"Ja, ja“, rufe ich aus dem Keller und gehe die Treppe schneller hoch, als ich es sonst tue. Vermeiden Sie bei großer Hitze Anstrengungen! Zwar ist die Innentemperatur angenehme 25?, trotzdem halte ich mich an die Devise. Als es klingelte, hatte die Wanduhr fünf gezeigt. Und bevor meine Schwiegertochter sich in Bewegung setzen konnte, habe ich ihr signalisiert, dass ich das übernehme. Schließlich soll sie den Kleinen in Ruhe stillen.
Ich öffne die Tür einen Spalt. Vor mir stehen ein Mann und eine Frau in Uniform: Eine helle Leinenhose, kombiniert mit einem weißen Hemd. Die Aufdrucke ihres Amtes sind jeweils in Brusthöhe erkennbar. Pünktlich zur zweiten Arbeitsschicht stehen sie vor mir. Auch wenn ich den Grund ahne, warte ich, bis sie ihn von sich aus nennen. „Guten Tag, wir haben das Grün vor Ihrem Haus gesehen,…“ beginnt er, um mitten im Satz aufzuhören. „Grün ist meine Lieblingsfarbe“, entgegne ich gelassen.
Christine Kanold
Beide zücken ihre Ausweise, und ich studiere sie eingehend. Die Frau ist in den Zwanzigern. Ein junges Ding, das die Füße nicht stillhalten kann und ins Haus möchte. Aber ich schaue sie so lange an, bis sie kapiert hat, dass ich das Foto auf ihrem Ausweis erst mit ihrem Gesicht in natura vergleichen kann, wenn sie freundlicherweise ihre Sonnenbrille abnimmt. Der Mann hat einen dunklen Teint, kurz, krause Haare und eine normale Brille auf der Nase. Seine ruhige, zurückhaltende Art nimmt ihn für mich ein.
„Ist Ihnen aufgefallen, dass die anderen Häuser in Ihrer Nachbarschaft nicht grün sind.“ - „Durchaus.“ Schließlich bin ich nicht farbenblind und außerdem gespannt, wie lange er es durchhält, um das eigentliche Thema zu kreisen. „Nur Ihr Haus ist es. Wir vermuten, Sie haben Ihre Pflanzen gegossen.“ - „Ich mag keine Trockenblumen.“ Und die künstliche Alternative schon gar nicht. Das Niveau unseres Gesprächs gefällt mir nicht, dennoch ist es interessant, wie kreativ der städtische Bedienstete mit Smalltalk beginnt. „Sie gießen Ihre Pflanzen?“ Natürlich. „Ja.“ Es fällt mir schwer, meinen Ton zu mäßigen. „Womit?“ Ich starre ihn entgeistert an. „Mit Wasser?“ - „Wir sind hier, weil wir eine Anzeige wegen Wasserverschwendung erhalten haben.“ Solche Verbrecher jagen wir, ergänze ich für mich.
Missmutig blicken sie meinen mit Blütenpracht bestückten - weil gut bewässert - Vorgarten an. Erleichterung meinerseits. Endlich ist er zum Punkt gekommen. Als ich gegenüber am Küchenfenster hinter den Gardinen eine Bewegung wahrnehme, muss ich unwillkürlich schmunzeln. Da sie ihren Besuchsgrund geäußert haben, lasse ich die beiden vom Wasseramt hinein. Während sie sich in meinem halb verdunkelten und ordentlichen, weil unbewohnten Wohnzimmer umsehen, hole ich Gläser und die Wasserkaraffe aus dem Kühlschrank. Nichts zu trinken anzubieten, wäre vor zwanzig Jahren unhöflich gewesen, jetzt kann es eine Strafe nach sich ziehen, wenn man auf sein Gegenüber diesbezüglich nicht achtgibt. Mein Messgerät am Fenster zeigt 38? Außentemperatur an. Hier drinnen ist es dagegen angenehm kühl, trotzdem halten wir uns als Familie meist im Keller auf.
„Ihre Klimaanlage ist aber leise“, wundert sich die junge Frau. „Ich habe keine.“ - „Wie?“ - Nur nicht die Augen verdrehen, denn die jetzige Generation kann nichts dafür, dass das Wissen um alternative Möglichkeiten der Hauskühlung nicht bei ihr angekommen ist. Wenn ich darüber nachdenke, wie sehr die Haushaltskürzungen damals die Schulen und Bildungseinrichtungen betraf, Handwerker gesucht wurden und Gewerke ausstarben, dann wundert es mich nicht, sondern ich ärgere mich im Nachhinein, dass wertvolles Wissen verloren gegangen ist. „Das Haus ist mit Lehm verputzt. Die Bäume auf der Nordostseite und die grüne Wand auf der Südseite spenden jetzt im Sommer Kühlung.“- „Sie haben Ihr Haus zum Teil grün gestrichen? Ich dachte, weiß ist am besten, denn schwarz zieht die Hitze an.“ Anscheinend ist etwas Bildung angekommen. Doch unter einer grünen Wand verstehe ich etwas anderes.
„Kommen Sie.“ Ich führe sie zur Terrassentür und ziehe mit der Hand den Rollladen nach oben. „Keine Automatik?“ - „Ich wollte bei Stromausfall nicht eingesperrt sein“, erwidere ich ihr. Wegen der vielen Klimaanlagen und Wärmepumpen stand die Stromversorgung zeitweise auf der Kippe. Die Terrasse ist zu einer Seite offen, sodass man einen Blick auf die Pflanzenpracht im hinteren Bereich genießen kann. Auf der anderen schließt sich der Schwimmteich an. „Eins der Wasserreservoirs“, erkläre ich das Erstaunen bemerkend. Pools sind purer Luxus. Für zusätzliche Kubikmeter Wasser sind höhere Preise zu zahlen. Bestehende Becken wurden abmontiert, oder wie bei meinem Bruder zu Zisternen umfunktioniert.
