Interview

Meeresbiologin Antje Boetius: „Es fehlt an CO2-Bepreisung“

Die Meeresbiologin Antje Boetius moderiert das „Arctica“-Konzert des Nationaltheaterorchesters im Mannheimer Rosengarten. Im Interview spricht sie über eine tiefere Verbindung zur Welt, über Musik, Klimaziele und Hoffnung

Von 
Stefan M. Dettlinger
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Hat immer noch Hoffnung, dass alles vielleicht nicht ganz so schlimmt wird: Antje Boetius auf Expedition neben dem Eisbrecher „Polarstern“. © dpa / Esther Horvath

Frau Boetius, wie kommt es, dass Sie mit dem Nationaltheaterorchester gemeinsame Sache machen?

Antje Boetius: Wir haben uns kennen gelernt über die Initiative „Orchester des Wandels“: Ich bin begeistert von der Idee, dass sich Orchester zusammenschließen, um für Klima- und Naturschutz zu spielen. Einige Aktionen habe ich schon mitgemacht in Deutschland. Es ist eine ganz besondere Art, sich mit dem Zustand der Erde auseinanderzusetzen und dabei aber auch die Schönheit der Natur zu feiern. In Mannheim soll sich das Konzert mit der Arktis beschäftigen, dem Eis, und hier kommt ein außergewöhnlicher Hörgenuss zusammen mit der Beobachtung dieser besonderen Welt.

Antje Boetius und das Konzert

  • Die Biologin: Antje Boetius, geboren 1967 in Frankfurt/Main, ist eine deutsche Meeresbiologin und Professorin, die das Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung leitet und die viele internationale Forschungsexpeditionen geleitet hat. Sie setzt sich aktiv für den Klimaschutz ein.
  • Das Konzert: Am 15. Mai, 19.30 Uhr spielt das Nationaltheaterorchester und die Violinistin Alina Pogostkina das Konzert „Arctica“. Antje Boetius moderiert das Konzert mit Werken von Jean Sibelius und Edvard Grieg im Musensaal des Mannheimer Rosengartens. Der Eintritt ist frei, Platzkarten werden direkt vor dem Konzert ausgegeben.

Haben Sie nicht Angst, dass die Ästhetik bei so einer Geschichte den Ernst der Lage überdeckt?

Boetius: Ich wüsste nicht, warum ästhetischer Genuss, ernsthafte Erkenntnis über den Zustand der Erde und mögliche Lösungswege sich ausschließen sollten. Im Gegenteil: Bei einem Konzert können sich viele Menschen überhaupt erst wieder in einen aufnahmefähigen Zustand versetzen, weil sie einfach mal nur ein Ding auf einmal tun: zuhören. Das öffnet Kanäle. So kann man tiefer denken und empfinden.

Also ist das Format für Sie perfekt?

Boetius: Wenn, dann wäre die Frage, die ich mir stelle, eher: Stören der Text, den ich sage, und die Arktis-Bilder an der Wand die Konzentration auf den Klang? Aber es geht auch darum: einfach mal ausprobieren, ob beides zusammen zu einer tieferen Verbindung mit dem da draußen, der schmelzenden Eis-Welt, führt.

Könnte man das einen humanistischen Ansatz nennen, dass Sie denken, die Menschen würden sich vielleicht über die Kunst, also die Musik, öffnen und empfänglicher sein für die Leiden der Welt?

Boetius: Da denke ich erstmal schlichter: Wenn auch Orchester sich zusammentun und sagen: So einfach weiterspielen wollen wir nicht, wir wollen mehr tun. Wir wollen der Natur und wie wir mit ihr vernetzt sind, mehr Sichtbarkeit und auch konkrete Hilfe geben – dann ist das doch toll. Dann will man da einfach mitmachen.

Und Orchestermusik passt für Sie gut dazu?

Boetius: Ja, gerade Orchester stehen ja für Bewahrung und Pflege – eben von Jahrhunderte oder gar Jahrtausende alter Kultur. Ihre Musikinstrumente sind oft aus den Produkten höchst vielfältiger Pflanzen und Tiere. Mir und vielen anderen Menschen geht es so, dass es uns aktiviert, stärkt, freut, wenn wir zusammen etwas erleben wie Musik und Texte hören, Landschaft sehen. Und hier, bei dieser Begegnung, kommt all dies zusammen – es stärkt dann auch die, die sich Sorgen um die Zukunft machen, einmal mehr zu fühlen: Ich bin ja gar nicht allein.

