Interview

Heidelbergs Deutschrap-Pionier Torch über seinen Geburtstag: „Mit 50 wirst du selbst ein Klassiker“

Von 
Jörg-Peter Klotz
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Am Wochenende feiert der Heidelberger Hip-Hop-Wegbereiter Torch seinen 50. Geburtstag mit einer Festivalreihe. © Britta Pedersen/dpa/Picture Allicance

Heidelberg. Torch, wie geht es Ihnen mit einer so runden Zahl wie 50 in einer so seltsamen Zeit?

Torch: Zur runden Zahl: Hip-Hop wird ja als Jugendkultur gesehen, als jung, unvernünftig und unreif verortet. Da ist es natürlich spannend, als Hip-Hopper älter zu werden. Der größte Knackpunkt waren die 40.

Inwiefern?

Torch: Als ich 2011 „40 Jahre Torch“ gemacht habe, hatte ich mir vorher auch die Frage gestellt: „Verstecke ich mich im Keller, sage niemandem etwas von dem Geburtstag, mache auf ewig jugendlich oder tue ich einfach so, als ob Älterwerden auch eine Errungenschaft ist, dass ich damit etwas geleistet hätte?“ Letzteres war in der Hip-Hop-Szene definitiv neu. Es gibt zwar schon diesen Respekt, dass man Oldschool ist. Aber in der Unterhaltungsbranche an sich gehört man noch schneller zum alten Eisen, zumindest in Deutschland. Und als Hip-Hopper hast du auch kein Rollenmodell: Es gibt alternde Schlager-, Klassik- oder Rockmusiker und man weiß nicht: Was kannst du auf dich übertragen? Wie altert man als Hip-Hopper – und das vor allem würdevoll? Superbeispiele aus den USA kannst du nur bedingt übertragen, das ist ein Problem. Andere, die vor mir 40 oder 50 geworden sind, haben so getan, als wären sie extrem jung. Dafür bin ich zu real. Das war schon immer mein Glück, mein Problem und mein Ding. Ich bin, wie ich bin: Deutsch-Haitianer, ich komme aus Heidelberg und mache Hip-Hop.

Wie kamen Sie durch die Pandemie?

Torch: Auch das passt zum Älterwerden. Denn damit rücken Themen wie Absicherung und Zukunft näher, werden zur greifbaren Realität. Dann kommt Corona, was Planung für einen selbstständigen Künstler unmöglich gemacht hat. Ich hatte nie einen anderen Beruf, als Hip-Hopper zu sein – keine Ausbildung, das Abitur abgebrochen, nichts studiert. Ich habe keinen Beruf gelernt – außer ich selbst zu sein: Selbstverwirklicher. Seit ich 18 bin, konnte ich extrem gut davon leben. Seit Corona herrscht völlige Unklarheit, es gab einen kompletten Einbruch für meine Konzerte und Auftritte. Das war auch spannend, man musste sich neu erfinden.

Wie das?

Torch: Ich war ja als eher arrivierter Künstler in einer privilegierten Situation, mache ja auch ein Label, es gibt Finanzen, die ich investieren kann. Aber stelle ich jetzt Tonträger her, die sich nicht verkaufen, weil es keine Auftritte gibt und die Läden zu sind? Das war erstmal ein Fluch, dann aber auch ein Segen: Denn ich war ohne Witz seit meinem 18. Lebensjahr permanent unterwegs: körperlich, geistig, ohne Pause. Das war mir gar nicht klar. Durch den Stillstand habe ich erst die Bewegung gespürt, die vorher permanent da war.

Wen haben Sie in dieser Zwangspause kennengelernt?

Torch: Tatsächlich mich selbst. Wo fange ich da an? Vor 20 Jahren habe ich das „Blauer Samt“-Album gemacht, das nicht nur sehr erfolgreich war, sondern auch bis heute eine Substanz darstellt für die Szene und auch weiterhin von den jüngeren Generationen gehört wird.

Ein Meilenstein...

Torch: So würde ich es nicht nennen. Aber das Album stellt etwas dar. Ich hatte nie die Ruhe, meinen ursprünglichen Plan zu realisieren, auch das „Blauer Samt“-Buch zu schreiben. Das sollte eigentlich mit der Platte erscheinen.

Warum klappte das nicht?

Torch: Die Idee war genial, aber auch größenwahnsinnig. Ich habe das überhaupt nicht hingekriegt und dann ungefähr zehn Jahre dafür gebraucht. Es ist die Monografie zum Album.

