Mannheim. „Ich seh Dir in die Augen, Kleines.“ Ein Geständnis, das weltweit Karriere machte. Es stammt aus dem 1942 gedrehten Film „Casablanca“ mit Humphrey Bogart und Ingrid Bergman. Ein Angestellter von Warner Brothers bezeichnete die Textvorlage als „anspruchsvollen Kitsch“. Hätte er allerdings die Bühnenfassung der Regisseurin Johanna Wehner für das Alte Kino Franklin in Mannheim besucht, wäre sein Urteil vermutlich anders ausgefallen. Denn von schnulziger Liebe und dem möglicherweise dazugehörigen Kitsch findet sich darin kaum eine Spur.
Johanna Wehner hat unter dem Titel „Casablanca - Gehen und Bleiben“ den emotionalen Anteil des Kino-Klassikers für die Spielstätte des Nationaltheaters gründlich entrümpelt. Geblieben sind vor allem die Ängste der Menschen, ihre gelegentlich von einzelnen Klaviertönen begleiteten unheilvollen Stimmungen.
Sie, die vor dem Nazi-Terror flüchten und in Ricks Café eintreffen, erhoffen sich ein Ausreisevisum für Amerika. Natürlich illegal. Wartend verwandeln sie die Bar in einen Sehnsuchtsort. Zugleich aber wagt Johanna Wehner einen Zeitsprung. Sie nimmt die Ereignisse in „Casablanca“ zum Anlass, das Flüchtlingsproblem allgemeiner zu thematisieren, und hat dabei offenbar all jene Menschen im Blick, die heutzutage nach einer festen Bleibe suchend durch die Welt irren.
Wunderschönes Ambiente
Benjamin Schöneckers Bühnenbild zeigt ein wunderschönes Ambiente, einen an Wiener Caféhäuser erinnernden Raum mit runden Tischen, Thonet-Stühlen und kleinen perlenschnurverzierten Lampen. An der Decke im Hintergrund eine hell erleuchtete Fläche. Manchmal strecken die Exilanten vergeblich ihre Arme empor, um sie zu berühren. Als wäre das Licht für sie ein Symbol der Freiheit.
Ricks Bar also. Hier treffen sie allmählich ein, die der Krieg in die Fremde verbannte. Darunter Ilsa, einst mit Rick leidenschaftlich verbunden. Jetzt ist sie an der Seite ihres Mannes, dem Widerstandskämpfer Victor László, auf der Flucht. Wer den Film nicht gesehen hat, wird wenig vermissen. Denn Johanna Wehner bringt zusammen mit dem vortrefflichen Ensemble (Ragna Pitoll, Jessica Higgins, Christoph Bornmüller, Eddie Irle, Omar Shaker, Patrick Schnicke) immer wieder kleine Geschichten ein, szenische Miniaturen, oder Augenblicks-Erfindungen, die das Schicksal der Geflüchteten in unverkrampfter Direktheit charakterisieren. Deren Ausweglosigkeit, ihr Gefühl, eingesperrt zu sein, überträgt sie gelegentlich in choreographierte Bewegungsabläufe.
So wird das isolierte Nebeneinander der Personen noch deutlicher. Selbst im kollektiven Auftritt erfahren sie existenzielle Abgrenzungen. Es berührt nachdrücklich, wie Johanna Wehner in diesen formal wirkenden Anordnungen die Einsamkeit der Menschen enthüllt.
Dem Liebesdrama zwischen Rick, Ilsa und Victor ist sie konsequent aus dem Weg gegangen. Wenn sich Ilsa am Ende zwischen beiden Männern entscheiden soll, ist wenig Herzeleid im Spiel. Vielleicht ein weiteres Indiz dafür, dass „Casablanca“ und seine abenteuerliche Unterhaltsamkeit anscheinend nur verlustreich auf die Bühne zu bringen ist. Immerhin hat Johanna Wehner mit ihren Text-Fragmenten einen ehrenwerten Versuch gewagt. Dass der hin und wieder scheitert, ist spannend zu beobachten.
Wieder am 7.5., 12.5. und 11.6.; Karten unter 0621 16 80 150.
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