Das ist nicht fair!“
„Um Fairness geht es hier schon lange nicht mehr.“
Mein Vater zog sich die schwere Feuerwehrmannskluft an, während er mit mir sprach. Er lagerte sie bereits seit Wochen bei uns zu Hause, in der Angst, das immer näherkommende Feuer würde die Feuerwehrwache am Ende der Stadt und alles, was darin war, niederbrennen. Ein Wimpernschlag, nicht länger fühlte es sich an, und schon war das nächste Gebäude dem Feuer zum Opfer gefallen. Wir waren noch einige Meilen vom Brennpunkt entfernt, und die Feuerwehrmänner und freiwilligen Helfer versuchten alles, um das Feuer von uns abzuwenden.
„Der Klimawandel nimmt keine Rücksicht darauf, dass du erst 17 bist, und dir wünschst, in einer heilen Welt groß zu werden. Ich verstehe deine Wut, aber ich muss gehen“, sagte mein Vater mit ruhiger Stimme. Wie er derart die Fassung behalten konnte, war mir schleierhaft. Immerhin war er derjenige, der jeden Tag sein Leben aufs Spiel setzte.
„Wie lange wirst du weg sein?“ Mir war bewusst, dass es keine Antwort auf meine Frage gab. Das Feuer war unberechenbar. Und so auch die Zeit, die mein Vater weg sein würde.
„Werdet ihr das Feuer unter Kontrolle bekommen?“ Er kam einen Schritt auf mich zu. „Das werden wir sehen.“ Ich schnaubte die angestaute Luft aus.
„Pass auf dich auf“, bat ich. Er klopfte mir liebevoll auf die Schulter, schenkte mir sein berühmtes Lächeln, das wohl jeden hoffnungsvoll stimmte, ganz egal, wie aussichtslos die Situation auch schien. Dann ging er durch die Haustür, und ich war wieder alleine.
Am Nachmittag hielt ich die Hitze in unserem Haus nicht länger aus. Sie war erdrückend stickig und ich wünschte mir seit Tagen nichts sehnlicher als einen Regenschauer, der mich von oben bis unten mit Wasser begießen würde.
Meine Laune wurde in meinen eigenen vier Wänden ohnehin nur noch düsterer, also schnappte ich mir mein Fahrrad und fuhr die Straße hinab, um mich wenigstens vom Fahrtwind ein wenig abkühlen zu lassen.
Michelle Gaus
Am Ende der Straße begegnete ich Kim, die sich auf der Schattenseite ihres Vorgartens auf ihrem Klappstuhl vor der brennenden Hitze versteckte. „Hey!“, grüßte sie mich.
„Heißer Tag heute, nicht wahr?“ Sie grinste, doch dann wurde ihr Blick ernst. „Der Blumengarten meiner Mutter ist nun ganz verwelkt. Nachdem sie der alte Griesgram zum zweiten Mal beim Ordnungsamt verpetzt hat, traut sie sich nicht mehr, ihre Blumen zu gießen.“
Die anhaltende Dürre sorgte für viele Verbote. Den eigenen Garten nicht länger gießen zu dürfen, war nur eins davon. Kim lachte schon wieder, als könnte ihr das all ihre Sorgen nehmen.
„Lach doch mal“, forderte sie mich auf. „Wir können sowieso nichts mehr an unserer Situation ändern.“ Ich zwang mir ein besonders auffällig gespieltes Lächeln auf die Lippen, doch Kims irritierter Blick war derart komisch, dass es sich in ein echtes Grinsen verwandelte.
„Also, wenn es noch heißer wird, brauche ich einen Pool im Garten“, scherzte sie weiter. „Lass das bloß nicht den alten Griesgram hören. Kaum auszudenken, wie er auf einen Pool voller Wasser reagieren würde.“
„Glaubst du, dein Vater kann das Feuer aufhalten, bevor es uns erwischt?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Das kann ich dir nicht sagen.“
Zur gleichen Zeit war Theodor bereits in den Tiefen des brennenden Waldes verschwunden und konnte dabei nicht aufhören, an sein Kind zu denken, das all seine Hoffnung in ihn setzte.
„Das Feuer ist zu stark“, schrie ihm sein Kollege zu. Theodor konnte ihn bei der Lautstärke der Löschfahrzeuge kaum verstehen, doch was er sagte, war ihm bereits selbst bewusst. Er fragte sich oft, wie es nur dazu kommen konnte. Er erinnerte sich gerne an seine Kindheit, in der alles noch ganz anders gewesen war. Als Kind war er bereits in diesen Wäldern gewesen und hatte bei Campingausflügen das Lagerfeuer beobachtet. Ruhig und still hatte er neben dem Feuer gesessen, im Vertrauen, es könnte ihm nichts anhaben. Mit seinem eigenen Vater hatte er hier Vögel beobachtet und war durch das schöne Grün der Wiesen gewandert. Nun hörte er weder das vertraute Zwitschern der Vögel, noch leuchteten die Bäume und Büsche um ihn herum in einem gesunden Grün.
Schon damals war der Klimawandel bereits ein großes Thema gewesen. Belächelt hatte er ihn, als wäre er nicht realer als das Fabelwesen, das er mit seinen Freunden im Wald gejagt hatte. Er hatte sich einfach keine Welt vorstellen können, die anders aussah als die, in der er groß geworden war. Niemals war ihm der Gedanke gekommen, wie seine Untätigkeit die Zukunft seines eigenen Kindes gefährden könnte.