Das gibt es nicht häufig im Rap. Wie sieht der Inhalt aus?

Torch: Ich denke, dass es eine Weltpremiere ist. Vielleicht gibt es irgendwo auf Usbekisch eine Monografie zu einem Rap-Album, aber sonst? Jedenfalls nicht vom Künstler selbst. Es ist eine Erläuterung der Texte, eine Einführung in die Philosophie und Methodik. Dazu gibt es ein paar Anekdoten zur Entstehung. Es ist definitiv keine Autobiografie!

Warum eigentlich nicht?

Torch: Das wollte ich nie machen. Das finde ich nicht interessant. Mir gefallen auch keine Interviews und ähnliche Formate. Dabei lese ich gerne Autobiografien. Aber selbst eine zu schreiben, finde ich katastrophal. So sehe ich mich selbst nicht.

Warum hat es mit dem Buch dann bis jetzt gedauert?

Torch: Als „Blauer Samt“ 2011 wiederveröffentlicht wurde, hat es wieder nicht geklappt. Damals war das Manuskript fertig, aber damit war es noch kein Buch. Dafür war die Corona-Pause jetzt gut: Ich konnte es in Ruhe layouten, mir einen Vertriebsweg überlegen, ohne dass immer wieder das nächste Konzert wichtiger war. Es erscheint wie meine Platten auch bei mir, in meinem Musikverlag Rotary Head.

Die Inhalte sind dann ja 20 Jahre alt. Mussten Sie viel umschreiben?

Torch: Das ist das Witzige: Es ist alles noch gültig gewesen. Neu aufgenommen habe ich nur die Reaktionen auf das Album.

Es gibt unter anderem ein großes Geburtstagskonzert im Schloss. Was ist da geplant?

Torch: Vor allem ist es eingebettet in eine einwöchige Festivität. Ich habe meinen Geburtstag schon immer eine Woche lang gefeiert, nie nur einen Tag. Das ist wahrscheinlich mein haitianischer Background, mit dehnbareren Zeitbegriffen. Das ist für mich nicht exotisch, sondern Standard. Ich bin ja mehrkulturell aufgewachsen, keine Ahnung, wie man das heute korrekt formuliert: deutsch, haitianisch, frankophon.

Was passiert inhaltlich bei "50 Jahre Torch"?

Torch: Ich muss immer wieder auf den 40. zurückkommen. Da wurde es ja etabliert, dass es quasi im öffentlichen Raum stattfindet. Dabei kam es zu einer Art Bruch oder Eklat mit der Stadt – für mich. Ich bin hier aufgewachsen, immer so ein bisschen im Schatten der Stadt, der Aufmerksamkeit. Die Hauptstraße, das ist meine Welt.  Dann interessiert sich Heidelberg aber nicht für Dich, sondern viel eher für Touristen. Oder Studenten. Wir haben uns unseren Lokalpatriotismus davon aber nicht verderben lassen wollen. Wir hatten halt unser eigenes Heidelberg, fernab von diesen Bildern. Teilweise auch mit ihnen.

Das war in Ihrem Fall aber keine Frage des sozialen Milieus?

Torch: Ich war ein Akademikerkind. Für mich war diese Uni-Welt völlig normal. Barack Obamas Halbschwester Auma hat bei uns zuhause gelebt. Ich habe mit ihr Breakdance getanzt. Aber auch die ganzen Studentendemonstrationen mitbekommen, die mit Tränengas aufgelöst wurden – das ist Teil meiner Kindheit. All das war schon da, auch die Nachwirkungen des Sozialistischen Patientenkollektivs. Gleichzeitig gab es aber auch immer diese Mega-Piefigkeit, etwas wahnsinnig Provinzielles. Und wenn Du 40 wirst, ziehst Du eine Bilanz: Vieles war großartig, aber warum habe ich mit Heidelberg so eine … nicht Hassliebe, aber so eine distanzierte Liebe?

Wenn man von Sportlerinnen und Wirtschaftsmagnaten absieht, sind Sie vielleicht das wirkungsmächtigste noch lebende Kind der Stadt. Hat Heidelberg das in Ihren Augen also nicht entsprechend gewürdigt bislang  – mal abgesehen von der gerade angekündigten Verleihung der Richard-Benz-Medaille?

