlerisch.
Wie geht es nach diesem Ende für Sie weiter?
Pelham: Ich kenne die Antwort auf die Frage nicht. Dazu muss man auch sagen: Ich war die letzten anderthalb Jahre voll und ganz damit ausgelastet, diesen Schritt zu gehen. Mit dem Gedanken spiele ich schon seit sechs Jahren. Dass ein Werk, das so … auch für mich ein solcher Kampf ist und immer war …
…nicht von ungefähr hießen drei Ihrer Soloalben „Geteiltes Leid I bis III“…
Pelham: Dass dieses Werk einen, wie ich finde, speziellen Schlussstein braucht, das ist mir schon seit mindestens sechs Jahren klar. Dann geht es allein um die Frage: Wann setzt man ihn?
Und warum jetzt?
Pelham: Der Prozess ist natürlich auch von der Angst geprägt, den richtigen Moment dafür zu verpassen. Das muss man ganz klar sagen.
In der Konsequenz erinnert mich das an den Heidelberger Rapper Torch, der nur ein einziges Soloalbum veröffentlicht hat. Er erklärte mir das so: Ein Nachfolger sei nicht nötig gewesen, weil niemand die Fragen beantwortet habe, die er auf „Blauer Samt“gestellt hat…
Pelham: Ich verstehe das nicht: Er hat Fragen gestellt, die niemand beantwortet hat?
Ich interpretiere es so, dass ihm niemand auf demselben Level künstlerisch geantwortet hat im Hip-Hop – so dass Torch darauf hätte reagieren müssen…
Pelham:Finde ich schon geil als Antwort …gut, für mich wurde Musik auch irgendwann ein Weg, um mit Dritten zu kommunizieren. Da kam auch etwas zurück. Aber in allererster Linie war es ein Weg, sich mit mir selbst auseinanderzusetzen.
Apropos Torch: Nachdem ich die HR-Doku „Dichtung und Wahrheit“ gesehen habe, schwant mir, dass Sie als Frankfurter Hip-Hop-Pionier den Mythos, Deutsch-Rap sei in Heidelberg aufs Gleis der Geschichte gesetzt worden, womöglich ganz anders sehen. Wer war denn wirklich als Erster da?
Pelham (atmet…): Ich weiß es nicht.
Anders gefragt: Was sagt Ihnen die Schlagzeile „Heidelberger Hip-Hop wird Immaterielles Weltkulturerbe der Unesco“?
Pelham: Dass es dort Leute gibt, die sich um so etwas kümmern, und bei uns halt nicht. Auch vonseiten der Stadt Heidelberg, die diesen Wert erkennen. Der Vorwurf an meine Stadt ist, dass da niemand ist, der das tut. Viel wichtiger als der Mythos von der Erfindung des Deutsch-Rap: Mich schmerzt, dass jemand wie We-Wear-The-Crown-Gründer Eddie Action in Frankfurt nicht gewürdigt wird. Natürlich hat jeder in Frankfurt, der etwas davon versteht, Respekt vor Eddie. Da ist alles gut. Aber eine kleine Eddie-Action-Straße stünde meiner Stadt sicher gut. Wissen Sie was ich meine?
Sie sind Träger der Frankfurter Goethe-Plakette. Aber Torch bekam in Heidelberg neben einer Auszeichnung gleich eine ganze Festwoche zum 50. verehrt. Wie sind denn Ihre Pläne in Frankfurt, wenn sie im Februar 2031 60 werden?
Pelham (lacht laut): Ich habe keine!
Auf „Letzte Worte“ sind sehr viele Ihrer wichtigen Mitstreiter über die Jahrzehnte zu hören. Warum nicht Sabrina Setlur?
Pelham: Das werde ich oft gefragt. Auch: Wo ist Azad? Aber das funktioniert so nicht. Ich will ja keine Abschiedsfeier machen. Das ist kein Spaß, die Platte ist mein völliger Ernst. Todernst. Wie ich auf „Der Anfang vom Ende“ sage: „Für mich is´ das hier ernst wie Eddie Actions Todestag“. Der Track muss es wollen! Das Lied sagt: Ich brauch’jetzt den oder die hier. Und nicht: Wir kommen jetzt alle zusammen, und es ist Party. Das ist ein Anspruch, den ich zu keinem Zeitpunkt hatte.
Die ersten beiden Songs brauchten offensichtlich die Stimme von Xavier Naidoo. Wenn das keine Archivaufnahmen sind, wären das die ersten musikalischen Lebenszeichen des Mannheimers seit seinem Entschuldigungsvideo. Wann hat er diese Parts eingesungen?
