Antisemitismusvorwürfe gegen die Leitung der Berliner Berlinale und der andauernde Konflikt nach dem Überfall der Hamas auf Gaza: In gleich zwei brisanten und brandaktuellen Zusammenhängen ist die zweite Hermann-Maas-Rede am Montagabend im Heidelberger Rathaus gestanden.
Der Publizist und Direktor des Anna-Frank-Bildungszentrums in Frankfurt, Meron Mendel, analysierte unter der Überschrift „Zwischen Freundschaftspflicht und Staatsräson“ die deutsch-israelischen Verständigung nach dem Zweiten Weltkrieg. Seine These: Die deutsch-israelische Aussöhnung war nie eine gesellschaftliche Bewegung, sondern immer eine der Eliten. Ein Beleg: Warum sonst haben sich nach dem Überfall der Hamas auf Gaza am 7. Oktober 2023 nicht hierzulande die gleichen Massen erhoben wie nach den Überfällen auf Charlie Hebdo 2015 in Paris oder nach Nine Eleven 2001 in New York?
Meron Mendels Analyse über Israel nominiert für deutschen Sachbuchpreis
Mendel, Jahrgang 1976, ist Professor für Soziale Arbeit an der Frankfurt University of Applied Science und Direktor der Bildungsstätte Anne Frank in der Mainmetropole. Seine jüngst veröffentlichte Analyse „Über Israel reden. Eine deutsche Debatte“ wurde für den deutschen Sachbuchpreis nominiert.
„Als wir Professor Mendel einluden, ahnten wir nicht, dass der Vortrag in so aktuellem Zusammenhang stehen wird“, begrüßte Oberbürgermeister Eckart Würzner die mehreren Hundert Gäste im Großen Ratssaal – und meinte damit den Überfall in Gaza. Doch den Tag über beherrschte auch eine Diskussion über mutmaßlich antisemitische Vorgänge bei der Berlinale das nicht nur politische Berlin. Mendels Auftritt in Heidelberg war Montag daher auch Thema unter anderem in den „Tagesthemen“.
Den Beginn der deutsch-israelischen Versöhnung setzt Mendel auf das Jahr 1949: Der Heidelberger Pfarrer Hermann Maas, der unter der Naziherrschaft vielen jüdischen Mitbürgern das Leben rettete, wurde als erster Deutscher offiziell vom Staat Israel zu einem Besuch eingeladen.
Hermann Maas
- Hermann Maas (1877–1970), Pfarrer der Heiliggeistkirche in Heidelberg und Ehrenbürger der Stadt, setzte sich lebenslang für Frieden und Versöhnung zwischen Konfessionen, Religionen und Völkern ein. Er wurde zwischen 1933 und 1945 zum Helfer und Retter für zahllose Jüdinnen und Juden.
- Das Anliegen der „Hermann-Maas-Reden“ ist es, „den Widerstand gegen totalitäre und autoritäre Regime in historischer und aktueller Perspektive sowie die Geschichte und Gegenwart der christlich-jüdischen Verständigung zu reflektieren und die Erinnerung an die Opfer der nationalsozialistischen Herrschaft wachzuhalten“.
Dass trotz vieler offizieller Versicherungen die deutsch-israelische Versöhnung keine breit in der deutschen Bevölkerung verankerte Bewegung war, sondern eine eines eher überschaubaren, kleinen Kreises – der Eliten – macht Mendel an einigen Zahlen deutlich. So hätten laut einer Allensbach-Studie bisher nur sieben Prozent der Deutschen Israel besucht, aber die Hälfte der Israelis Deutschland. Auch Staatsbesuche in Tel Aviv und anderen Regionen waren rar.
Redner musste Heidelberger Hermann Maas erst googlen
Mit Angela Merkel, die acht Mal nach Israel reiste, sei eine neue, lebendige Ära der Beziehungen angebrochen. Sie habe die Verpflichtung der Nähe zu Israel als „Staatsräson“ formuliert. Dieser von Philosoph Niccolò Machiavelli (1469-1516) geprägte Begriff steht im Sinne einer „Verordnung“ eigentlich dem modernen Demokratiebegriff entgegen. Und wird er gelebt? „Der Überfall der Hamas wird in Deutschland nicht als ,Angriff auf das Wir“, sondern als ,Angriff auf das Ihr’ empfunden“, analysiert Mendel.
Auch Humor gab es an diesem Abend vor so ernstem Hintergrund: „Ich habe keine Angst vor meiner Frau“, habe er auf die Frage eines mutmaßlich rechtsextremen Politikers („Haben Sie keine Angst vor den vielen Muslimen im Land?“) gekontert, erzählt Mendel . Mit seiner Ehefrau, der Politologin Saba-Nur Cheema, schreibt er die Kolumne „Muslimisch-jüdisches Abendbrot“ in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ).
Wer Hermann Maas war, bekennt Mendel offen, habe er „erst googeln müssen“, als er von der Anfrage der Festrede erfuhr. Das Andenken des Heidelberger Pfarrers zu wahren und ihn noch bekannter zu machen – auch dazu hat auch die zweite Hermann-Mass-Rede ganz sicher nun beigetragen.
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