Torch: Ja und nein. Von den Leuten, die mit der Kultur aufgewachsen sind, bekommt man das schon zu spüren. Es gibt Leute in der Stadt wie den langjährigen Akademie-Präsidenten Klaus Staeck oder Molli Hiesinger vom Frauenzentrum, die haben das niemals in Frage gestellt. Diese Wahrnehmung war immer da. Die ehemalige Oberbürgermeisterin Beate Weber hat uns gekannt und „supportet“, aber ich glaube, der Großteil der städtischen Beamtinnen und Beamten hatte lange nicht begriffen, was wir tun und was Hip-Hop für einen Stellenwert hat, auch imagemäßig für die Stadt. Die Verleihung der Richard-Benz-Medaille ist sicher ein Resultat der Übersetzungsarbeit, die ich mit meinem Team vor allem im Rahmen der Etablierung des Hip-Hop-Archivs in den letzten Jahren geleistet habe. Ich freue mich sehr darüber und sehe es auch als Bekenntnis der Stadt zur Hip-Hop-Kultur allgemein.

Wie ist der Stand beim Hip-Hop-Archiv, für das 5000 Stücke aus Ihrem Bestand ans Stadtarchiv gegangen sind?

Torch: Das hat alles miteinander zu tun. Gibt es in Heidelberg heute überhaupt ein Museum auf internationalem Niveau? Das ist die Frage, die ich mir auch gestellt habe. Immerhin haben wir erreicht, dass wir als Berater ernstgenommen wurden und Kooperationen eingehen konnten. Mit dem Stadtarchiv zusammen archivieren wir Exponate und suchen dabei nach neuen Wegen.

Wie schon zu Beginn mit Advanced Chemistry?

Torch: Wir versuchen generell, das positive Image der Stadt bewusst anzunehmen. Früher gab es auch Gewalt in Heidelberg wie heute in der Unteren Straße. Die Frage ist, ob das den Charakter der Stadt prägt. Der positive Ansatz war ungewöhnlich in der Hip-Hop-Szene, die extrem straßenorientiert und auch von Amerika aus nicht immer einfach war. Das ist ein Punkt, den viele nicht begreifen: Wenn wir als Rapper mit Advanced Chemistry eine gehobene Sprache zu rocken versuchen und die mit der Straßensprache mischen, dann ist das ein bewusster Vorgang. Und liegt nicht daran, dass wir Schnösel und nicht „Street“ genug sind. Auch die Straßenrapper entscheiden sich bewusst für ihren Slang. Das ist, wie wir die Welt sehen. Wir wollten mit Advanced Chemistry die Brücke zwischen diesen Welten sein. Das war „Blauer Samt“, das kann auch so ein Hip-Hop-Archiv sein, das hoffentlich irgendwann Bücher, Ausstellungen und Museen hervorbringt. Aber das können wir nicht allein. Da müssen die Stadt und die anderen Heidelberger andocken. Das ist übrigens eine Superüberleitung zu meinem neuen Mixtape.

Es heißt „Klassik, Breaks & Beats“ und entstand unter anderem mit der Heidelberger Philharmonie. Ein weiter Schritt Ihrer quasi musikarchäologischen Hip-Hop-Forschungsreise?

Torch: Der Gedanke dahinter war: Mit 50 wirst du selbst zu einem Klassiker. Klassik, und die fast uniformistische Art, wie sie sich präsentiert, sind das, was am meisten von Hip-Hop weg ist.

Wobei ich immer wieder feststelle, dass Hip-Hop neben elektronischer Musik die einzige Pop-Stilistik ist, bei der in Kombination mit Klassik tatsächlich etwas Neues entstehen kann. In Rock und Pop liefern Orchester ja meistens nur mehr oder weniger kitschige Klangtapeten… gerade ist der Rapper Alligatoah nur mit einem Kammerstreicherensemble aufgetreten. Das war allein rhythmisch hochinteressant.

Torch: Das liegt an Hip-Hop an sich. Daran, dass er keine klare Besetzung oder Instrumentierung hat. Wir tun so, als ob er das hätte – weil der Wunsch da ist. Das ist der Gag daran, darin liegt ungeheure Freiheit. Und es ist für uns als Hip-Hop-Forscher ein unheimlich wichtiges Gebiet. Das ist ein bisschen wie die sprachwissenschaftliche Betrachtung von Kreolisch, wenn man nachvollziehen will, wie Sprachen sich entwickelt und vermischt haben. Irgendwann weiß man nicht mehr, welche Sachen dominant waren und was sich wie und warum durchgesetzt hat. Wenn du nah dran bist, kannst Du’s sehen – und Hip-Hop ist noch ein gigantisches Experimentierfeld. Das hört man auch auf dem Mixtape. Das ist die Brücke zum Brückenschlagen. Das interessante an der Platte ist nicht nur, dass es um Klassik geht. Sondern, dass die Klassikwelt,  die subventionierte Hochkultur auf der einen Seite, und auf der anderen die Straßenkultur Hip-Hop wie zwei Pole sind – die ich aber in mir sehe. Als 50-Jähriger, der ruhiger wird, mehr in sich geht und selber zum Klassiker wird, wollte ich den Schritt wagen, diese CD zu machen. Es ist ein DJ-Mixtape, auf dem ich verschiedene Sachen zusammenmixe.  Es ist eine gute Brücke: Leute, die Hip-Hop nicht verstehen, können sich ihm über die Klassik-Referenzen nähern. Aber genau so auch umgekehrt. Wer Klassik nicht funky findet, kann hier einen Zugang finden.