Sie als Meeresbiologin wissen ja am besten Bescheid über den Zustand des Eises und den der Meere. Haben Sie Hoffnung auf Rettung?

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Boetius: Die Daten zeigen: Die Änderungen unserer Umwelt durch Erderhitzung, Übernutzung und Verschmutzung gehen so schnell, dass eine schwierige Zeit kommt. Man kann auch sagen: Es wird Zeit für Wunder. Auf der anderen Seite gibt es auch viele positive Schritte – wenn man mal sieht, wie die Nutzung regenerativer Energien weltweit steigt, wie wir auch in Deutschland aufholen. Wir sind die erste Generation, die erlebt, wie es international abgestimmte Ziele für Klima- und Naturschutz gibt, auch sogar für die hohe See. Daraus müssen wir was machen. Daher habe ich noch immer Hoffnung auf Vernunft. Aber ich habe auch die Erkenntnis, dass es furchtbar teuer und schmerzhaft wird, sich gegen die natürlichen Prozesse und Gleichgewichte unseres Planeten zu stellen, anstatt diese bewusst zu nutzen.

Sie erwähnen die Klimaziele. Jahr um Jahr bin ich wieder enttäuscht, dass wieder nichts Radikales und Konkretes beim Weltklimagipfel herauskommt. Wenn ich richtig informiert bin, steigen die Emissionen weltweit aktuell immer noch. Woher kommt da Ihre Hoffnung auf Vernunft?

Boetius: Der Weltklimagipfel ist das jährliche Treffen aller Staaten für Berichte, Allianzen und weitere Abstimmungen. Die Action findet zwischen den Gipfeln statt. Es ist ja bekannt, dass einige Staaten, vor allem solche wie China und Indien, aufgrund ihrer Entwicklungsperspektiven nicht sofort auf Wachstum durch fossile Energien verzichten werden. Immer klarer wird aber, wie die Klimakrise ihr Wachstum verhindert. Daher steigt die Ambition, schneller klimaneutral zu werden. Leider fällt es auch den Industrienationen schwer, den Wechsel auf regenerative Energien so zu beschleunigen, wie es nötig wäre, um das Risiko zu minimieren, das Pariser Klimaziel von deutlich unter 2 Grad Celsius Erderwärmung zu verreißen.

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Eben, es sieht schlecht aus…

Boetius: …ja, die Emissionen sind zwar wie vorhergesagt nach der Pandemie wieder angestiegen, denn noch sind nicht überall ausreichend regenerative Energien verfügbar. Das heißt ja aber nicht, dass es keine Hoffnung gibt und keine Vernunft. Es ist halt leider immer noch so, dass die fossilen Energien stark subventioniert sind und es an ausreichender CO2-Bepreisung fehlt, sowie vielen Staaten und Städten an ausreichenden Mitteln, die Transformation zu beschleunigen.

Kultur ist ja insgesamt auch ein großer CO2-Verursacher, besonders die Theater und Popmusik. Was wünschen Sie sich für diesen Sektor?

Boetius: Ehrlich gesagt, im Vergleich zu vielen anderen Sektoren ist das verschwindend klein. Ich wünsche mir, dass die Theater, Konzerthäuser, Clubs und Kinos und vor allem die Künstler und Künstlerinnen nicht alleine gelassen werden mit der Transformation. Vor allem Verträge für regenerative Energieversorgung und grüne Mobilität auch für ihr Publikum würden den Footprint schnell reduzieren, das kann aber kaum ein Haus alleine stemmen, da braucht es Konzepte mit der Stadt und dem Land. Es gibt viele Ideen im Theater, wie man Bühnenmaterialien recyclen kann, bei Orchestern, wie oft wahnwitzig dichte Konzertreisen effizienter gemacht werden können, bei Clubs und Festivals mit der Essensversorgung. Alle wollen und können was beitragen, aber die großen Schritte sind in der fairen Preisgestaltung für nachhaltiges Leben.

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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