„Ich muss eine Probe nehmen“, sagt die Bedienstete, holt ihre Umhängetasche nach vorne und greift nach einer kleinen Glasdose. Ich freue mich, dass die vom Amt sich von den Plastikbechern verabschiedet haben. „Das Wasser wird von den Pflanzen gereinigt.“ Ich zeige auf die Pflanzenpracht neben dem Schwimmbereich, aber das scheint sie nicht zu interessieren. Ich zucke die Schultern. Ihre App wird ihr bestätigen, dass es sich nicht um Leitungswasser handelt. Darauf vertraut sie wohl mehr als auf den gesunden Menschenverstand. Die App piept. „Regenwasser?“ Der Mann überprüft die Daten und blickt sich um. Der Schwimmbereich ist überdacht, und geregnet hat es seit Wochen nicht mehr. „Durch den letzten Starkregen?“ Ich erkläre, dass das Wasser sich seit Jahrzehnten darin sammelt. Er scheint beeindruckt.
Beiden zeige ich nacheinander die rund um das Haus verteilten Zisternen. Meist sind sie durch bauliche Veränderungen kaschiert oder liegen hinter einer Hecke versteckt. Jedes Mal nimmt die junge Frau eine Probe. Da es temperaturtechnisch allmählich angenehmer wird, gehe ich mit ihnen um meine grüne Wand herum. Der Bedienstete, er muss in den Vierzigern sein, tritt näher und betrachtet an einer Stelle die drei Meter hohen Holzlatten, die zwischen den Himbeer- und Brombeerpflanzen zu sehen sind und das stabile Grundgerüst bilden. „Interessant.“ Das Haus, sein Garten und die Wasserstationen haben in ihm einen Bewunderer gefunden. Doch er hat seinen Auftrag nicht vergessen.
„Wo ist Ihr normaler Wassertank?“ - „Da müssen wir in den Keller.“ Ich führe sie zurück ins Wohnzimmer und die Kellertreppe hinunter, die ich vorher schnaufend hoch gerannt war. Der Tank steht im Vorratskeller auf der Seite, wo der Wasseranschluss von der Straße ins Haus kommt. Der Mann schaut in seinen Unterlagen nach, wie viel Kubikmeter wir beziehen dürfen und seit wann. Seine Kollegin nimmt wieder eine Probe und ist mit kennzeichnen beschäftigt, während er irritiert auf seinem Tablett herumstreicht.
„Nach unseren Unterlagen haben Sie sich erst letzte Woche bei unserem Wasserwerk angemeldet, aber sie wohnen seit Jahrzehnten in dem Haus. Von wo haben Sie vorher ihr Wasser bezogen?“ Bei nur einem Wasseramt? „Regenwasser.“ Meine Antwort muss er erst einmal verdauen, obwohl es dieselbe ist wie vorhin auf seine Frage nach dem Füllen des Schwimmteichs. Die junge Frau verzieht das Gesicht: „Sie haben von Regenwasser gelebt?“ Regenwasser ist kein Trinkwasser.
„Wir haben eine Anlage, die das Wasser filtert und reinigt.“ Ich deute auf den Raum hinter ihnen, in dem große Tanks mit Rohren verbunden sind. „Beeindruckend. Darf ich?“ Auf mein Nicken hin studiert er die Verbindungen. „So etwas habe ich mal in einer Doku über Filterung von Brunnenwasser in Afrika gesehen.“ Sein Interesse wandelt sich zur Bewunderung. „Mein Mann müsste hier sein. Er könnte Ihnen das Ganze erklären.“ Er nickt. Dann vergleicht er wieder Daten auf seinem Tablett und den Tank. Schließlich grinst er: „Ich schätze, nächsten Monat ist ihr regulärer Wassertank voll.“ Ich schmunzle zurück.
Als die junge Frau ihre Tests beendet hat, führe ich meine Besucher zurück zur Haustür.
Dass wir kaum etwas von dem verbrauchen, was uns zusteht, hat der Mann vom Wasseramt erkannt, zugleich verwirrt es ihn.
„Ihr Reservoir ist ausreichend. Warum haben Sie sich angemeldet? Was hat sich geändert?“ - „Wir sind Großeltern geworden. Unser Enkel lebt mit im Haus. Wir wollten eine zusätzliche Sicherheit haben.“ Dafür zeigt er Verständnis. Vermutlich hat er selbst Kinder. Er bedankt sich herzlich für die Führung, entschuldigt sich für die Unannehmlichkeiten und zeigt mir seinen Vermerk in unseren Kundendaten zum Verbrauch. „Sie sind für Ihre Generation eine Ausnahme“, stellt er fest.
„Wasser war immer da“, versuche ich zu erklären. „Man musste nur den Hahn öffnen. Über Knappheit hat sich früher keiner Gedanken gemacht.“ - „Sie schon.“
„Du warst lange oben. Wer war das?“ fragt meine Schwiegertochter den Kleinen über den Rücken streichelnd. Ich erzähle von meinen Besuchern und ihrer Jagd nach Wasserverschwendern. „Von wegen Verschwendung. Ihr seid Wassersammler.“
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