Geht das auch live, etwa beim Heidelberger Frühling?

Torch: Ich warte auf den Anruf.    

Wären Sie nicht der zwangsläufige Gründungsdirektor eines Heidelberger Hip-Hop-Museums?

Torch: Ja. Im nächsten Schritt wollen wir ein Hip-Hop-Institut gründen. Auch, um zu eruieren, ob so etwas wie ein Museum möglich ist. Ob ich das dann leiten müsste... vielleicht muss man da neue Rollen finden. Man braucht ein Mandat, vor allem Geld – die Expertise ist da. Es gibt zum Beispiel jetzt die erste Wissenschaftszeitschrift mit Blick auf Hip-Hop, das „Global Hip-Hop Journal“. Da bin ich Advisory Board Member. Auch im Universal Hip-Hop Museum in New York bin ich Beiratsmitglied. Dessen Archivdirektor Adam Silverstein kommt jetzt zum Empfang. Es gibt und entwickelt sich unheimlich viel, man wird in der ganzen Welt eingeladen, um über sein Hip-Hop-Leben zu reden. Das finden die Leute faszinierend. Selbst in New York habe ich Vorträge an der Universität gehalten. Nicht, weil es dort nicht genug Hip-Hopper gibt. Für die Amerikaner ist das extrem interessant, weil so viel Substanz drin ist. Ich weiß nicht, ob das hier jeder mitbekommt. Deshalb habe ich die Angst, dass die Stadtbehörden, aber auch die Uni es nicht ganz erkennen und erst drauf springen, wenn es ein bisschen zu spät ist.

Sie könnten stattdessen ja in Mannheim an die Popakademie andocken?

Torch: Wir haben mit Udo Dahmen auch schon zusammengearbeitet. Meines Wissens war das Hip-Hop-Symposium, das ich 2019 mit Andreas Margara kuratiert habe, die Veranstaltung mit der meisten Resonanz überhaupt an der Popakademie. Leider wurde nichts Konkretes mehr daraus.

Ihr einziges Soloalbum „Blauer Samt“ wurde vor Ihrem Geburtstag 20 Jahre alt und klingt fast wie eine Abschiedsplatte, wenn man sie heute hört.

Torch: Weil es darum so viel um Tod geht?

Auch. Aber Sie haben damit Ihre Künstleridentität als Torch quasi  zur Ruhe gesetzt, zumindest als Recording Artist. War mit „Blauer Samt“ alles gesagt?

Torch: Es ist ja auch ein Dialog. Andere müssen auch etwas sagen. Vielleicht warte ich auf den richtigen Impuls. Wenn man eine Frage stellt und nicht die richtige Antwort bekommt, warum sollte man dann noch mal eine Frage stellen. Vielleicht wartet man dann?

Aber stellt eine Zeit, in der Rassismus und Antisemitismus offen und ungeniert an die Öffentlichkeit treten, nicht gerade genug Fragen an einen Künstler wie Torch? Sie wären ja wichtig als Stimme. Löst das keine künstlerische Reaktion bei Ihnen aus?