Eine brennende Erde hatte er sich für die Zukunft seines eigenen Kindes sicherlich nicht gewünscht. Theodor wünschte, er könnte alles ändern, die Fehler der Vergangenheit wiedergutmachen, aber es war zu spät dafür. Und das unbändige Feuer vor ihm war das größte Symbol dafür. Wie sollte er seinem Kind nur erzählen, dass sie vor den hohen Flammen, die ihr Zuhause bedrohten, fliehen mussten?
Theodor hing an diesem Ort und wurde alleine bei dem Gedanken, ihn nun verlassen zu müssen, unglaublich emotional. Den Tränen nah, löschte er weiter. Solange, bis er und seine Kollegen einen lauten Hilfeschrei vernahmen und schnell handelten, um ein Leben vor dem Feuer zu retten.
Meine Gedanken schweiften immer wieder zu meinem Vater, während mir Kim die neusten Nachrichten mitteilte. „Der heißeste Frühling überhaupt“, fasste sie die Worte der Nachrichtensprecherin zusammen. So sehr, wie mir das T-Shirt am Leib klebte, glaubte ich ihren Worten nur zu gerne.
„Lass uns in den Supermarkt fahren und uns dort die Zeit vertreiben“, schlug Kim vor. Mit unseren Fahrrädern fuhren wir die Straße weiter hinab, und es graute mir schon davor, den Berg in dieser Hitze wieder hochfahren zu müssen.
Es war keine Seltenheit, dass sich die Leute über Eiswürfel und andere Kühlartikel stritten, die im Supermarkt verkauft wurden. Und so gerieten Kim und ich auch an diesem Tag wieder in ein hitziges Gespräch von einem Mann und einer Frau. Ich hörte weg, denn ich wollte mich nicht ihren negativen Worten aussetzen. Schnurstracks lief ich stattdessen zum Kühlregal, öffnete die Tür und steckte den Kopf hinein. Jedenfalls so lange, bis Kim sich an mir vorbeidrängte, um auch etwas von der kühlen Luft abzubekommen.
„Hey, das ist mein Platz“, beschwerte ich mich. Sie grinste nur. „Jetzt nicht mehr.“
Sie drehte ihren Kopf in meine Richtung und musterte mich. „Wie, glaubst du, sieht unsere Zukunft aus?“ Ihre Frage traf mich unerwartet. Eine Frage, über die ich ungern nachdachte, weil ich einfach keine Antwort auf sie fand.
„Ich glaube, sie sieht sehr heiß aus“, antwortete ich stattdessen. Diese Antwort schien Kim zu reichen, denn sie widmete sich wieder der kühlen Luft, ehe wir von dem Kassierer zurechtgewiesen wurden.
Ich wartete den ganzen Abend darauf, dass mein Vater von seinem Einsatz zurückkam. Auch wenn ich nie sicher sein konnte, ob er die Nacht nicht an einem anderen Ort verbringen musste, um zur frühen Stunde wieder zur Stelle zu sein.
Umso überraschter war ich, als er am späten Abend tatsächlich durch die Tür kam. Er wischte sich über die schweißnasse Stirn und sah mich erst gar nicht an. Das mulmige und schwere Gefühl in meinem Magen nahm mit jeder Sekunde zu, in der er mich anschwieg.
„Was ist los?“, fragte ich ängstlich.
„Das Feuer ist zu stark und unberechenbar. Wir haben alles versucht und ich wünschte, ich könnte dir bessere Nachrichten überbringen.“ Niedergeschlagen ließ er den Kopf hängen.
Ich schüttelte nur mit dem Kopf. Ich weigerte mich, seine Worte anzunehmen.
„Ich will nicht gehen.“
„Ich will nicht gehen“, wiederholte ich. „Das ist unser Zuhause.“ Mein Vater kniete sich vor mir nieder. „Es ist nicht länger sicher, hier zu bleiben. Nicht, wenn das Feuer weiter so stark wütet.“ Ich war den Tränen nahe. Es lag kein Trost in seinen Worten, und er versuchte es auch nicht schönzureden. Dad nahm mich in den Arm und hielt mich fest. Ich sollte ihm dankbar sein, doch in diesem Moment war ich nur wütend.
Diese Wut und diese Trauer änderten doch nichts an der Tatsache, dass ich zwei Tage später im vollgepackten Auto saß und mit brennenden Augen aus dem Fenster sah. Ich versuchte, alles um mich herum in meinen Erinnerungen zu speichern. Die weiße Veranda, der kleine Gartenzwerg, den ich auf den Namen Ben getauft hatte, und mein Vater, wie er unsere Haustür hinter sich schloss. Es war die rote Glut, das Feuer, die Hitze und alles, was darum herum geschah. Die Welt um uns herum brannte, die Dürre war endlos lang und wir blieben zurück. Mit der Hoffnung, dass an dem nächsten Ort, den wir unser Zuhause nennen würden, nicht auch ein Feuer tobte, das uns verjagte.
Wir fuhren die Straße hinab, und ich sah Kim, wie sie vor ihrem Haus stand, die gepackte Tasche bereits in der Hand. Unsere Blicke trafen sich, doch sie grinste nicht. Ich dachte an ihre Frage über unsere Zukunft und wie sehr ich mir wünschte, noch einmal mit ihr diese Straße auf unseren Fahrrädern hinunterzufahren.
Was meine Zukunft im Angesicht des Klimawandels anging, war sie bereits ein beschriebenes Blatt, eure Zukunft jedoch kann noch geschrieben werden.
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