Comedy

Mittermeier in Mannheim: „Like deinen Nächsten, wie dich selbst!“

Michael Mittermeier spottet bei seinem Auftritt im Mannheimer Rosengarten gewohnt scharf über die Gesellschaft, hat aber auch eine bewegende Botschaft im Gepäck

Von 
Markus Mertens
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Von „Oktobikron“ bis „Love-Gulag“: Michael Mittermeier sorgt im Rosengarten für Lacher. © Thomas Troester

Den bewegendsten Augenblick erlebt der Mannheimer Rosengarten bei Michael Mittermeier ganz zum Schluss. Denn nach zwei Stunden, in denen der bayrische Comedian mit seinem Programm „#13“ für beste humoristische Unterhaltung gesorgt hat, wird es noch einmal ernst und verbindlich.

Bei all dem Hass, der die Gesellschaft gerade spalte, sagt Mittermeier, sei der Mut, sich selbst in seinen Fehlern als Teil einer eigenen Minderheit zu verstehen, der Schlüssel zum Erfolg. Gelänge dieses Eingeständnis in der Masse, forme man so doch wieder eine Mehrheit.

Amplituden öffentlicher Debatten messerscharf analysiert

Es ist die dramaturgische Wendung eines Programms, das fast schon philosophisch abschließt, was die Amplituden öffentlicher Debatte zuvor bisweilen messerscharf analysiert. Mit Blick auf die Corona-Pandemie, die auch Mittermeiers Tournee mehrfach zur Verschiebung zwang, fordert der Humorist augenzwinkernd endlich eine deutsche Wiesn-Mutante mit dem treffenden Namen „Oktobikron“ – Gedächtnisverlust und hemmungsloses Wildpinkeln inklusive. Doch der 56-Jährige hat auch ein Herz für die einfachen Aufreger der bürgerlichen Gesellschaft. Im Kampf der „Dieslamisten“ gegen die Tesla-fahrenden „Benzin-Veganer“ schlägt er sich auf die Seite der Verbrenner-Fraktion, verwünscht rücksichtslose Fahrradkuriere in ein Land voller Kopfsteinpflaster und ohne Sattel – und lehrt sein erwachsenes Publikum ganz nebenbei, dass „stabil“ heute längst zum Ausdruck weiblich-adretter Anziehungskraft geworden ist.

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Was bei Mittermeier imponiert, ist der beachtliche rote Faden, mit dem er selbst die entferntesten Themen zu verzwirnen versteht. Denn der Protagonist dieser Stunden reproduziert nicht nur die banalen Reality TV-Dialoge von Sendeformaten wie „Love Island“ wortgetreu. Er quartiert Wladimir Putin gedanklich kurzerhand in das zweifelhafte Paradies mit ein, reflektiert über einen „Love-Gulag“ – und schlägt dabei Brücken, die selbst über die Unmenschlichkeiten eines Krieges schmunzeln lassen.

Zumal Mittermeier auch ganz vortrefflich über sich selbst lachen kann – um was immer es auch gehen mag. Über den Flatulenzen-Sturm nach seiner Darmspiegelung darf sich ein prächtig besetzter Mozartsaal deshalb ebenso amüsieren wie über die verbale Gegenwehr zu rätselhaften Beleidigungen à la „Systemwichser“ („Ich habe doch gar kein System beim Wichsen“).

Jesus als König der Influencer

Das macht den Abend auch auf die Strecke so überzeugend: Dass Mittermeier dem Mythos, man dürfe heute nichts mehr sagen, wuchtig entgegentritt, indem er alles Mögliche wagt und sagt. Beispielsweise, dass man über Staubsauger in Bäumen lachen kann, die unfreiwillig zum Insektenhotel wurden, nachdem der eigene Vater damit ein Wespennest ausgesaugt hat. Dass man die katholische Kirche kasteien darf, wenn sie – auch seine – ungeboren verstorbenen Kinder per definitionem bis 2007 in die Vorhölle platzierte. Und nicht zuletzt die Tatsache, dass Jesus als König der Influencer das wichtigste Posting von allen doch schon längst platziert habe: „Like deinen Nächsten, wie dich selbst!“.

Im Interview kurz vor der Show hatte Mittermeier dem „MM“ gesagt, er müsse sich – auch heute noch – immer wieder selbst anzapfen, um die Energie des Raumes in den Anspruch eines Humors zu verwandeln, der trägt und haften bleibt. Allein der langanhaltende Beifall zu dieser finalen Pointe wäre Beleg genug dafür, dass diese Mission in der Quadratestadt aufgegangen ist.

Freier Autor

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