Torch: Ganz im Gegenteil. Gerade weil das alles so omnipräsent ist. Der Trigger bei „Fremd im eigenen Land“ oder „Operation §3“ war ja gerade, dass damals niemand was gesagt hat. Damit war klar: „We gotta say something“. Für die Nachwelt. Jeder redet momentan pausenlos – da nochmal reinschreien in den Lärm? Finde ich nicht so attraktiv. Für mich ist diese Monografie zu „Blauer Samt“ sehr wichtig. Ich habe da lange auf Resonanzen gewartet, aber die waren bis jetzt sehr oberflächlich. Wenn dazu alles gesagt worden wäre, hätte ich das Buch nicht mehr schreiben müssen. Ich denke, es ist wichtig für Hip-Hop in Deutschland an sich, dass Rapper sich selbst erklären und Einblick in ihre Methodik geben. Dass es nicht nur den fremden, den zuschreibenden, den kolonialen Blick von Außenstehenden gibt. Man muss sich selbst erklären und nicht nur Rapper bleiben, sondern – vielleicht – Philosoph – werden. Um Rap für sich zu verstehen und ihn für andere verstehbar zu machen. Deswegen ist das Buch doppelt wichtig: Für mich als Künstler und für Hip-Hop an sich. Dass man sich nicht immer nur wiederholt und nicht jedes Jahr oder jede Woche eine neue Platte machen muss. Wieviel Platten muss man denn bringen?  Vielleicht ist es das richtige Konzept, nur eine zu machen? Vielleicht auch gar keine.

Klingt nicht so, als würden Sie die Massen von neuem Deutsch-Rap auf Spotify und Co. verfolgen?

Torch: Was viele nicht wissen: Ich bin zwar Rapper, aber ich habe nie Deutsch-Rap gehört. Man konnte ja erst mit uns Fan davon werden. Die Sachen davor habe ich mit meinen Mixtapes „German 80s Hip Hop 1 & 2“ wissenschaftlich erforscht. Das ist das, was ich der Uni erklären muss: Es ist nicht nur eine wissenschaftliche Arbeit, wenn sie geschrieben ist.

Sind Sie zufrieden mit der gesamtgesellschaftlichen Performance von Hip-Hop? Oder hat Ihre Kunstform ihr positives politisches Potenzial verkauft?

Torch: Ja und nein. Mit dem Mainstream identifiziere ich mich zum größten Teil nicht. Das ist aber auch eine andere Generation, mit einem anderen Selbstverständnis und einer anderen Realität. Als wir angefangen haben, konnte man kein Geld verdienen. Wir haben den Markt erfunden und uns hart erkämpfen müssen. 300 Leute zu finden, die eine Schallplatte von uns kaufen wollten, war Knochenarbeit – körperlich und geistig. Und es war Pionierarbeit. Du hattest keine Ahnung und musstest ganz schnell noch cleverer sein, als die Industrie, die schon existierte. Bei vielen Leuten, die sich für Hip-Hop entscheiden, ist der Profit das Leitmotiv. Das ist zwar legitim, stand aber für uns nie an erster Stelle. Gleichzeitig gibt es unglaubliche Entwicklungen: Es gibt in Heidelberg Sprühdosen-Firmen, die in alle Welt exportieren und durch unsere Hip-Hop-Schule gegangen sind. Dieses Fundament sichtbar zu machen, ist die Herausforderung.

Der Politgrafiker Klaus Staeck war so eine Art Mentor für Sie. Tauschen Sie sich heute noch aus?

Torch: Ich habe Graffiti gemalt, als ich jung war. Er hat diese Plakate gemacht und war sehr bekannt. Als ich aufgewachsen bin, gab es relativ wenig Erwachsene, die sich dafür interessiert haben, was wir gemacht haben. Deine Eltern wollen nicht, dass du Graffiti malst, Du wirst überall weggescheucht. Wenn dann jemand kommt, der viel älter ist und Interesse zeigt, Verständnis hat und Expertise – dieser Ansatz auf einer gewissen Augenhöhe und mit Respekt war das, was wir uns schon früher von der Stadt gewünscht hätten.

Ist das Sprayen auf frei gegebenen Flächen, das es heute gibt, für einen Graffiti-Klassiker wie Sie dasselbe?

Torch: Das war nie dasselbe. Es geht auch nicht um die Legalisierung von illegalem Graffiti. Jeder versteht die Spielregeln. Die waren immer allen klar. Aber du kannst keine Stadt wie Heidelberg sein, mit einer weltweit anerkannten Graffiti-Szene und inzwischen einem Urban Art Festival – damit man es bloß nicht Graffiti nennt, und Leute von der Polizei anhalten lassen, wenn sie an legalen Wänden sprayen. Das ist der Punkt. Da muss es ein klares Statement geben: Wir bekennen uns zu Hip-Hop. 2021 geht es nicht anders: Du kannst dich sonst nicht mit Hip-Hop schmücken. Du kannst ihn aber auch nicht verstecken. You gotta do it right. Wir sind ja keine Kids mehr, wir sind 50! 

Ressortleitung Stv. Kulturchef

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