Pelham: Na, im letzten Jahr – 2024.
Haben Sie mit ihm noch mal Größeres vor?
Pelham: Hahahahaha, netter Versuch…im Moment habe ich gar nichts vor.
Wir leben ja in einem gesellschaftlichen Reizklima, in dem viele Leute sehr extrem reagieren und Feindbilder pflegen. Auf „Letzte Worte“ hört man Xavier Naidoo und Ihre alten Freunde von den Böhsen Onkelz – Angst vor Shitstorms haben Sie gar nicht, oder? Das sind zwei rote Tücher auf einmal für manche Leute…
Pelham: …. das liegt ja an diesen Leuten.

Empfohlener redaktioneller Inhalt
An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel ergänzt.
Nun, Naidoo hat zwischendurch schon Dinge propagiert, die zur Spaltung unserer Gesellschaft beigetragen und geholfen haben, die Grenzen des Sagbaren zu verschieben. Gegen vergleichbare Leute wie Attila Hildmann oder Michael Wendler haben Sie 2021 das Lied „Lappen wie du“ geschrieben, die anders als Naidoo nicht im Video auftauchen. Wie findet Ihr Freund Xavier den Song und warum fehlt er in diesem animierten Video?
Pelham: Da haben wir nicht drüber gesprochen. Eigentlich ist die Antwort auf die letzten beiden Fragen: Weil er mein Bruder ist. Darum ist mir ein bisschen wurst, was irgendjemand über seine Teilnahme an dieser Platte sagt.
„Sound Good“ hört man als Heidelberger als mögliche Antwort auf „Bitte Wer?“ von DJ Stylewarz u.a. mit Torch und D-Flame – auch mit dem Led-Zeppelin-Riff aus „Whole Lotta Love“. Ist das Absicht? Vermutlich nicht ...
Pelham: Bitte wer? (lacht laut) Das ist keine Absicht. Und es ist kein Sample. Die Gitarre spielt Ali Neander.
Zur Person
Moses Pelham wurde am 24. Februar 1971 in Frankfurt geboren. Er war schon als Teenager Teil der aktiven Hip-Hop-Szene am Main, der bundesweite gelang ihm 1993 mit dem Rödelheim Hartreim Projekt.
Auf dem Label 3P forcierte der Produzent und Rapper u.a. die Karriere von Sabrina Setlur oder Xavier Naidoo. Wegen dessen Plänen mit den Söhnen Mannheims gab es einen langen Rechtsstreit, die Freundschaft ruhte bis zur Versöhnung 2012.
Sein neuntes und letztes Soloalbum „Letzte Worte“ erscheint am 24. Januar.
Da droht aber kein neuer Konflikt wie mit Kraftwerk? In „Sound Good“ rappen Sie ja passend „Ich hab’ Rechtsstreitigkeiten, die sind älter als du“…
Pelham: Das würde mich wundern.
Sprechen wir über Hip-Hop-Szene in und um Mannheim – da gab es lange nur Pal One und mit Abstrichen Sprachtod. Jetzt sind Apache 207, OG Keemo, Hoodblacq oder Muso nicht nur kommerziell erfolgreich – die beiden Erstgenannten sind auch originäre Künstler, also keine Abziehbilder von irgendwem. Was hat sich verändert, dass hier plötzlich so viel passiert?
Pelham: Pal One ist ein sehr, sehr guter Rapper. Bei Apache und OG Keemo stimme ich ebenfalls zu. Aber woran das liegt: keine Ahnung.
Jetzt vermarkten Sie das Album „Letzte Worte“ noch eine Weile. Was passiert am Tag danach –wenn Sie das Leid nicht mehr teilen können wie bisher?
Pelham: Da bin ich auch sehr, sehr gespannt …ich habe keine Vorstellung davon, wie das werden soll.
Autos sammeln, Rallyes fahren?
Pelham: Das bestimmt nicht. Da ist schon eine Art und Weise sich selbst und die Welt zu entdecken, die irgendwann wichtig sein kann.
Vielleicht ein Theologie-Studium mit Versenken in alte Schriften?
Pelham: Das könnte ich mir glatt vorstellen.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/kultur_artikel,-kultur-moses-pelham-ueber-sein-letztes-album-und-xavier-naidoo-_arid,2279618.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/heidelberg.html
[2] https://www.mannheimer-morgen.dehttps://www.mannheimer-morgen.de/dossiers_dossier,-_dossierid,80.html
[3] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html